Kunden stehen vor einem Solar-Laden in einem Holzhaus.
Modul-Angebot bei "Adam's Solaire" in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. (Foto: Martin Wegmann/​Wikimedia Commons)

Die Vision sieht so aus: Ökostrom wird in Westafrika produziert und fließt von einem Land zum anderen. Es gibt überall Leitungen, wo sie gebraucht werden, der Stromhandel ist fair, es gibt keine Versorgungsengpässe, die Effizienz ist hoch. Alle Menschen haben Zugang zu Strom und können ihn auch bezahlen. Gleichzeitig sinken die Treibhausgasemissionen – der Klimawandel schwächt sich ab.

Eine Utopie? Tatsächlich soll in Westafrika innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit Realität werden, worum Europa sich seit mehr als 20 Jahren bemüht: ein gemeinsamer Strommarkt. Im Juni 2018 wurde das Großprojekt der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas, zu der 15 Länder gehören, offiziell eröffnet. Die Vorarbeiten dafür hatten 2006 begonnen.

Bereits 2020 soll reger Stromhandel von Nigeria bis Senegal und von Mali bis Ghana stattfinden. Vom Strommarkt ausgenommen ist lediglich der Inselstaat Kap Verde, rund 60 Kilometer westlich von Senegal im Atlantik gelegen, der eine Selbstversorgung mit 100 Prozent Grünstrom anstrebt.

Ziel ist ein klimafreundlicher Strommarkt für die Staatengemeinschaft, basierend auf erneuerbaren Energien und guter Energieeffizienz. Das liegt aber noch in weiter Ferne. Nur 42 Prozent der rund 350 Millionen Menschen, die in der Ecowas leben, haben überhaupt Strom. Wo die Netze hinkommen, ist die Versorgung oft unzuverlässig, der Strom teuer – und aus Sonne, Wind und Co stammt bislang auch nur ein Bruchteil. Leitungen von Land zu Land müssen an vielen Stellen erst noch gebaut werden.

Dazu kommen die Herausforderungen, die die Zusammenarbeit vieler Staaten mit sich bringt und unter denen auch die Europäische Union leidet: Die Regulierung muss gemeinsam festgelegt oder entschieden, die Steuer- und Preispolitik angeglichen, Normen und Standards, Umweltvorschriften und Sicherheitsauflagen müssen angepasst werden. Marktzugang, Transparenz, Verbraucherschutz, Versorgungssicherheit – all das ruft nach einer Menge Gesetzen, Richtlinien und Verordnungen.

Unterstützung für dieses ambitionierte Projekt bekommt die Ecowas unter anderem aus Deutschland. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) arbeitet in einem regionalen Energieprogramm mit der Ecowas-Kommission zusammen, um die Grundlagen dafür zu legen.

Das aktuelle Projekt mit einer Laufzeit von 2018 bis 2020 baut auf einem Vorgängervorhaben auf, das die Rahmenbedingungen für netzgebundene erneuerbare Energien in der Region verbessert hat. So wurden beispielsweise standardisierte Energieverträge, Vereinbarungen zur Netzwerkverbindung für Erneuerbare-Energien-Projekte und Public-Private-Partnership-Verträge entwickelt.

Zum Vorgängerprogramm gehörte außerdem die Beratung mehrerer Ecowas-Länder hinsichtlich einer Methodik zur Berechnung der Tarife für erneuerbare Energien und der Einspeisevergütung für Eigenerzeuger. Zudem entstand ein Regulierungsrahmen, der Gesetze und Durchführungsvorschriften vorsieht. Die Erfahrungen bereits bestehender netzgebundener Erneuerbaren-Projekte in der Region wurden dokumentiert und verbreitet.

Fortbildung vonnöten

Im aktuellen Programm arbeitet die GIZ vor Ort mit drei Partnern zusammen: dem Ecowas-Zentrum für erneuerbare Energien und Energieeffizienz mit Sitz in Kap Verde, dem Westafrikanischen Stromverbund WAPP mit Sitz in Benin und der regionalen Regulierungsbehörde für den Elektrizitätssektor der Ecowas mit Sitz in Ghana.

