Wie viel Methan verursacht der Tagebau Reichwalde östlich von Boxberg? (Bild: Frank Vincentz/​Wikimedia Commons)

1.440 Tonnen Methan hat der Abbau von Braunkohle in den deutschen Tagebauen 2022 offiziell verursacht. Das entspricht Treibhausgasemissionen von 40.000 Tonnen CO2‑Äquivalent.

Damit ist die Freisetzung von Methan bei der Braunkohle-Förderung in Deutschlands Tagebauen vergleichsweise gering. Fürs selbe Jahr beziffert das Umweltbundesamt die gesamten Methanemissionen auf 1,6 Millionen Tonnen.

Doch an den Zahlen in den Treibhausgas-Inventaren und Projektionsberichten der Bundesregierung gibt es Zweifel. Die Emissionen könnten massiv unterschätzt sein. Das legt eine Analyse nahe, die das Londoner Analyseinstitut Ember Climate und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) heute gemeinsam vorgelegt haben.

Demnach könnte die Braunkohlegewinnung in Deutschland 184-mal mehr Methan emittieren als offiziell angegeben. Dann wären die Methanemissionen des deutschen Energiesektors im Jahr 2021 fast doppelt so hoch wie bislang angenommen. Die gesamten Methanemissionen Deutschlands könnten damit um 14 Prozent höher liegen. 

Methan ist nach Kohlendioxid das zweitwichtigste Treibhausgas, das die Klimakrise befeuert. In der Atmosphäre wird es zwar nach rund zwölf Jahren zu Kohlendioxid abgebaut, aber es wirkt viel stärker als dieses: In einem Zeitraum von 20 Jahren ist Methan 80-mal so klimaschädlich wie CO2

Deutschland rechnet mit pauschalem Emissionsfaktor

Wie kommen die offiziellen Zahlen zustande? Deutschland ermittelt die Methanemissionen mithilfe eines einheitlichen Emissionsfaktors für alle Tagebaue in der Republik. Dabei wird ein Wert von 0,011 Kilogramm Methan je Tonne Braunkohle angenommen. Die Zahl stammt aus Messungen des einstigen Kohlekonzerns Rheinbraun im Jahr 1989, der vor über 20 Jahren in RWE aufgegangen ist.

Für die Untersuchung verglich Ember den von Deutschland verwendeten Methanemissionsfaktor mit Daten von Braunkohleproben aus Polen und Griechenland. Ergebnis: Deutschland schätzt den Methangehalt um 40- bis 100‑mal niedriger ein als bei In‑situ-Messungen in polnischen Braunkohletagebauen – obwohl Deutschland davon ausgeht, dass seine Braunkohle mit der aus Polen vergleichbar ist.

 

Allerdings variiert der Methangehalt in der Kohleschicht vertikal wie auch horizontal erheblich. Der Messwert aus dem Rheinland könne deshalb nicht repräsentativ für ganz Deutschland angenommen werden, heißt es in der Analyse. Auch fehle eine wissenschaftliche Überprüfung des Emissionsfaktors.

Bereits frühere Studien haben festgestellt, dass Deutschland seine Methanemissionen aus den Braunkohletagebauen unterschätzt. "Methan ist in der Kohle selbst enthalten, in den Kohleflözen und auch in der sogenannten Umgebungsschicht", erläuterte Sabina Assan, Methanexpertin bei Ember und Autorin der Analyse. "Beim Abbau wird der gesamte Bereich um und unter der Kohle gestört und das enthaltene Methan – etwa in Gaseinschlüssen – wird direkt in die Atmosphäre entlassen", so die Physikerin und promovierte Umweltwissenschaftlerin.

Ausgehend von den geförderten Braunkohlemengen und den Methangehalten aus den polnischen Braunkohleproben schätzt Ember die Methanemissionen aus den deutschen Tagebauen auf etwa 256.000 Tonnen Methan jährlich. "Die Förderung von Kohle ist eine bedeutende Methanquelle. In der EU emittiert der Kohleabbau mehr Methan als Erdöl und Erdgas", sagte Assan.

Auch im Rahmen der Ember-Studie ausgewertete Satellitenbilder zeigen eine besonders hohe Methanfreisetzung aus den Tagebauen Hambach und Welzow-Süd sowie aus den Tagebauseen des Lausitzer Seenlands.

