Andreas Knie. (Bild: David Außerhofer)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.

Klimareporter°: Herr Knie, in Berlin steht Verkehrssenatorin Manja Schreiner von der CDU unter massiver Kritik, seit sie alle Radwegeprojekte gestoppt hat. Inzwischen steht fest, dass mehrere fertig geplante Radwege nicht gebaut werden. Kritik kommt von Aktivist:innen, Kommunalpolitik und Opposition – und auch aus der Verkehrswissenschaft. Was sagen Sie dazu?

Andreas Knie: Verkehrspolitisch sind die Messen in den Städten weltweit längst gelesen: Überall in den großen Ballungszentren geht es darum, die Planungen der 1950er und 1960er Jahre zu korrigieren.

Damals funktionierten Städte überwiegend als Transiträume, um schnell mit dem Auto die Großsiedlungen, Eigenheimquartiere und Gewerbezentren zu erreichen. Seit vielen Jahren ist klar, dass dies für Städte kein nachhaltiger Weg ist.

Die Kompaktheit der Räume, die Vielfalt der Menschen kann nur dann für alle gut funktionieren, wenn die Dominanz des Autos zurückgenommen und mehr Platz für Fußverkehr und Radwege gewonnen wird. Dies belebt die Quartiere und schafft auch neue Kaufkraft für den Einzelhandel.

Niemand in Berlin wird sich diesem Trend widersetzen wollen, auch und gerade nicht die Mobilitätssenatorin.

Obwohl in den letzten Jahren gegen Extremhitze mehr Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, erleiden in Europa weiter Zehntausende jährlich den Hitzetod, überwiegend Frauen, wie eine neue Analyse zeigt. In Deutschland wird nun der erste Hitzeaktionsplan auf Bundesebene erarbeitet. Warum sind wir so spät dran?

Wir in Deutschland leben von der Verdrängung. Wir glaubten jahrelang, die Vorreiter im Klima- und Umweltschutz zu sein. Tatsächlich sind wir alle autohörig und haben den Knall noch nicht gehört.

Wir versiegeln durchschnittlich jeden Tag knapp 35 Hektar allein für die Verkehrsinfrastruktur. Das bedeutet, dass wir jeden Tag eine Fläche so groß wie 17 Fußballfelder zubetonieren. Wir bauen die Verkehrsinfrastruktur ohne Sinn und Verstand aus, als ob es kein Morgen gäbe.

Die Folgen dieser Politik haben wir nicht auf dem Schirm. Der Hitzeaktionsplan ist wieder nur eine unbeholfene Reaktion, der das ganze Elend der deutschen Klimapolitik zeigt: Sie findet einfach nicht statt.

Wenn wir nicht sofort mit einer konsequenten Entsiegelung unserer Städte beginnen, wird in den nächsten Jahren die Zahl der Hitzetoten weiter drastisch steigen. Aber das ist dann Schicksal und nicht der Rede wert, während der Protest der Klimakleber als terroristischer Akt diffamiert wird.

Die einzige deutsche Industriebranche, deren CO2-Ausstoß 2022 zunahm, waren die Raffinerien. Hauptursache ist die hohe Nachfrage nach Treibstoffen, vor allem nach Kerosin. Nach dem Ende der Pandemie frohlocken die Airlines über eine steigende Nachfrage bei zugleich steigenden Preisen. Ist dagegen kein Kraut gewachsen?

Die Luftfahrtbranche ist noch nicht wieder dort, wo sie vor Corona war. Innerdeutsch fliegt immer noch nur rund die Hälfte der Menschen und ins Ausland sind es auch erst 80 Prozent des Volumens vor der Pandemie.

Würde man die völlig übertriebene und unsinnige Subventionierungen der vielen Regionalflughäfen stoppen und die Zubringerflüge an die großen Hubs in Frankfurt am Main, München und Düsseldorf verbieten, dann könnte der gesamte Flugverkehr dauerhaft deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau bleiben.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Elektromobilität floppt und keiner bekommt es mit. Um die wegen der Klimaziele festgelegte Menge von 15 Millionen Fahrzeugen zu erreichen, hätte der Anteil der batterieelektrischen Fahrzeuge an den Neuzulassungen im ersten Halbjahr dieses Jahres bei knapp 65 Prozent liegen müssen.

Tatsächlich waren es aber nur 16 Prozent. Benziner liegen mit 37 Prozent deutlich darüber. Selbst Dieselfahrzeuge wurden – trotz aller Skandale und Manipulationen in Deutschland – mit 17 Prozent häufiger zugelassen als Batteriefahrzeuge.

Es gibt dafür drei Gründe: Das Verbot für Verbrennerfahrzeuge ist dank deutscher Intervention praktisch vom Tisch, die Ladeinfrastruktur – vor allem das "Deutschlandnetz" – bleibt ein bürokratisches Monster und die Prämien für E‑Fahrzeuge sind fast alle ausgelaufen, während die Verbrenner immer noch von Steuerprivilegien und Dieselsubventionierung profitieren.

Ergebnis: Nach heutigem Stand wird überhaupt kein Zielwert des Klimaschutzgesetzes im Verkehr auch nur annäherungsweise erreicht.

Fragen: Jörg Staude