Jahrzehntelang verfehlte Deutschland die Ziele zur Absenkung des Energieverbrauchs. Doch nun konnte ersten Auswertungen zufolge der Gas- und Stromverbrauch besonders ab der zweiten Hälfte 2022 deutlich gesenkt werden.

Daten der Bundesnetzagentur zeigen: Der Stromverbrauch ging um fünf bis acht Prozent zurück. Vergleicht man die Quartale drei und vier des Jahres 2022 mit den entsprechenden Zeiträumen der vorhergehenden vier Jahre, sank der Gasverbrauch sogar um rund 20 Prozent.

Bild 1: Stromverbrauch (links) und Gasverbrauch (rechts) pro Quartal seit 2018. (Grafik: Umweltbundesamt)

Die Minderung hielt im ersten Quartal dieses Jahres an, und selbst im zweiten Quartal setzt sie sich nach vorläufigen Zahlen fort, beim Stromverbrauch stärker als beim Gasverbrauch (Bild 1).

Auch witterungsbereinigt bleiben die Einsparungen in ähnlicher Größenordnung, wie die Bundesnetzagentur beim Gasverbrauch zeigt (Bild 2). Das haben auch Expert:innen der Hertie School mit einer sogenannten Regressionsanalyse festgestellt.

Bild 2: Einsparung beim Gasverbrauch seit August 2022 gegenüber dem Zeitraum 2018 bis 2021: Reale (blau) und temperaturbereinigte Werte (gelb) in der Industrie (links) und in Haushalten und Gewerbe (rechts). (Grafik: Bundesnetzagentur)

Trotz der deutlichen Senkung des Energieverbrauchs brach die Bruttowertschöpfung des produzierenden Gewerbes 2022 nicht signifikant ein, schon gar nicht in dem Maße, wie der Gasverbrauch zurückging. Zudem übertrifft die Bruttowertschöpfung im ersten Quartal 2023 wieder die letzten drei Vergleichszeiträume (Bild 3).

Wir stehen also nicht schlecht da. Es gab umfassende Einsparungen, die offensichtlich nicht vorrangig auf die günstige Witterung und auch nicht auf Zusammenbrüche in der Industrie zurückzuführen sind.

Zusammenspiel aus Politik und Information

Noch ist es zu früh, die Minderung einer genauen Auflistung einzelner Maßnahmen und Instrumente zuschreiben zu können. Aller Voraussicht nach aber beruht die Einsparung auf einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren.

Balkendiagramm: Die Bruttowertschöpfung der Industrie lag in den letzten Jahren auf gleichbleibend hohem Niveau, bis auf einen 20-prozentigen Einbruch im zweiten Quartal 2020.
Bild 3: Bruttowertschöpfung des produzierenden Gewerbes pro Quartal seit 2018. Offenbar gab es keine Produktions-Rückgänge oder Industrie-Abwanderung. (Grafik: Umweltbundesamt)

Dazu gehören Verhaltensänderungen in Bevölkerung und Wirtschaft – solidarisch oder mit Wettbewerbscharakter – sowie emotionale Bindungen, beispielsweise nach dem Motto "Putins Energie können wir uns sparen".

Hinzu kamen die Lenkungswirkung durch Preissignale sowie ordnungsrechtliche Maßnahmen wie die Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig und mittelfristig wirksame Maßnahmen.

Flankiert wurde dies durch Energiesparaufrufe und -kampagnen vieler unterschiedlicher Akteure als informatorische Instrumente. Exemplarisch kann dafür die Kampagne der Bundesregierung "80 Millionen gemeinsam für Energiewechsel" stehen.

Die Entwicklung macht Hoffnung, eine zarte zwar, aber immerhin – und sie wurde möglich, obwohl die genannten Maßnahmen allesamt in der "Krisen"-Situation mit heißer Nadel gestrickt wurden und vielfach noch umfassender hätten ausfallen können.

So hatte der Effizienzbranchenverband Deneff zu Beginn der "Energiekrise" ein umfangreiches "historisches Energiesparpaket" vorgeschlagen. Auch das Umweltbundesamt hatte kurzfristig weitere Vorschläge gemacht.

Auch dem Effizienzgesetz wurden die Zähne gezogen

Doch was passiert nun in dieser Situation, kaum dass der Winter hinter uns liegt?