Umwelthilfe fordert Mess-Offensive

Um das genaue Ausmaß der Unterschätzung in den einzelnen Sektoren beziffern zu können, fordert die Deutsche Umwelthilfe nun eine großangelegte Mess-Offensive. Das sei notwendig, um die größten Reduktionspotenziale zu finden und zu heben, so die Organisation.

Die europäische Methan-Verordnung, über die das EU-Parlament heute abstimmt, sieht vor, dass die Unternehmen erst Ende 2025 erste messbasierte Methanemissionsberichte vorlegen sollen. "Angesichts des Ausmaßes der Verfehlung bei den berichteten Braunkohleemissionen fordern wir Klarheit, es muss jetzt schon nachgemessen werden", sagte Julian Schwartzkopff von der DUH.

Auch in Bereichen, die die Verordnung nicht abdecke – wie etwa in der Landwirtschaft – brauche es eine Verpflichtung zur Messung und Verifizierung der Methanemissionen. Nur dann könnten diese wirksam und effizient gemindert werden, so Schwarzkopff. Die Datenlücke habe auch eklatante Auswirkungen auf die Emissionsberichte und Prognosen der Bundesregierung, weil die Methanemissionen massiv unterschätzt würden.

Die Betreiber der Braunkohletagebaue messen laut eigener Auskunft bereits die Methanemissionen. In der Lausitz zählen dazu direkte Messungen des Methangehalts in den Tagebau-Sedimenten. "Für die Messung sind daher sehr genaue Verfahren notwendig", erklärte ein Sprecher des Lausitzer Kohlekonzerns Leag auf Anfrage.

"Aus den bisherigen Ergebnissen geht hervor, dass in keinem Lausitzer Tagebau der bereits gemeldete, deutschlandweit einheitliche Methanemissionsfaktor überschritten wird", so der Sprecher. Auf die Umsetzung der geplanten EU-Methanverordnung sei die Leag gut vorbereitet.

Mit der Verordnung schreibt die Europäische Union erstmals Maßnahmen zur Methanregulierung vor. In den Sektoren Erdöl, Erdgas und Kohle müssen Unternehmen künftig Methanemissionen messen, melden und überprüfen.

Zudem sind sie angehalten, Maßnahmen zur Reduzierung dieser Emissionen zu ergreifen – etwa gegen Leckagen bei der Förderung und dem Transport fossiler Rohstoffe. Weiterhin sieht die Verordnung Regeln für das Abfackeln sowie ein Verbot des routinemäßigen Ablassens von Methan vor.

Weil die EU 80 Prozent ihres Öl- und Gasbedarfs importiert, sollen die Vorgaben ab 2026 auch für Energieimporte gelten – allerdings werden diese Regeln erst schrittweise bis 2030 eingeführt. Darüber hinaus fordert die Deutsche Umwelthilfe eine Gasbeschaffungsstrategie. "Die Bundesregierung muss darauf achten, möglichst nur Erdgas mit den niedrigsten Methanemissionen zu beschaffen", sagte Schwartzkopff.

Besonders methanintensiv ist das Fracking-Gas, das aus den USA in Form von Flüssigerdgas (LNG) nach Deutschland importiert wird. Der Umwelthilfe zufolge übersteigen die Leckage-Raten hier teilweise zehn Prozent der geförderten Gasmenge. Die Importe sollten deshalb auf ein Minimum reduziert werden. Besser sei der Bezug von Gas aus Norwegen, das weltweit die niedrigsten Methanintensitäten aufweise.

Außerdem müsse Deutschland seine Zusage aus dem "Global Methane Pledge" ernst nehmen. Laut dieser internationalen Selbstverpflichtung sollen die weltweiten Methanemissionen bis 2030 um 30 Prozent im Vergleich zu 2020 sinken. In dem Rahmen hat auch Deutschland versprochen, Maßnahmen zur Methanminderung im eigenen Land voranzutreiben. 

"Wir brauchen eine sektorübergreifende Methanstrategie mit Minderungszielen", forderte DUH-Experte Schwartzkopff. Konkrete Ziele und Maßnahmen für die einzelnen Sektoren sollten helfen, den Methanausstoß zu verringern – besonders in der Landwirtschaft, dem Sektor mit den höchsten Methanemissionen, der aber nicht von der Methanverordnung abgedeckt ist.