Menschenmassen hinter Transparent
Zehntausende demonstrierten am vergangenen Samstag vor dem Hambacher Forst für den Kohleausstieg. (Foto: Tim Wagner/​Ende Gelände/​Flickr)

Klimareporter°: Herr Hofreiter, am Wochenende haben 50.000 Menschen vor dem Hambacher Forst gegen dessen Rodung protestiert. Ist der Kohleausstieg in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Anton Hofreiter: Es ist beeindruckend, wie bunt der Protest war und wie viele Menschen aus breiten Teilen der Gesellschaft sich über die letzten Wochen engagiert haben. Die Bevölkerung ist schon länger für den Kohleausstieg. Aber die Dringlichkeit ist jetzt durch den Dürresommer noch mal deutlich geworden. Der hat gezeigt, dass die Klimakrise nichts ist, was nur in ferner Zukunft oder in fernen Ländern stattfindet, sondern jetzt und bei uns.

Außerdem: Die Vorstellung, dass ein Konzern einen uralten Wald, wie es ihn in Deutschland kaum noch gibt, unwiederbringlich für den Kohleabbau rodet, damit weiter das Klima zerstört, und das auch noch, während eine Kommission über den Kohleausstieg berät – das war einfach zu viel.

Übrigens hat am Samstag gleichzeitig eine Umweltdemo in München stattgefunden, mit noch mal 20.000 Menschen. Ich glaube, dass wir da an einem gesellschaftlichen Kipppunkt sind.

Porträtfoto: Anton Hofreiter in Hemd und Sakko.

Zur Person

Anton Hofreiter, Jahrgang 1970, ist promovierter Biologe und seit 2005 Bundestags­abgeordneter der Grünen. Seit fünf Jahren ist er einer der beiden Fraktionschefs. (Foto: Gerd Seidel/​Wikimedia Commons)

Ihre Partei erhält in Meinungsumfragen zurzeit deutlich höhere Zustimmungswerte als etwa vor einem Jahr zur Bundestagswahl. Führen Sie das auch auf diesen Stimmungswandel zurück?

Ja, unter anderem. Ökologische Fragen haben in der öffentlichen Debatte wieder Konjunktur. Das gibt uns natürlich Rückenwind. Und wir haben bei den Jamaika-Gesprächen klargemacht: Bei Klima- und Umweltschutz machen wir den Unterschied. Aber die guten Umfragewerte liegen natürlich auch an der Schwäche der anderen.

Wie wollen Sie das aktuelle Momentum in die Bundespolitik transportieren?

Wir müssen möglichst viel Druck auf die Bundesregierung ausüben, damit die vom Reden endlich zum Handeln kommt, und zwar in möglichst vielen Politikfeldern. Es geht um den Kohleausstieg, aber auch um die Verkehrswende, die Agrarwende, um Energieeinsparung, um klimafreundliche Gebäude. Der neue Bericht des Weltklimarats macht ja genau das deutlich: Reden und Handeln stehen in krassem Widerspruch.

Vom Reden ins Handeln kommen, das ist doch eine alte Erzählung – glauben Sie, dass das jetzt plötzlich funktioniert?

Es war richtig, dass die Grünen und die Umweltbewegung das immer wieder deutlich gemacht haben, weil es stimmt. Angela Merkel hat den Menschen jahrelang vorgegaukelt, sie würde handeln. Jetzt ist klar, dass die Bundesregierung sogar ihre eigenen Klimaziele verfehlt. Die Menschen kaufen ihr Klimaschutz nicht mehr ab. Darum gehen sie auf die Straße und erhöhen den Druck auf die Bundesregierung – und die kann jetzt nicht mehr weitermachen wie bisher.

Das heißt, mit dem Rückhalt der Bevölkerung ist die Sache jetzt sozusagen ein Selbstläufer?

Bei dieser Bundesregierung sicher nicht. Und die alten Konzerne versuchen, ihre Pfründen und Profite bis zuletzt zu verteidigen – auch wenn sie auf Kosten der Allgemeinheit gehen. Aber die öffentliche Meinung wird natürlich auch Auswirkungen auf die Arbeit der Kohlekommission haben. Es erzeugt viel Rückenwind, wenn klar ist: Es gibt klimafreundliche Alternativen zur Kohleverstromung – und die sind machbar, ökonomisch sinnvoll und von der Breite der Gesellschaft getragen.

