Claudia Kemfert. (Bild: Oliver Betke)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, der Bundestag beriet am Freitag erstmals über die Reform des Klimaschutzgesetzes. Künftig sollen nicht mehr einzelne Ministerien dafür verantwortlich sein, dass jeweils in ihrem Bereich die Vorgaben eingehalten werden, sondern die Bundesregierung als Ganzes. Kann es dem Klima nicht egal sein, wer Emissionen einspart – Hauptsache, Deutschland erfüllt sein Klimaziel?

Claudia Kemfert: Ohne die Sektorziele drohen die Klimaziele insgesamt verfehlt zu werden. Die einzelnen Minister:innen sind in der Verantwortung, die Emissionen in ihrem jeweiligen Bereich zu senken. Die Erfüllung der Klimaziele gerät sonst in Gefahr.

Dabei ist das gesteckte Klimaziel – 65 Prozent CO2-Minderung bis 2030 gegenüber 1990 – gar nicht ambitioniert genug, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Das Emissions-Budget schmilzt kontinuierlich. Mit der Gesetzesaufweichung droht sich die Ambitionslücke genauso zu verschärfen wie die Umsetzungslücke.

Besonders im Gebäude- und Verkehrssektor werden die Klimaziele deutlich verfehlt. Im Gebäudesektor wird mit dem Heizungsgesetz zumindest versucht, die Lücke nicht noch weiter aufklaffen zu lassen. Im Verkehrssektor gibt es kaum Ambitionen.

Durch die Reform des Klimaschutzgesetzes fällt nun ein zentraler Hebel der Nachjustierung weg. Das Klimaschutzgesetz wird entkernt. Das Gesetz zu schwächen, statt effektiven Klimaschutz zu betreiben, ist äußerst ungut.

Das Dramatische ist, dass es keinen Sektor gibt, der die ausbleibenden CO2-Einsparungen der Problem-Sektoren kompensieren könnte. Die Aufweichung der Sektorziele ist eine Katastrophe.

Der freiwillige CO2-Zertifikatehandel gerät immer heftiger in die Kritik und zumindest in Europa scheint der Markt auch zu reagieren. Sehen wir hier das Ende der freiwilligen Klimakompensation oder kann das System reformiert werden?

Es muss reformiert werden, so kann es jedenfalls nicht bleiben. Die Analysen zeigen ja überdeutlich, dass die eigentliche Idee – neben konkreter Emissionsminderung auch ein Ausgleich unvermeidbarer Emissionen – durch einen solchen freiwilligen Emissionsrechtehandel ohne konkrete Regeln und Ausgestaltungen für Greenwashing missbraucht wird. Dass ein Großteil der Projekte nicht aktiv zum Klimaschutz beiträgt, ist ein großes Problem.

Daher sollten nur solche Projekte zugelassen werden, die wirklich zum Klimaschutz beitragen, das heißt echte Emissionsminderung bringen. Klare Definitionen und Regeln müssen künftig verhindern, dass freiwillige Kompensationen nutzlos sind und vermeintliche Klimaneutralität als Alibi für Nichtstun missbraucht wird. Doppelzählungen sollten gänzlich verboten werden.

Aber das Kind sollte nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Es gibt ja durchaus gute Klimaschutzprojekte. Die sollten auch weiterhin unterstützt werden. Es muss immer gelten: Emissionen vermeiden statt kompensieren.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert, die Strompreisbremse bis 2024 zu verlängern und zu ergänzen. Danach sollen private Haushalte und Gewerbe maximal 35 Cent für die Kilowattstunde zahlen, kleine und mittlere Unternehmen zehn Cent netto plus Netzentgelte, Steuern, Abgaben und Umlagen. Der energieintensiven Industrie sollen sechs Cent netto garantiert werden, sofern sie eine Transformationsverpflichtung eingeht und eine Standort- und Beschäftigungsgarantie gibt. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Ich bin nach wie vor kein Fan von Preisbremsen, auch wenn ich sehr viele Intentionen dahinter verstehe. Vor allem einkommensschwache Haushalte werden durch hohe Energiepreise überproportional belastet. Sie sollten entlastet werden. Aber nicht, indem die Energiebranche, die ohnehin üppige Gewinne einfährt, durch Steuergeld subventioniert wird.

Die Unternehmen treiben die Preise künstlich in die Höhe, um dann hohe Kompensationen durch Preisbremsen zu bekommen. Mögliche Absenkungen von Steuern kommen nie bei den Kunden an, dafür steigen die Margen der Konzerne weiter.

Die fossilen Preise sinken derzeit, am Markt könnten die Preise viel niedriger sein. Preissteigernde Faktoren werden sofort an Kunden weitergegeben, preissenkende nicht, und wenn, dann erheblich zeitverzögert. Die am Markt sinkenden Preise sollten bei allen ankommen.

Gezielt einkommensschwachen Haushalten kann geholfen werden, in dem sie beispielsweise ein Klimageld bekommen. Einnahmen dafür können generiert werden durch die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen oder durch eine Abschöpfung der gigantischen Gewinne fossiler Unternehmen.

Die beste Energiepreisbremse ist der schnellere Ausbau erneuerbarer Energien. Davon können vor allem mittelständische, aber auch energieintensive Unternehmen profitieren. Zudem sollte das Energiesparen belohnt werden, das Energieeffizienzgesetz gibt dafür wichtige Impulse. Dann kann auch die Transformation gelingen.

Weitere Zugeständnisse an Unternehmen, die die Transformation verzögern, halte ich für ökonomisch und ökologisch falsch. Die Transformation der Unternehmen kann durch andere Maßnahmen viel besser erreicht werden als durch eine Energiepreis-Subventionierung: gezielte verbilligte Kredite, Bürokratieabbau, schnelle Sondergenehmigungen für Transformationsprojekte, Energiesparanreize, schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien, bessere Digitalisierung, Fachkräfte-Booster.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Rubrik müsste diesmal umbenannt werden in "Schockwelle der Woche": Das war für mich die Entscheidung der britischen Regierung, Klimaschutzmaßnahmen zurückzufahren.

Eigentlich hatte England gute Klimaschutzziele, wie ein Verkaufsverbot für Benzin- und Dieselautos für 2030, das nun wohl auf 2035 verschoben werden soll. Auch der verpflichtende Austausch von Gasheizungen durch Wärmepumpen ist ein guter Plan, er soll ebenfalls entschärft werden.

Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Es scheint, als finden dort ähnliche Diskussionen statt wie in Deutschland, Klimaziele werden immer weiter aufgeweicht. Es ist alles nur noch schockierend

Fragen: Jörg Staude