Zu den Fachleuten, die an unterschiedlichen Standorten und in verschiedenen Bereichen in dem Programm tätig sind, gehört Sonja Zahed. Sie ist zuständig für Kapazitätsentwicklung und arbeitet in Cotonou, dem ökonomischen Zentrum Benins. "Die Stromversorger in Westafrika haben Schwierigkeiten, qualifizierte Leute zu finden", erklärt Zahed. Zwar gebe es in der Region durchaus Fortbildungseinrichtungen, allerdings seien diese von sehr unterschiedlicher Qualität.

Hier setzt die GIZ zusammen mit dem WAPP an, der 35 größtenteils öffentliche Energieversorgungsunternehmen vereint. Der WAPP hat fünf Trainingszentren von Energieversorgern ausgewählt, die er zu regionalen Exzellenzzentren ausbauen will. Mit zwei von ihnen, in Ghana und der Elfenbeinküste, arbeitet die GIZ bereits eng zusammen.

"Wir haben zum Beispiel einen Kurs zur Integration variabler erneuerbarer Energien im Verteilnetz entwickelt und die Trainer der beiden Zentren ausgebildet, damit sie den Kurs in der Region anbieten können", sagt Zahed. Die traditionellen Energiebereiche seien für die Mitarbeiter der Energieversorger kein Problem, aber "mit erneuerbaren Energien oder beispielsweise Stromabnahmeverträgen in Verbindung mit Erneuerbaren kennen sie sich nicht aus. Hier setzen wir an."

Die Qualifikation ist in den 15 Ecowas-Ländern sehr unterschiedlich. Ein Blick auf die Lage in Benin zeigt aber tiefergehende Probleme auf, die für die ganze Region typisch sind: In dem kleinen Küstenstaat mit rund elf Millionen Einwohnern haben 61 Prozent der Menschen gar keine Schulbildung. Nur 16 Prozent der Mädchen und Jungen besuchen eine weiterführende Schule, und nur drei Prozent absolvieren eine Hochschulausbildung.

Andreas König, GIZ-Landesdirektor in Benin, kritisiert zudem, dass das Bildungssystem – wie in anderen Ländern der Region auch – nicht auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet sei. Nur drei Prozent der weiterführenden Schulen seien Berufsschulen. Große Herausforderungen bestünden in der Qualität dieser Schulen und darin, das Berufsbildungssystem zu finanzieren.

Den Stromverlusten beikommen

Die Weiterbildung von Mitarbeitern der Stromversorger ist daher wichtig – aber nur ein winziger Baustein in einem komplexen Gesamtkonstrukt. Ein weiteres Problem, das die GIZ angeht, sind die zum Teil erheblichen Stromverluste in den Verteilnetzen. Benins staatlichem Stromversorger Société Béninoise d‘Energie Electrique (SBEE) geht beispielsweise rund ein Viertel des Stroms verloren: 2017 waren es 23 Prozent, 2016 fast 24 Prozent.

Neben der Erfassung, die einen wichtigen ersten Schritt darstellt, hat sich die SBEE mit Hilfe der GIZ auch auf die Suche nach den – teilweise technischen, teilweise nichttechnischen – Ursachen der Verluste gemacht. Michel Degbo, Leiter der Abteilung Verlustreduzierung bei der SBEE, sagt: "Die Hauptursache sind veraltete Stromzähler bei den Kunden, die nicht präzise arbeiten."

Die Zähler stellt die SBEE selbst zur Verfügung, sie muss also in die Technik investieren und neue Geräte anschaffen. Doch wie bezahlen? Hier kommt wiederum die GIZ ins Spiel. In früheren Zeiten hätte Entwicklungshilfe vielleicht darin bestanden, moderne Zähler zur Verfügung zu stellen. Heute hilft man den Verantwortlichen im Unternehmen dabei, ein förderungswürdiges Projekt auf die Beine zu stellen.