Aber die Kohlekommission fasst keine politischen Beschlüsse – das macht der Bundestag und dafür braucht es die Bundesregierung. Glauben Sie, dass die auf den öffentlichen Stimmungswandel reagiert?

Ich habe nicht den Eindruck, dass die große Koalition gerade in der Lage ist, dieses Land entscheidend voranzubringen. Die beteiligten Parteien sind so gespalten und zerstritten, dass es zur ständigen Blockade kommt, nicht nur beim Klimaschutz.

Erstarrt durch die internen Streitereien und aus Angst vor den Autokonzernen hat sich die Bundesregierung vorgestern in Brüssel gegen ehrgeizigere CO2-Grenzwerte für die Autoindustrie eingesetzt. Und das, obwohl die Mehrheit der EU-Staaten wie auch das EU-Parlament dafür sind!

Zwei Drittel der 28 EU-Umweltminister setzten sich anders als Deutschland für Vorgaben ein, die über den Vorschlag der EU-Kommission – 30 Prozent weniger CO2-Ausstoß innerhalb des kommenden Jahrzehnts – hinausgehen. Darunter selbst Länder wie Frankreich, Italien oder Spanien, die auch eine starke Autoindustrie haben.

Das ist schon peinlich und demaskiert die Klimasimulanten der Bundesregierung endgültig. Und das Ganze nur einen Tag, nachdem der Weltklimarat in aller Deutlichkeit klar gemacht hat, dass wir sehr viel mehr und sehr viel schneller handeln müssen, damit das Klima nicht außer Kontrolle gerät.

Aber viele Leute haben diesen Stillstand, diese Zukunftsblockade satt – die Quittung kommt bei der nächsten Wahl. Und außerdem findet Politik nicht nur auf Bundesebene statt. Viele Landesregierungen, wie die in Berlin oder Hessen, sind da schon viel weiter und gehen beim Klimaschutz entschlossen voran.

Apropos, in Bayern sieht es zurzeit so aus, als wäre eine Koalition aus CSU und Grünen rechnerisch möglich. Halten Sie das tatsächlich für denkbar?

Wir schließen nichts aus und reden mit allen demokratischen Parteien. Aber: So, wie die CSU im Moment aufgestellt ist – ich denke da an Aussagen über vermeintlichen "Asyltourismus" oder das "Ende des Multilateralismus" –, kann ich mir das nur schwer vorstellen. Man kann mit uns immer über eine ökologische, sozial gerechte und humane Politik reden, aber nicht über eine autoritäre oder europafeindliche Politik.

Eines Ihrer aktuellen Großprojekte ist es, den Klimaschutz ausdrücklich im Artikel 20 des Grundgesetzes zu verankern. Es ist aber herrschende juristische Meinung, dass das Grundgesetz bereits zum Klimaschutz verpflichtet, auch wenn das Wort nicht direkt auftaucht. Ist Ihr Änderungsvorschlag nur symbolisch gemeint?

Nein! Für Symbolpolitik ist das Thema viel zu ernst. Uns geht es um ein konkretes Bekenntnis zu einer der Kernaufgaben unseres Staates. Das Ziel ist, dass man sich bei politischen Abwägungsprozessen stärker auf diesen Artikel berufen könnte, sodass die Entscheidungen im Zweifel fürs Klima ausfallen.

Ich will ein konkretes Beispiel nennen: Bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Braunkohle-Tagebau Garzweiler hätte es helfen können, wenn es eine entsprechende Formulierung im Grundgesetz gegeben hätte.

Für eine Grundgesetzänderung brauchen Sie eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Sie müssen also um die Unterstützung mehrerer Fraktionen werben. Der SPD-Politiker Klaus Mindrup beklagte sich bei der ersten Lesung Ihres Antrags im Bundestag, er habe davon erst kurz zuvor in der Zeitung erfahren – und warf Ihnen Schaufensterpolitik vor. Halten Sie für realistisch, dass Sie sich durchsetzen?

Der Vorwurf, Schaufensterpolitik zu betreiben, ist ja immer schnell gemacht. Tatsache ist aber: Derzeit finden verschiedene Gespräche über Grundgesetzänderungen statt. Unser Vorschlag ist notwendig, denn es geht um Generationengerechtigkeit und die Frage, in welchem Zustand unsere Generation den Planeten hinterlassen will. Dafür werben wir und versuchen die anderen Parteien zu überzeugen.

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