Die erwähnten, auf Zeit angelegten Kurz- und Mittelfrist-Verordnungen zur Energiesicherung sind ausgelaufen, ohne verlängert oder neu aufgelegt zu werden.

 

Die aktuellen Motive der Energiewechsel-Kampagne der Regierung konzentrieren sich auf den Ausbau der Erneuerbaren, als sei Energiesparen nicht mehr so wichtig.

Und den beiden vielversprechendsten Politikinstrumenten wurden noch vor Inkrafttreten die Zähne gezogen:

Die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes hat sich schon bei einer relativ simplen technischen Fragestellung wie dem Tausch von Heizungsanlagen fast zur Koalitionskrise ausgewachsen. Und dabei wurden notwendige Energiespar-Elemente wie bessere Energiestandards für die schlechtesten Gebäude überhaupt noch nicht angefasst.

Zudem hatten Expert:innen seit Jahren auf das Energieeffizienzgesetz gehofft, um endlich einen Rahmen für eine stabile Trendwende hier zu bekommen.

In der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, dass das Effizienzgesetz vom durchaus praktikablen Referentenentwurf über die Kabinettsfassung bis zum parlamentarischen Verfahren Schritt für Schritt so verwässert wurde, dass fast keine verbindlichen Maßnahmen übriggeblieben sind.

Als hätten die letzten Dekaden nicht gezeigt, dass Freiwilligkeit nicht ausreicht, um die wirtschaftlichen Effizienzpotenziale umfänglich zu aktivieren.

Was jetzt zu tun ist

Was bräuchte es? Zunächst gilt es, Energiesparen und Effizienzwende viel stärker als Chance zu begreifen und dies auch so zu kommunizieren. Die dazu passenden politischen Strategien müssen entsprechend anspruchsvoll sein, um Deutschland dauerhaft zur "Effizienzrepublik" zu machen.

Zudem sollten überkommene Abwehrreflexe nicht immer wieder eine Bühne bekommen, sobald es um konkrete Gesetzgebung geht. So erfüllen zahlreiche Unternehmen bereits ambitionierte Regeln und fordern diese sogar öffentlich, wie sich einmal mehr bei der Diskussion um Rechenzentren im Rahmen des Effizienzgesetzes gezeigt hat.

Porträtaufnahme von Matthias Weyland.
Bild: privat

Matthias Weyland

ist studierter Politik­wissen­schaftler und seit 2013 wissen­schaft­licher Mitarbeiter am Umwelt­bundes­amt im Fach­gebiet Energie­effizienz. Die hier wieder­gegebene Meinung muss nicht notwendig mit der des Umwelt­bundes­amts überein­stimmen.

Während große Branchenverbände wie Bitkom gegen die geplanten Effizienzvorgaben oder die Verpflichtung zur teilweisen Nutzung der Abwärme wetterten, zeigten kleine und innovative Anbieter, dass die Vorgaben erreichbar und im internationalen Vergleich moderat sind. Am Ende wurden die Effizienzvorgaben im Verfahren verwässert.

Eine energiesparsame Republik gefährdet nicht den Standort Deutschland, sondern ist im Gegenteil eine enorme Chance, unterstützt die Transformation der Industrie und macht sie zukunftsfest. Sie ist dauerhafter Jobmotor, steigert die Resilienz der Wirtschaft, erhöht die Energiesicherheit der ganzen Gesellschaft und ist nicht zuletzt unerlässlich zum Erreichen der Klima- und Energieeffizienzziele.

Das Gute daran: Effizienz­politik ist in der Regel auch Sozialpolitik, denn sie schützt verletzliche Gruppen vor explodierenden Energiepreisen und Abhängigkeiten, seien es Rentner:innen in großen Wohnungen, Mieter:innen mit veralteten Gasheizungen oder Menschen mit stromfressender Geräteausstattung.

Was ist also zu tun? Sechs – nicht abschließende – Empfehlungen.

1. Den Rahmen ambitioniert gestalten

Überall dort, wo der Rechtsrahmen zum Energieverbrauch und zur Energieeffizienzsteigerung betroffen ist, muss gelten: Setzt den Rahmen maximal ambitioniert. Das betrifft das Energieeffizienz- und das Gebäudeenergiegesetz genau wie andere Handlungsfelder, etwa die Produkteffizienz, die über das europäische Ökodesign angesprochen wird.

