Das moderne Gebäude der SPD-Zentrale ragt in den blauen Himmel.
Im Willy-Brandt-Haus in Berlin, seit 1996 die Zentrale der SPD, wurde heute der Beschluss des Parteipräsidiums zum Klimaschutz vorgestellt. (Foto: Ansgar Koreng/​Wikimedia Commons/​CC BY-SA 3.0)

Wer wissen will, wie sich die SPD jetzt Klimaschutz vorstellt, hörte am späten Donnerstagnachmitag am besten dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil zu, als dieser den am Dienstag gefassten SPD-Präsidiumsbeschluss zur Energie- und Klimapolitik vorstellte.

Er habe, sagte Weil im Berliner Willy-Brandt-Haus, heute eine "richtig große" Autofabrik mit 14.000 Beschäftigten in Hannover besucht, drei Stunden lang, und dort lasse man derzeit "keinen Stein auf dem anderen". Die Fabrik werde mit einem "riesigen Investitionsaufwand" auf eine völlig neue Grundlage gestellt – und diese Grundlage sei der Klimaschutz, behauptete Weil allen Ernstes und wohl wissend, dass der VW-Konzern, zu dem die Autofabrik gehört, nach dem Dieselskandal nicht ganz freiwillig auf E-Antrieb umschwenkt.

Für Weil ist das aber schon ein Vorzeigebeispiel für eine "ökologische Industriepolitik". Dem Ministerpräsidenten schweben da nicht nur Elektromobilität und der – für Niedersachsen wichtige – Ausbau der erneuerbaren Energien vor, sondern auch eine Wasserstoffwirtschaft und darauf aufbauend eine "grüne" Stahlindustrie.

Als nächstwichtiger Punkt nach der Öko-Industrie bewegt die SPD-Spitze beim Klimaschutz die soziale Gerechtigkeit. Nahezu gebetsmühlenartig verwiesen die Spitzenpolitiker der Partei darauf, dass man bei allen Maßnahmen auf die Nichtprivilegierten und Einkommensschwachen Rücksicht nehmen muss.

"Das Leben derjenigen, die nicht unbedingt privilegiert sind, muss eben auch meisterbar und bezahlbar bleiben." (Interims-Kovorsitzende Malu Dreyer) "Niemand darf belastet werden, der heute schon belastet ist." (Umweltministerin Svenja Schulze) "Die Menschen, die nicht privilegiert sind, dürfen mit ihren Interessenlagen nicht unter die Räder kommen." (Kovorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel).

Neu ist die Forderung, die Ökostrom-Deckel aufzuheben

Dem schlossen sich jeweils längere Erörterungen an, wann und mit welcher Förderung sich Krankenschwestern oder gut verdienende Facharbeiter neue E-Autos leisten können – solange der öffentliche Verkehr gerade auf dem Lande keine Alternative darstelle.

Ziele und Forderungen aus dem SPD-Beschluss

  • Klimaschutzgesetz mit CO2-Budgets für die einzelnen Sektoren
  • Anreize für einen bundesweit gleichmäßigen Ausbau der Windkraft, darunter eine Regionalisierungsquote in den Ausschreibungen
  • Verzicht auf Ausbaudeckel für Photovoltaik und Windenergie
  • Einsatz strombasierter Brenn-, Kraft- und Grundstoffe in der chemischen Industrie sowie im Flug- und Schiffsverkehr; Export der Technologien in Entwicklungsländer, wo Ökostrom und Folgeprodukte wie synthetische Kraftstoffe aufgrund der besseren Verfügbarkeit von Sonne und Wind kosteneffizient erzeugt werden können
  • Kopplung des bisherigen Dienstwagenprivilegs an den Elektromotor; Weiterentwicklung der E-Auto-Kaufprämie zu einem sozial gestaffelten Bonus, wobei Käufer von E-Fahrzeugen mit einem niedrigen Listenpreis bis zu 30.000 Euro einen doppelt so hohen Bonus wie beim Kauf hochpreisiger Modelle erhalten
  • Gestaltung der künftigen Mietgesetzgebung auf Grundlage der Warmmiete, um Energieeinsparung zu fördern
  • Bepreisung von CO2-Emissionen in den Bereichen Wärme und Verkehr, wobei die Gelder an die Bürger zurückgegeben werden
  • stärkere Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte bei staatlichen Versorgungsrücklagen

Energiepolitisch neu an dem elfseitigen Beschluss sind eigentlich nur die Forderungen, die bestehenden Ausbaudeckel für Solarstrom und Windkraft aufzuheben. Weil das nicht im Koalitionsvertrag steht, müsste sich die SPD hier ernsthaft mit der Union anlagen.

Neu für die SPD ist auch der Vorschlag, künftig die Warmmiete zur Grundlage der Mietgesetzgebung zu machen, um zusätzliche Investitionen in Energieeinsparung bei Wohnungen zu erreichen und gleichzeitig den Druck auf die Mieter zu reduzieren.

Beim Kohleausstieg kann sich die SPD vorstellen, auch früher als 2038 auszusteigen, wenn – so steht es geschrieben – "die Rahmenbedingungen geschaffen sind". Mit der Position bleibt die Partei eigentlich noch hinter der Kohlekommission zurück, die wenigstens noch die Jahreszahl 2035 in ihren Bericht schrieb.

Einen weiteren Eiertanz vollführte die SPD-Spitze um die Frage, warum in dem Papier zwar mehrmals der Begriff "CO2-Bepreisung" auftaucht (wenn auch nur für die Bereiche Verkehr und Wärme), aber nirgends eine klare Forderung nach einer CO2-Abgabe.

Zunächst erklärte Svenja Schulze, dass sie als Ministerin im kommenden Monat ein Konzept für eine CO2-Bepreisung vorlegen werde – in einer Kombination aus einem CO2-Preis und einer Kopfpauschale, wie sie sich schon mal in die Karten schauen ließ. Schulze: "Wir wollen die treffen, die mit einem dicken SUV und drei Flugreisen im Jahr wirklich der Umwelt schaden."

Die von der Union geforderte Ausweitung des Emissionshandels lehnte die Umweltministerin mit der Begründung ab, dieser könne nur schwer sozial gerecht gestaltet werden: "Es darf nicht so sein, dass man seinen Arbeitsplatz nicht erreichen kann, weil man sich kein CO2-Zertifikat kaufen kann."

Doch Schäfer-Gümbel ließ sie anschließend damit ziemlich allein. Die SPD sei auch beim Emissionshandel gesprächsbereit, betonte er – sofern es eine Idee oder einen Vorschlag gebe, wie es dabei sozial gerecht zugehen könnte. Im Moment sehe man diese Idee nicht, schränkte Schäfer-Gümbel ein – aber eine klare Absage sieht wohl anders aus.

Auch drückte sich Schäfer-Gümbel um eine Antwort auf die Frage herum, ob die SPD die Koalition platzen lässt, wenn sie Schulzes Klimaschutzgesetz nicht durchbekommen sollte. So bleibt am Ende der Eindruck, dass die SPD ein Papier vorgelegt hat, das eher darauf abzielt, die große Koalition am Leben zu erhalten, als wirklich ehrgeizigen Klimaschutz zu betreiben.

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