In der Mena-Region lässt sich Solarstrom besonders günstig erzeugen. Für den Wasserstoff fehlt noch das Wasser. (Bild: Xie Yuliang/​Shutterstock)

Deutschland und Europa brauchen Wasserstoff, gleich aus mehreren Gründen. Einmal, um den klimafreundlichen Umbau der Industrie zu bewerkstelligen, etwa in der Chemie- oder der Stahlproduktion.

Dann, um damit Backup-Kraftwerke für Zeiten der "Dunkelflaute" CO2-frei betreiben zu können – die Bundesregierung hat dazu gerade ihre Kraftwerksstrategie veröffentlicht. Und zu guter Letzt für die Anwendung im Flug- und Schiffsverkehr, um Kerosin und Diesel zu ersetzen.

Das Problem: Grünes H2 in den benötigten Mengen kann nach Meinung der meisten Fachleute nicht in Europa hergestellt werden. Hier setzt nun eine neue Analyse an. Sie untersucht, wie das Gas aus den sonnenreichen Regionen Nordafrikas und des Nahen Ostens nach Europa transportiert werden könnte.

Die Idee, Wasserstoff aus der sogenannten Mena-Region in Europa nutzbar zu machen, entstammt dem Konzept "Desertec 3.0", das von der Industrieinitiative Dii Desert Energy mit Sitz in Dubai entwickelt wurde. Es handelt sich quasi um eine Fortentwicklung des Wüstenstrom-Projekts Desertec, das nach 2009 Furore machte.

Damals hatte eine von dem deutschen Solarforscher Gerhard Knies auf den Weg gebrachte Stiftung die Vision einer Solarstrom-Versorgung für Europa aus Nordafrika vorgestellt und große Unternehmen dafür begeistert, darunter Eon, RWE, Siemens, die Deutsche Bank und ABB. Sie bildeten gemeinsam die Desertec Industrial Initiative (Dii). Die Konzerne witterten ein großes Geschäft, zogen sich jedoch wieder zurück, als sich die Umsetzung verzögerte.

Die Initiative Dii Desert Energy, inzwischen in den Emiraten angesiedelt, arbeitete jedoch weiter an Energiekonzepten für die Region, in der praktisch alle Länder inzwischen die Chancen der bei ihnen reichhaltig verfügbaren Solar- und Windenergie erkannt haben und wahrnehmen – vor allem für den eigenen Bedarf.

Dabei geht es nicht nur um die Stromproduktion, die hier zu konkurrenzlos niedrigen Kosten möglich ist. Auch die Herstellung von grünem Wasserstoff und grünem Ammoniak, der gut per Schiff transportiert werden kann, ist geplant.

Pipelines "zehn- bis zweimal günstiger als Schiffstransport"

Hier setzt die neue, groß angelegte Untersuchung an. Es geht darum, wie die grüne Energie am besten in die Industriezentren Europas transportiert werden kann. Erstellt wurde die Analyse von dem Münchner Ingenieurunternehmen ILF Beratende Ingenieure gemeinsam mit der von Dii Desert Energy initiierten Mena Hydrogen Alliance.

Weltweit gibt es mehrere Regionen, in denen Ökostrom sehr billig produziert werden kann, weil die Sonne oft scheint und/​oder viel Wind weht. Fachleute nennen hier neben Australien, Chile und Westafrika vor allem Nordwestafrika und die Arabische Halbinsel – letztere haben den Vorteil der Nähe zu Europa.

Der Wasserstoff könnt in den Sonnenregionen laut Studien für etwa 2,50 Euro pro Kilogramm produziert werden, während es bei in Deutschland hergestelltem Wasserstoff auch im Jahr 2050 noch rund 3,80 Euro sein würden.

"Bereits bestehende Gaspipelines im Mittelmeer können nach Umrüstung emissionsfrei produzierten Wasserstoff kostengünstig nach Europa transportieren", schreiben die Autoren. (Bild: ILF/Dii)

Nach Informationen der Desertec-Initiative wird in den Regionen südlich des Mittelmeers derzeit an nicht weniger als 75 Projekten zur Herstellung von grünem Wasserstoff gearbeitet. Die Untersuchung zeige, "dass darin eine große Chance für Europa liegt", sagte der Chef von Dii Desert Energy, Cornelius Matthes.

Um den Wasserstoff oder seine "Derivate" nach Norden zu bringen, bietet sich laut der Analyse als kostengünstigster und schnellster Weg die Nutzung bereits bestehender Erdgaspipelines von Nordafrika nach Europa an. Diese liegen zumeist im westlichen Teil des Mittelmeers, zum Beispiel zwischen Algerien und Spanien.

Der Vorteil sei hier: Sie ließen sich mit relativ geringem Aufwand auf Wasserstoff umrüsten und mit dem geplanten europäischen Wasserstoff-Kernnetz EHB (European Hydrogen Backbone) verbinden, das unter anderem Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland bedienen soll.

Aber auch neu zu bauende, speziell auf den Wasserstofftransport ausgelegte Pipelines können laut der Untersuchung "ausgesprochen kostengünstig" betrieben werden. Genannt werden Transportkosten von 19 bis 80 Cent pro Kilogramm Wasserstoff, je nachdem, ob nur nachgerüstet oder neu gebaut wird. Das sei "zehn- bis zweimal günstiger als der Schiffstransport".

Seeweg bleibt Alternative

Trotzdem bleibt der Seeweg nach Ansicht der ILF-Autoren eine interessante Alternative. Die Gründe: Der Investitionsaufwand ist geringer als beim Pipelinebau, und es gibt eine größere Flexibilität bei den Transportwegen. Dies könne die Kostennachteile ausgleichen.

Als Transportmedium bietet sich hier in erster Linie Ammoniak an. In vielen Häfen besteht dafür bereits eine Transportinfrastruktur, weil das Gas als Rohstoff in der Chemieindustrie verwendet wird. "In vielen Fällen kann es direkt genutzt werden, aber auch die Aufspaltung in Wasserstoff und Stickstoff ist mit bewährten Verfahren möglich", so Dii Desertec Energies.

Allerdings treten dabei Energieverluste auf. Ändern kann sich das laut Dii durch laufende Entwicklungsvorhaben, um Ammoniak direkt als Energiequelle zu nutzen. Unter anderem arbeite der MAN-Konzern an entsprechenden Schiffsmotoren.

Interessant seien auch andere Transportmedien für Wasserstoff wie das Gas Dimethylether (DME). Hier sehen die ILF-Analysten zwar noch Entwicklungsbedarf, doch aufgrund seiner hohen Energiedichte habe DME für die Zukunft erhebliches Potenzial.

 

Matthes erwartet, dass die emissionsfrei erzeugten Gase – Wasserstoff und seine Derivate wie Ammoniak – zu "Commodities" werden, zu weltweit gehandelten Produkten. Und er sagt voraus: "Wer sich den kostengünstigen Zugang sichert, wird im internationalen Wettbewerb deutliche Vorteile haben."