2. Mutig aus den Krisen lernen

Wir alle haben mit Corona und der "Energiekrise" anstrengende Zeiten hinter uns. Aber wir haben auch viel gelernt und es wurde deutlich, dass die Bevölkerung oft viel weiter ist als gemeinhin angenommen.

Beim Energiesparen gab es mit der Kurz- und Mittelfristverordnung erstmals kreativere Maßnahmen gegen Energieverschwendung. Es gibt keinen Grund, in den alten Trott zurückzufallen und zum Beispiel die Bürgersteige im kommenden Winter wieder über offene Ladentüren zu beheizen oder Werbeflächen und öffentliche Gebäude nachts bis zum Exzess zu beleuchten. Die Maßnahmen sollten verstetigt und ausgebaut werden.

3. Auf energiefressende Anwendungen verzichten

Im Winter ist der befürchtete Heizlüfter-Einsatz ausgeblieben. Aber auch im Sommer gibt es keinen Grund, energie- und stromfressende Anwendungen zu betreiben. Dies gilt besonders für Klimaanlagen und Raumluftgeräte. Auf Wäschetrockner kann generell, aber besonders leicht im Sommer, verzichtet werden.

Warum nicht die anstehenden Sommerferien nutzen, den Gefrier- und Kühlschrank mal wieder abzutauen und am besten über den Sommerurlaub abgeschaltet zu lassen? Darüber hinaus gibt es zahlreiche Tipps, wie Deutschland krisenfester werden kann.

4. Energiesparen zum öffentlichen Wettbewerb machen

Nachdem die Einspareffekte rückblickend sichtbarer werden, kann ein öffentlicher Wettbewerb helfen, den Ehrgeiz der Bevölkerung zu erhalten und erprobte Praktiken fortzuführen.

Öffentlich beworbene Zielwerte, motivierende Teilnahme von Prominenten, die Überprüfung eigener Einsparerfolge, eine Verknüpfung etwa mit laufenden Energiesparkampagnen steigern die Wirkung.

5. Energiesparkampagne zielgerichtet fortsetzen

Aktuell fokussiert die laufende Kampagne "80 Millionen gemeinsam für Energiewechsel" aus dem Bundeswirtschaftsministerium stark auf erneuerbare Energien. Inhaltlich sollte gerade der Sommer genutzt werden, um das Energiesparen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, zum Beispiel mit jahreszeittypischen Tipps: Wärmedämmung ist auch Hitzeschutz! Leinentrocknung für Wäsche! Auf Klimageräte verzichten!

Auch organisatorisch kann die Kampagne deutlich effektiver werden: aktivierende Ansprache aller Haushalte, Online-Mikro-Targeting, Verknüpfung mit Energiesparwettbewerben, prominente Platzierung über Formate wie "Energiesparen vor acht" oder "Klima vor acht" statt "Börse vor acht", gut kommunizierbare Ziele wie "eine Million Energiespar-Haushalte in einer Woche".

6. Wohnflächen-Effizienz einleiten

Die erfolgreiche Sensibilisierung in der Bevölkerung sollte genutzt werden, damit notwendige dickere Bretter gebohrt werden können.

Beim Energieverbrauch ist eines dieser "Bretter" die Wohnflächen-Wende und die bessere Nutzung von Wohnfläche. Kommunen könnten die geteilte Nutzung von schwach belegten Wohnungen und Häusern – etwa nach dem Auszug der Kinder – unterstützen, indem sie eine Wohnbörse anbieten, die die Vermittlung von Untervermietungen und Unterstützung bei kleineren Arbeiten bis hin zum vollständigen Vermietungsmanagement übernimmt.

Wie so oft hat dies multiple Benefits: Reduzierung des Neubaubedarfs und Wohnungsdrucks, kurzfristige Unterbringungsmöglichkeiten etwa für Geflüchtete und mehr.

Im Neubau hilft eine ressourceneffiziente und modulare Bauweise, für die es inzwischen anregende Beispiele gibt. Eine gute Übersicht bietet eine aktuelle Studie im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, und auch das Umweltbundesamt hatte schon vor einigen Jahren erste Anregungen gegeben.

 

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