Mehrere Blöcke des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde aus der Nähe, die Kühltürme dampfen.
Sicherheitsbereitschaft nur vorgetäuscht? (Foto: Julia Seeliger/​Flickr)

Fangen wir beim Gesetz an, beim Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). In dem steht seit 2016 ein Paragraf 13g. Der bestimmt, dass insgesamt 2.700 Megawatt deutscher Braunkohleverstromungskapazität nach und nach in eine sogenannte Sicherheitsbereitschaft wechseln. Und wenn vier Jahre in der Habachtstellung um sind, werden die Anlagen endgültig stillgelegt.

Die damals regierende Groko wollte damit zum einen ein paar Millionen Tonnen CO2 einsparen (wie viele es genau sind, kann leider niemand sagen), zum anderen sollte die "Bereitschaft" suggerieren, der Kohlestrom würde irgendwie noch gebraucht.

Das damalige Bundeswirtschaftsministerium lobte, die Sicherheitsbereitschaft sei – nach Netz- und Kapazitätsreserve – das "dritte Sicherheitsnetz" des Stromsystems für den Notfall. Vor allem sollte auch das Personal an Bord bleiben und einen sozial verträglichen Kohleausstieg signalisieren.

Und tatsächlich kommt jetzt die Not übers Land. Putin droht, den Gashahn zuzudrehen, und damit das Stromnetz nicht kollabiert, sollen auch sicherheitsbereite Braunkohleblöcke ab November Strom liefern können. Neben drei Blöcken von RWE im Rheinland sind das auch zwei große 500-Megawatt-Anlagen im Lausitzer Leag-Kraftwerk Jänschwalde.

Der Paragraf 13g bestimmt dabei ziemlich genau, was die Bereitschaft für die Blöcke bedeutet. Danach müssen die Betreiber "jederzeit" sicherstellen, dass die Anlagen nach einer Vorwarnung durch den Netzbetreiber innerhalb von 240 Stunden betriebsbereit sind – also innerhalb von zehn Tagen. Nach weiteren 13 Stunden müssen sie dann die Nettoleistung erbringen.

Dass ihre Anlagen diese Voraussetzungen erfüllen, müssen die Kraftwerksbetreiber vor Beginn der Sicherheitsbereitschaft gegenüber dem zuständigen Übertragungsnetzbetreiber nachweisen.

Also: Ein Anruf von Netzbetreiber und nach anderthalb Wochen muss der Strom fließen. Das ist alles ziemlich unmissverständlich geregelt.

Umweltauflagen immer nur bekämpft

Die Ministerpräsidenten von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt müssen das Gesetz jedoch irgendwie anders verstanden haben. Denn jüngst schickten die drei ostdeutschen Braunkohleländerchefs ein Schreiben an Wirtschaftsminister Robert Habeck und forderten für die alten Kohleblöcke eine generelle Ausnahmeregelung beim Immissionsschutz.

Die Blöcke entsprächen nicht mehr den voriges Jahr verschärften Immissionsschutzauflagen, erklärten Dietmar Woidke (SPD), Michael Kretschmer und Reiner Haseloff (beide CDU) laut Medienberichten. Eine Nachrüstung bis zum kommenden Winter sei ausgeschlossen.

Auch der Kraftwerksbetreiber Leag sieht in den immissionsrechtlichen Vorgaben derzeit noch unüberwindbare Hürden für seine beiden sicherheitsbereiten Blöcke in Jänschwalde. Für die Dauer ihres Einsatzes müssten die Anlagen von den Auflagen der 13. Verordnung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes befreien werden, verlangt die Leag. Sie nachzurüsten wie die anderen Leag-Kraftwerksblöcke, sei in der Zeit bis zu einem Dauerbetrieb nicht möglich.

Zur Erläuterung: Die verschärften Immissionsschutzauflagen resultieren aus einer EU-Vorgabe, der sogenannten Bref-Richtlinie, die in Brüssel bereits im April 2017 beschlossen wurde, also vor mehr als fünf Jahren. Um deren Umsetzung haben sich die deutschen Kraftwerksbetreiber aber mit allen möglichen fadenscheinigen Argumenten herumgedrückt.

Die letzte Frist der EU zur Umsetzung lief im August 2021 ab. Die Vorgaben wurden also nicht, wie die Ministerpräsidenten behaupten, erst im vorigen Jahr verschärft. Die Kraftwerksbetreiber wussten seit Langem, was da unausweichlich auf sie zukommt.

Um die gesetzliche Pflicht einzuhalten, ihre Blöcke in zehn Tagen ans Netz zu bringen, bekamen die Kohlebetreiber auch noch jede Menge Geld von den Stromkunden. Früher wurde dafür die Summe von 1,6 Milliarden Euro für alle 2.700 Megawatt über den Zeitraum von 2016 bis 2023 genannt.

Die "Sicherheitsbereitschaft" war weder sicher noch bereit

Wie viel die Leag für die vier Jahre Sicherheitsbereitschaft ihrer beiden Jänschwalder Blöcke E und F erhält, hat die Bundesnetzagentur in entsprechenden Beschlüssen festgelegt. Die konkreten Zahlen sind in den Dokumenten aber geschwärzt.

Hunderte Millionen Euro dürften es dennoch sein, die der Leag bisher schon zugeflossen sind. Wofür hat sie das Geld ausgegeben? Hätte sie damit nicht auch die Nachrüstung beim Immissionsschutz bezahlen müssen?

Und warum sucht die Leag zur Wiederinbetriebnahme jetzt plötzlich zusätzliches Personal von bis zu 200 Mitarbeitern, von denen nach Unternehmensangaben erst rund 100 gefunden sind?

Die Wahrheit ist: Zu keiner Zeit haben die Betreiber damit gerechnet, dass die Blöcke jemals wieder Strom erzeugen. Die Sicherheitsbereitschaft war tatsächlich eine verkappte Stilllegung, mit der man sich teure Nachrüstungen und jede Menge Personalkosten ersparen konnte. Das Gerede von "dritten Sicherheitsnetz" war nie mehr als hohles Geschwätz.

Wie immer hatten die Politik und die braunkohlegefeuerte Branche ein stillschweigendes Übereinkommen: Wir schreiben euch ein paar Pflichten auf und ihr nickt die ab, aber so richtig ernst sind die nicht gemeint.

Nur mit Putins Krieg hatte der kohlepolitische Komplex wirklich nicht gerechnet. Aber was soll's, da gibt es doch noch immer die drei Ost-Ministerpräsidenten, die sich stets gern als Erfüllungsgehilfen eines Energiekonzerns hergeben.

Dabei müssten die drei Länderchefs eigentlich fordern, dass das Unternehmen zumindest einige Millionen, die für die Sicherheitsbereitschaft flossen, an die Stromkunden zurückgibt. Denn das Geld wurde offensichtlich nicht für den vorgeschriebenen Zweck eingesetzt, die Blöcke nach zehn Tagen unter Strom zu haben. Das wäre eigentlich das übliche Vorgehen, wenn Gesetze verletzt werden.

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