Power to Gas KIT
Power-to-Gas-Anlagen erzeugen synthetisches Gas mit Ökostrom und gelten als großes neues Geschäftsfeld – nur rechnen sie sich unter heutigen Verhältnissen nicht. (Foto: Sunfire/​KIT)

Auch wenn er es nicht zeigt – dass Mecklenburg-Vorpommerns Energieminister Christian Pegel (SPD) mitunter Frust schiebt, kann man nur zu gut verstehen. 2017 mussten in seinem Bundesland, wie Pegels Haus jetzt mitteilte, 5,5 Millionen Megawattstunden Ökostrom abgeregelt, also vor allem Windräder heruntergefahren werden.

Dabei wüsste der Minister sehr gut, was man mit dem Strom anfangen könnte: ihn nämlich in den Bereichen Wärme und Verkehr, also für die berühmte Sektorkopplung, einsetzen. Doch hier musste Pegel jüngst gegenüber den Medien eine Marktblockade konstatieren: Die Unternehmen, die Wasserstoff per Elektrolyse mithilfe von Ökostrom erzeugen, würden ihm sagen, sie fänden keine Abnehmer – während Abnehmer sich bei ihm beklagten, es gebe keinen "grünen" Wasserstoff. 

An der Blockade leidet die Ökstrombranche landauf, landab. Mehr denn je befürchtet sie einen Stillstand beim Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung und deren Kopplung mit anderen Sektoren. Das ist fatal. Denn die Sektorkopplung brauchen die Ökostromer, um nachzuweisen, dass sie nicht nur Strom in großer Menge und preiswert erzeugen, sondern auch das gesamte Stromnetz stabil führen können.

Was dafür an Energiereformen nötig ist, das hat die Branche schon lange auf dem Zettel: Wegfall von Steuern und Abgaben, die den Einsatz von Strom unnötig verteuern; eine wirksame CO2-Bepreisung; die Möglichkeit für Industrieunternehmen, echten grünen Strom direkt vom Erzeuger zu beziehen.

Und schließlich: Statt der jetzigen Experimentierklausel, die nur für bestimmte Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen gilt, muss eine großzügige Regelung her, um Ökostrom für andere Anwendungen – Heizen, "grünes Gas" und Industrieprozesse – freizugeben. Entsprechende Forderungen wandern im Haus von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) regelmäßig in die Ablage.

100 Pilotprojekte im ganzen Land

Nicht wenige in der Grünstrombranche vermuten, dass hinter der Untätigkeit der großen Koalition das Bestreben steht, zu verhindern, dass die Erneuerbaren Systemfähigkeit erlangen und so die konventionelle Erzeugung schneller ins Abseits stellen, als Altmaier und Co lieb ist.

Wie dem auch sei – dass man bei den Energiereformen jetzt gesetzgeberisch groß vorankommt, glaubt Christian Pegel nicht. Bundespolitisch ist es nach seinen Worten "derzeit nicht realistisch", dass das System der Energieabgaben und -steuern "auf den Kopf gestellt wird". Noch stecke die bisherige EEG-Förderung dem Bund "in den Knochen". Auch lokalisiert Pegel dort eine "große Sorge", es könnte im Energiebereich erneut einen großen "Subventionstatbestand" geben.

Um dennoch Bewegung in die Sache zu bekommen, beauftragte sein Ministerium das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (Ikem), eine, so Pegel, "juristisch minimal invasive" Experimentierklausel zu entwerfen.

Deren Kern ist eine Art "neuer Anlagentypus", erläutert die vorliegende Ikem-Studie: Ökostromanlagen, Speicher und Nutzer wie Power-to-Heat- oder Power-to-Gas-Anlagen sollen, wenn sie nicht Zaun an Zaun liegen, über eine direkte Stromleitung oder virtuell über das Netz zusammengebunden werden und rechtlich als eine Anlage gelten.

Der Effekt: Bei den Stromlieferungen zwischen den "Anlagenteilen" können Kosten wie die EEG-Umlage oder die Stromsteuer entfallen. Das würde Endprodukte deutlich wettbewerbsfähiger machen. Es helfe nicht, wenn bei der Herstellung von grünem Wasserstoff oder synthetischem Sprit in jeder Handelsstufe Steuern aufgeschlagen würden, begründet Pegel sein Konzept. "Da kann man am Ende nur ein unwirtschaftliches Produkt haben."

