Bildmontage: Wasserstoff-Produktionsanlage auf Stelzen im Meer, rundherum Windkraftanlagen.
Die Offshore-Branche möchte "grünen" Wasserstoff künftig vor Ort in Nord- und Ostsee produzieren. (Bild: Alexander Kirch/​Shutterstock)

Klimareporter°: Herr Thimm, durch die Leitungen, durch die jetzt noch Erdgas zu den Verbrauchern strömt, soll künftig zu einem Teil "grüner" Wasserstoff fließen – das wollen viele Energieversorger, vor allem aus der Gasbranche. Ihr Offshore-Verband ist dagegen. Warum?

Stefan Thimm: Wir sind absolut nicht dagegen. Aber: Wenn der gesetzliche Rahmen nur die Integration von Wasserstoff ins Erdgasnetz vorsehen würde, dann kämen wir mit dem Aufbau einer reinen Infrastruktur für Wasserstoff nicht weiter.

Die ist aber nötig. Denn wir verfügen wir nicht überall im Land über ein Erdgasnetz, sehen aber jetzt schon erste Interessenten zum Beispiel aus der Industrie für grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien.

Uns ist wichtig, die Wertigkeit grünen Wasserstoffs zu erhalten. Unser Ziel ist ja, Deutschland und Europa zu dekarbonisieren. Natürlich müssen wir dafür zunächst möglichst viel elektrifizieren. Es gibt aber auch Anwendungen, bei denen wir auf synthetische Energieträger wie Wasserstoff angewiesen sind.

Deshalb müssen wir einen rechtlichen Rahmen schaffen, in dem es auch reine Wasserstoffnetze geben kann. Legen wir uns jetzt schon fest, nur das bestehende Erdgasnetz zu nutzen, dann haben wir am Ende einen Lock-in-Effekt und erreichen die Ziele der Energiewende nicht.

Was meinen Sie mit Lock-in-Effekt?

Dass wir uns auf die Wasserstoff-Beimischung und damit verbunden auf die Nutzung des Erdgasnetzes beschränken. Wir haben nichts dagegen, auch etwas Wasserstoff ins Gasnetz einzuspeisen – vor allem geht es uns aber darum, dass wir in der Lage sind, reine Wasserstoffnetze zu unterhalten. Hierfür müssen gleich von Anfang an die richtigen Weichen gestellt werden.

Neue Netze werden ja sicher in Richtung Küste gebraucht, um die künftige Wasserstoff-Erzeugung auf See anzubinden?

Das ist projektabhängig: Wo befindet sich das Verbrauchszentrum, und wo wird der offshore erzeugte Energieträger angelandet? Da gibt es schon erste Vorhaben und genau deshalb ist es so wichtig, die richtigen Voraussetzungen für eine reine Wasserstoffinfrastruktur zu schaffen.

Wasserstoffleitungen können übrigens auch dabei helfen, den Flaschenhals zu enger Stromleitungen zu umgehen, weil sie vergleichsweise viel mehr Energie transportieren können. Wichtig ist hier aber, dass Wasserstoff immer nur als Ergänzung, nicht als Alternative zur Elektrifizierung gesehen werden darf.

Die Offshore-Branche hat bereits zwei Meeresflächen "reserviert", wo mit Windstrom grüner Wasserstoff hergestellt werden soll. Wo sind die?

Eine befindet sich in der Nordsee und eine in der Ostsee. Für die Flächen brauchen wir aber zunächst noch ein entsprechendes Vergabesystem. Wichtig ist auch, dass wir hier schnell vorankommen, um die ersten Projekte spätestens 2025 umgesetzt zu haben. Mit funktionierenden Praxisprojekten wird es der Politik auch leichter fallen, zusätzliche Flächen zur Wasserstofferzeugung auszuweisen.