"Eine Finanzierung zu bekommen, ist nicht so einfach", erklärt Zahed. "Dabei ist vieles zu beachten. So sollte der Projektvorschlag mit der Darstellung der Gesamtverluste beginnen. Zudem sollte eine Aufschlüsselung in technische und nichttechnische Verluste enthalten sein, nicht zu vergessen der Geldwert – das will gelernt sein."

Strompreise wie in Deutschland

Selbstverständlich ist die Situation nicht überall in Westafrika gleich. Senegal und Ghana sind beispielsweise auf einem guten Entwicklungspfad, und Nigeria hat aufgrund seines Ölreichtums eine relativ hohe Wirtschaftskraft. Doch von den 15 Mitgliedsländern des Staatenbundes stuft die Weltbank zwölf als "Länder mit geringem Einkommen" ein, der untersten von vier Kategorien. Nur Nigeria, Ghana und die Elfenbeinküste gelten als "Länder mit mittlerem Einkommen im unteren Bereich", der zweiten Kategorie.

Und im Human Development Index (HDI), mit dem die Vereinten Nationen die menschliche Entwicklung messen und der auch Bildung berücksichtigt, ist Benin keineswegs das Schlusslicht: Es rangierte 2017 auf Platz 163 von 189 erfassten Staaten und damit im oberen Mittelfeld der Ecowas-Staaten. Auch der HDI-Letztplatzierte Niger gehört zu der Gruppe.

Die mangelnde und unzuverlässige Versorgung mit Strom ist eins der größten Entwicklungshemmnisse in Westafrika. Benin bezieht zum Beispiel mehr als vier Fünftel seines Stroms vom großen Nachbarn Nigeria. Wenn der nicht liefert, hat Benin ein akutes Versorgungsproblem. Das war etwa 2015 der Fall, als Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, selbst mit Engpässen zu kämpfen hatte. Gleichzeitig ging in Benin der Spritpreis durch die Decke.

Von dieser Abhängigkeit will das Land schnellstmöglich wegkommen: "Das wichtigste Ziel der derzeitigen Regierung ist es, innerhalb von drei Jahren eine stabile Stromversorgung mit eigenen Anlagen zu erreichen und die Energiesicherheit auf nationaler Ebene sicherzustellen", sagt Gildas Bankole, regionaler Experte bei der GIZ für Strommarkt und Verteilnetze. Dafür würden zum Beispiel Gaskraftwerke gebaut.

Auch Solaranlagen breiten sich aus, bislang aber vor allem in Form von kleinen Photovoltaik-Anlagen für den Hausgebrauch. Solche Systeme gibt es in zahlreichen kleinen Straßengeschäften als Komplettset zu kaufen. Wer sich die Investition leisten kann, profitiert letztlich auch finanziell, denn der Strom aus dem Netz kostet in Benin etwa so viel wie in Deutschland – während das Durchschnittseinkommen rund 50-mal niedriger ist.

In Benin lebt mehr als ein Drittel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze, auf dem Land ist es sogar jeder Zweite. Nur jeder dritte Beniner hat einen Stromanschluss. Es gibt auch kaum Industrie in dem Land und nur wenige Autos. Das hat zur Folge, dass der CO2-Ausstoß 2016 nur bei 0,6 Tonnen pro Person lag. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 9,5 Tonnen.

Die große Transformation der Wirtschaft, die in Deutschland so viele Probleme bereitet, ist hier also kaum ein Thema. In Westafrika geht es noch um Aufbau.

Milliarden fürs Klima

Dieses Wachstum hier und in anderen Entwicklungsländern nachhaltig zu gestalten, gehört zu den wichtigsten Aufgaben Deutschlands im Rahmen seines internationalen Engagements für den Klimaschutz. Für Klimafinanzierung, also die Unterstützung von Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungs- und Schwellenländern, hat die Bundesregierung 2017 rund 3,65 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln ausgegeben.

