Porträtaufnahme von Andreas Knie.
Andreas Knie. (Foto: David Außerhofer)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung. Sein Steckenpferd ist das Verkehrswesen von morgen.

Klimareporter°: Herr Knie, im Wahljahr steigen Deutschlands CO2-Emissionen wieder auf das Niveau vor Corona, zeigt uns eine Studie des Thinktanks Agora Energiewende. 2021 könnte allein der Verkehr bis zu zehn Millionen Tonnen CO2 mehr ausstoßen als vorgesehen. Bringen die eine Million E-Autos, die in Deutschland schon fahren, gar nichts? 

Andreas Knie: Wir werden im Verkehr in den Jahren 2020 und 2021 durchaus eine kleine Delle bei den CO2-Emissionen haben. Das liegt daran, dass generell die Verkehrsleistungen in diesen beiden Jahren im Schnitt um zehn bis 15 Prozent zurückgegangen sind. Zwar konnten die Füße und das Fahrrad bei den Verkehrsleistungen mächtig punkten, die Dominanz des Autos bleibt aber.

Wir haben zurzeit noch nicht einmal 500.000 batterieelektrische Fahrzeuge auf den Straßen. Die Mehrzahl der E-Autos sind Hybridfahrzeuge, die im Schnitt zu über 90 Prozent im Verbrennermodus unterwegs sind und dabei mehr CO2 ausstoßen als vergleichbare Diesel- oder Ottomotoren. E-Autos allein retten uns also nicht.

Ein viel größerer Stellhebel könnte das Homeoffice oder das zeit- und ortsflexible Arbeiten generell werden. Wenn mehr als 30 Prozent der Beschäftigten an drei Tagen nicht ins Büro oder zur Arbeitsstätte fahren, dann können die arbeitsplatzbezogenen Wege und die damit verbundenen Emissionen auf 50 Prozent fallen.

Um den Klimawandel wirklich zu bekämpfen, müssen wir unser Leben umstellen. Mit Technik allein geht's nicht.

Mit einer Milliarde Euro in einem "Zukunftsfonds"will die Bundesregierung die deutsche Automobilindustrie bis 2025 unterstützen, damit diese klimafreundliche Fahrzeuge baut. Auch soll Regionen geholfen werden, deren Unternehmen stark unter dem kommenden Strukturwandel leiden. Kritiker sagen, die Autokonzerne machen trotz Corona wieder Milliardengewinne und bekommen jetzt noch öffentliches Geld obendrauf. Braucht die Autoindustrie den Zukunftsfonds überhaupt?

Die Autohersteller und ihre Zulieferer liefern zwar eine hohe Produktqualität, sie sind aber leider völlig pfadabhängig. Die Autobranche kann das, was sie kann, aber sie kann nur das. Selbst die Änderung des Antriebsstrangs ist schon eine Überforderung gewesen und wird bislang nur von VW konsequent versucht.

Am Übergang zu Sharing- und Plattformökonomien sind die Hersteller genauso gescheitert wie beim autonomen Fahren. Deutsche Autobauer sind und bleiben Blechbiegeanstalten – es ist daher längst überfällig, hier neuen Wind hineinzubringen.

Ob die Zulieferer dazu den Mut haben, muss man aber leider bezweifeln. In der Regel gilt hier die alte Volksweisheit: Mitgegangen, mitgehangen.

Bei der Deutschen Bahn hat der nächste Lokführerstreik begonnen. In der Öffentlichkeit wird spekuliert, bei der Auseinandersetzung gehe es weniger um Löhne und die Altersversorgung der Beschäftigten als darum, welche Bahn-Gewerkschaft die Interessen der Beschäftigten besser vertritt. Wie sehen Sie den Konflikt?

Die Bahn ist eine Beute von Managern und Gewerkschaftsführern, die dieses Verkehrssystem selten nutzen, aber kräftig davon profitieren. Beide Seiten erwägen einen längeren Konflikt, die Streikfolgen sind ihnen schlicht egal – sie fahren ja mit dem Firmenwagen.

Die Bahn steht in jedem Fall vor einer grundlegenden Reform. Die Aufteilung von Stationen, Netz, Nah- und Fernverkehr in unterschiedliche Einheiten mit teilweise konkurrierenden Zielen hat sich nicht bewährt.

Über den eigentlichen Skandal bei der Schiene, die Billiglöhne im Schienenpersonennahverkehr als Folge der extremen Ausschreibungspraktiken, wird aber nicht geredet – und es interessiert auch die Gewerkschaftsführer nicht. Hier werden Zugführer und Zugbegleiter nur knapp über dem Mindestlohn bezahlt.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Überraschung jeder Woche ist, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom März, die Klimapolitik hier und heute drastisch zu verschärfen, um die Freiheitsrechte auch morgen noch zu garantieren, offenkundig im Alltag völlig verpufft.

Als der Euro in die Krise geriet, hat Zentralbankchef Mario Draghi den unbedingten Rettungswillen der Währungshüter mit den berühmten Worten "whatever it takes" dokumentiert und auch danach gehandelt. Einen Mario Draghi der Klimarettung gibt es offenkundig nicht.

Fragen: Jörg Staude