Ein rotes Auto steckt in einem grünen Müllcontainer.
Für eine sozial-ökologische Verkehrswende hätte es bessere Konzepte gegeben als nur eine hohe E-Auto-Prämie, sagt Verkehrsforscher Holzapfel. (Foto: Zoran Karapančev/​Shutterstock)

Klimareporter°: Herr Holzapfel, der Streit über die Autoprämie entzweit SPD und Gewerkschaften. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel meint sogar, die Entscheidung gegen eine Förderung von Benzin- und Diesel-Autos sei "grün-populistisch", Arbeitnehmerinteressen hätten bei der aktuellen SPD-Parteispitze zu wenig Rückhalt. Richtig?

Helmut Holzapfel: Das ist doch arg holzschnittartig gedacht. Fakt ist: Die SPD hat in den letzten Jahren – war da nicht auch Herr Gabriel Vorsitzender? – inhaltlich auf vielen Feldern an Qualität verloren, sie ist auf Kurssuche. Gerade auch in der Verkehrspolitik.

Der Verzicht auf eine Prämie für klassische Benzin- und Diesel-Pkw aus allgemeinen Steuergeldern war zwar richtig, denn jetzt verkaufte Autos werden im Schnitt wohl 15 Jahre auf der Straße bleiben, und wir müssen von den hohen CO2-Emissionen im Verkehr runter.

Aber das ist ja noch kein zukunftsfähiges Modell für eine ökologische Transformation und die Zukunft von Arbeit hierzulande. Da gehören SPD, Umweltschützer, IG Metall und Querdenker aus der Industrie an einen Tisch, um ein Konzept für die Beschäftigung generell im Verkehrssektor zu entwickeln.

Aber es stehen jetzt Jobs auf der Kippe, wenn der Absatz von Verbrennern nicht wieder richtig anspringt.

Richtig. Hierfür hätte es bessere Konzepte gegeben. Es wurden in Gewerkschaften, Autoindustrie und Politik Kompromisse diskutiert, die eine Förderung sparsamer, also relativ klimafreundlicher Verbrenner aus Mitteln der Erhöhung der Mineralölsteuer vorsahen. Das hätte fürs Klima einiges gebracht, da höhere Spritpreise die Fahrleistung bei allen Verbrennern gesenkt hätten.

Und die Einnahmen hätten wohl auch für eine Mobilitätsprämie für alle gereicht, die man auch für Rad, E-Bike und Jahreskarte für Bus und Bahn hätte ausgeben können. Das scheiterte an der starren und denkfaulen Haltung der Beteiligten, etwa von VW-Chef Herbert Diess.

Nun gibt es eine sehr hohe Prämie für Elektroautos – bis zu 9.000 Euro. Die deutschen Hersteller haben aber nur wenige Modelle im Angebot, und die Lieferfristen sind lang. Hat die Prämie da überhaupt Sinn?

Nur begrenzt. Das Angebot muss zwar schnell größer werden. Und da E-Autos zurzeit im Betrieb wegen der niedrigen Spritpreise teurer sind als manche Verbrenner, brauchen wir im Verkehr baldigst eine höhere CO2-Abgabe als geplant und eine Steuerpolitik, die auch sparsame Verbrenner und Fahrweisen fördert. Die geplante stärkere Orientierung der Kfz-Steuer am CO2-Ausstoß ist ein zu kleiner Schritt.

Auf der anderen Seite wirkt Corona wie ein Nachbrenner für das private Auto. Viele Pendler haben Sorge, sich in Bussen und Bahnen anzustecken, und fahren nun lieber mit dem privaten Pkw. Was bedeutet das für die Verkehrswende?

Das sehe ich nicht so negativ. Aktuelle Zahlen zeigen, dass gerade der Rad- und Fußverkehr enorm profitiert haben und die Menschen begeistern. Die E-Bike-Verkäufe boomen geradezu.

Bei Bussen und Bahnen waren wir vor Corona bereits auf dem Weg zu einem Qualitätssprung, der nun noch dringender wird: bessere Klimatisierung, saubere Innenluft durch gute Schadstofffilter, größere Fahrzeuge, breite Sitze – angenehmer und sicherer als im Flugzeug. Das muss weitergehen.

Aber Betreiber von Bahnen und Bussen haben wegen Corona gewaltige Einnahmeausfälle – von bis zu sieben Milliarden Euro ist die Rede. Was muss da passieren?

Helmut Holzapfel
Foto: ZMK

Helmut Holzapfel

leitet das Zentrum für Mobilitäts­kultur in Kassel. Der Bauingenieur, Stadtplaner und Verkehrs­wissen­schaftler lehrt an der Universität Dortmund. Bis 2015 war er Professor am Institut für Verkehrs­wesen der Uni Kassel. Er ist Mitglied im Integritäts­beirat des Autobauers Daimler und berät Gewerkschaften sowie Umwelt­verbände. Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung erschien jetzt mit ihm als Mitautor eine Studie zur Verkehrs­wende.

Die Finanzausfälle im ÖPNV müssen, wie bei anderen Bereichen, kompensiert werden. Ich denke auch, der Zuspruch zu Bus und Bahn wird schnell wieder steigen. Eine Mitfahrt im Taxi oder im Uber-Auto kann ja durchaus riskanter für eine Infektion sein.

Der Bund stellt im Konjunkturprogramm immerhin eine Milliarde Euro für die Bahn und 2,5 Milliarden für den ÖPNV zur Verfügung. Kein guter Anschub?

Die Bundesländer hatten allein fünf Milliarden für den ÖPNV gefordert, und das war schon die Untergrenze. Da muss der Bund nachlegen.

Was muss sonst geschehen, um die Verkehrswende gerade in Corona-Zeiten voranzubringen?

Lokal kann viel passieren – siehe zum Beispiel Brüssel, wo das Auto gerade durch Maßnahmen der Stadtverwaltung zunehmend durch Fahrrad, Busse und Bahnen abgelöst wird. Hier können unsere Stadt- und Gemeindeparlamente und Behörden viel lernen. Radwege sind zu erweitern, auch das Zu-Fuß-Gehen muss attraktiver werden.

Und apropos Corona: Gerade wegen des Abstandsgebots müssen auch bei uns Gehwege und Fahrradspuren konsequent freigehalten werden. Fürs Zuparken gibt es inzwischen deutlich höhere Strafen. Es wird aber kaum kontrolliert, das muss besser werden.

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