Mithilfe dieser, wenn man so will, Sektorkopplung light sollen dann nach den Vorstellungen des Schweriner Energieministers bundesweit etwa 100 Pilotprojekte auf den Weg gebracht werden – selbstverständlich innovationsoffen und in allen möglichen Kombinationen von Ökostrom, Speichermedien sowie Anwendungen im Wärme- und Verkehrsbereich. "Solche Lösungen sind bisher nicht über den Labormaßstab hinausgekommen", bedauert Pegel.

Die Projekte sollen für Investoren ausgeschrieben, von diesen realisiert und nach drei bis vier Jahren evaluiert werden. Zweck ist herauszufinden, was wirtschaftlich funktioniert und skalierbar, also breit anwendbar ist. Weil die virtuell gekoppelten Anlagen ohne EEG-Förderung auskommen, fallen sie nicht unter das geltende Ausschreibungsregime für Wind, Solarstrom und Biomasse, müssen aber die üblichen Genehmigungsverfahren durchlaufen.

Ganz ohne Kosten kommt die öffentliche Hand aber nicht davon. Damit sich das Investment lohnt, müsse der Betrieb der Projekte über 20 Jahre vertraglich zugesichert werden, räumt der Minister ein.

Die Berliner Bremser einfach überholen?

Rechtlich umgesetzt werden kann die Experimentierklausel laut Vorschlag der Ikem-Gutachter als Teil der ohnehin von der Koalition geplanten Innovationsausschreibungen oder innerhalb der Mitte 2021 fälligen Erneuerbare-Energien-Richtlinie II. Damit das klappt, müsse das Gesetzgebungsverfahren aber jetzt eingeleitet werden, fordert Ikem-Geschäftsführer Simon Schäfer-Stradowsky. Das könne im Bundesrat durch ein Bündnis von Bundesländern geschehen.

Für so ein Bündnis legt sich Pegel auch ins Zeug und berichtet von Telefonaten mit seinen Ressortkollegen vor allem aus norddeutschen Ländern, von Zustimmung kann aber nicht die Rede sein. Pegel will die Klausel nun beim nächsten Treffen der Energieminister von Bund und Ländern im Mai auf die Tagesordnung setzen.

Felix Christian Matthes, renommierter Energiexperte vom Öko-Institut, unterstützt die Idee einer "niedrigschwelligen Experimentierklausel", wie er es nennt. "Wir müssen uns die Effekte aus der Sektorkopplung genauer anschauen – die sind keineswegs eindeutig", erklärt Matthes gegenüber Klimareporter°. "Da wäre es gut, verschiedene Lösungen auszuprobieren." Der Experte spricht übrigens lieber von einer "Sektor-Integration" als von einer bloßen Kopplung.

Björn Spiegel vom Erneuerbaren-Dienstleister Arge Netz im nordfriesischen Husum findet es gut, dass die Bundesländer ordentlich Druck für die Sektorkopplung machen. "Power-to-X-Lösungen helfen nicht nur dem Bund, die eigenen politischen Ziele zu erreichen, sondern stärken auch bei den Menschen vor Ort die Akzeptanz für die Energiewende", sagt er. Die vom Ikem vorgeschlagene Anlagenkopplung sei ein "kluger Weg", um Power-to-X und erneuerbare Erzeugung als System zu denken.

Dennoch dämpft der Arge-Netz-Sprecher die Hoffnungen. Heute schon sei klar: Für die Durchsetzung von Sektorkopplung und für die Klimaziele bei Wärme und Verkehr reichen Experimentierklauseln und einzelne Projekte nicht mehr aus. "Wir müssen bereits heute erneuerbaren Strom von innovationsfeindlichen Steuern, Abgaben und Umlagen befreien und zugleich den Ausstoß von CO2 in allen Sektoren wirksam bepreisen", fordert Spiegel.

Anders gesagt: Experimentierklauseln und Sektorkopplung light sind schön und gut, an wirklichen Energiereformen aber kommen wir nicht vorbei.

Lesehinweis: Ökostrom für "grüne" Gewerbegebiete – Interview mit Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Christian Pegel (Advertorial/​Sponsored Link)

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