Das meiste davon floss im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit: 84 Prozent der Mittel stammten aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – auch der Teil für das Ecowas-Strommarkt-Projekt der GIZ. Mit 47 Prozent wanderte fast die Hälfte des Geldes nach Afrika. 2020 sollen vier Milliarden Euro in die Klimafinanzierung fließen, doppelt so viel wie 2014.

Miteingerechnet sind die Zahlungen an den Green Climate Fund, das wichtigste Instrument für die internationale Klimafinanzierung. Seinen Beitrag dazu hat Deutschland im vergangenen November, kurz vor der Weltklimakonferenz im polnischen Katowice, ab diesem Jahr auf 1,5 Milliarden Euro verdoppelt.

Weil arme Länder wie Benin und andere Ecowas-Staaten es allein nicht schaffen können, haben die Industriestaaten – die als Hauptverursacher des Klimawandels eine besondere Verantwortung tragen – 2009 zugesagt, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen für Klimaschutz und -anpassung in Entwicklungsländern bereitzustellen.

Diese Zusage haben sie beim Klimagipfel in Paris 2015 bestätigt und erweitert: Demnach soll vor 2025 ein Finanzierungsziel gesetzt werden, das noch über die 100-Milliarden-Dollar-Marke hinausgeht.

Zu dem Geld aus dem Bundeshaushalt kommen auch noch Mittel, die Deutschland auf dem Kapitalmarkt aufnimmt. So sagte die KfW-Bankengruppe 2017 gemeinsam mit ihrer Tochtergesellschaft, der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), fast 3,1 Milliarden Euro in Form von Entwicklungs- und Förderkrediten, Beteiligungen und anderen Finanzierungen aus Kapitalmarktmitteln zu.

Zum Aufbau des gemeinsamen Strommarkts in der Ecowas trägt zum Beispiel die Finanzierung von Erzeugungs- und Übertragungsinfrastruktur durch die KfW-Entwicklungsbank bei. "Im Moment werden die Netze zwischen den Ländern gebaut", sagt GIZ-Experte Bankole – ein entscheidender Baustein für das Projekt.

Insgesamt summierten sich die öffentlichen Beiträge Deutschlands zur internationalen Klimafinanzierung 2017 laut BMZ auf rund 6,7 Milliarden Euro. Auch private Klimafinanzierung habe die Bundesregierung mobilisiert. Diese eingerechnet, lag der deutsche Beitrag den Angaben zufolge bei rund 7,2 Milliarden Euro.

Die Energiewende im eigenen Land förderte Deutschland im gleichen Jahr mit 13 Milliarden Euro, wie aus dem Subventionsbericht der Bundesregierung hervorgeht. Den weitaus größten Teil finanzieren aber die Bürger und Unternehmen.

Afrikas Uhren ticken manchmal schneller

In der Ecowas liegt der Knackpunkt nach Überzeugung der GIZ im gemeinsamen energiepolitischen Handeln der Mitgliedsstaaten – dessen Schwung dann auch für eine beschleunigte Energiewende auf nationaler Ebene sorgen könne. Das bedeutet, die regionalen Fachinstitutionen der Ecowas in der Ausübung ihrer Mandate und Funktionen zu stärken. Über die Fachinstitutionen können dann regional abgestimmte energiepolitische und -fachliche Vorgaben sowie Empfehlungen national umgesetzt werden.

Das klingt – auch mit Blick auf die Erfahrungen mit europäischer Bürokratie – langwierig und kompliziert. Doch entgegen gängigen Vorurteilen ticken die Uhren in Afrika zuweilen schneller als in Europa. Sonja Zahed, die beide Welten kennt, ist jedenfalls zuversichtlich: "Wenn ich mir ansehe, was bisher schon passiert ist, kann ich mir gut vorstellen, dass der Strommarkt bis 2020 Realität werden kann."

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