Eigentlich sind die bislang ausgewiesenen Flächen mit zusammen 35 Quadratkilometern viel zu klein. Hier ist maximal eine Erzeugung von 250 bis 300 Megawatt Strom für die Elektrolyse möglich. Damit lässt sich der in der nationalen Wasserstoffstrategie vorgesehene Beitrag von bis zu 5.000 Megawatt Wasserstoff aus Onshore- und Offshore-Wind nicht einmal annäherungsweise umsetzen.

Wir als Verband peilen die Marke von mindestens 2.000 Megawatt an, die bis 2030 offshore für grünen Wasserstoff geschaffen werden sollten. So ein konkretes Ziel ist für uns absolut essenziell.

Ihre Forderung nimmt sich recht bescheiden aus verglichen mit visionären Projekten für ganze Wasserstoff-Inseln mit Zehntausenden Megawatt. Sind die überhaupt realisierbar?

Natürlich sind große Projekte umsetzbar, wenn man hinreichend Flächen ausweist. Das ist die große Herausforderung.

Porträtaufnahme von Stefan Thimm.
Foto: BWO

Stefan Thimm

ist seit Anfang 2020 Geschäfts­führer des Bundes­verbands der Wind­park­betreiber Offshore (BWO). Er studierte Politik­wissen­schaften und Geschichte in Bonn und war ab 2002 beim Bundes­verband der Energie- und Wasser­wirtschaft (BDEW) tätig, ab 2009 als Fach­gebiets­leiter für erneuerbare Energien.

Wir müssen uns auch immer wieder vor Augen führen: "Nicht machbar" würde bedeuten, dass am Ende die Energiewende nicht gelingen wird. Diese zukunftsgewandten Projekte brauchen wir zwingend, wenn wir vollständig dekarbonisieren wollen. Das bedeutet: Wir müssen in der Lage sein, über unseren heutigen Horizont hinauszudenken.

Um da hinzukommen, müssen wir als Branche aber erst einmal zeigen, dass Wasserstofferzeugung auf See nicht nur eine Vision ist, sondern auch in der Praxis funktioniert. Die Technologien haben wir auf jeden Fall.

Dazu möchte ich ermutigen: Vor 30 Jahren habe ich mich als Schüler mit Photovoltaik-Zellen befasst. Da wurde uns immer wieder gesagt: "Na ja, für den Taschenrechner, da reicht's – aber, Leute, ein ganzer Haushalt ist damit nicht zu versorgen, niemals." Heute trägt die Photovoltaik ganz wesentlich zur Energiewende bei, und dasselbe sehen wir auch bei der Offshore-Stromerzeugung.

Und etwas ähnlich Positives werden wir auch bei Wasserstoff sehen. Wir müssen nur in die Lage versetzt werden, diese Technologie hochzuskalieren und industriell nutzbar machen. Das ist die Kunst.

Und solche Riesen-Wasserstoffinseln werden wir in der Nordsee vor unserer Haustür sehen?

Ja, klar, vielleicht auch in der Ostsee. Der Vorteil ist, dass wir auf See deutlich mehr Platz haben und auch mehr als nur ein Land über Offshore-Netzanschluss oder Wasserstoffpipeline anschließen können. Je integrierter und europäischer wir die Energiewende angehen, desto einfacher wird es.

Die deutsche Politik geht zurzeit eher davon aus, den größten Teil des grünen Wasserstoffs künftig zu importieren.

Ich warne davor zu sagen, wir importieren beispielsweise 80 Prozent des Wasserstoffs. Klar, wird es für grünen Wasserstoff einen globalen Markt geben. Aber wir müssen uns auch vor Augen führen, dass die Energiewende kein deutsches oder europäisches, sondern ein globales Projekt ist. Und auch die anderen Staaten dieser Welt werden dekarbonisieren und brauchen ihre Ressourcen selbst.

Wenn wir grünen Wasserstoff aus Südamerika oder Australien importieren, wird davon die Energiebilanz des Wasserstoffs nicht unbedingt besser. Wir müssen zusehen, so viel wie irgend möglich selbst zu machen. Das hat auch den Vorteil, dass wir damit gute Arbeitsplätze in Deutschland schaffen und in dieser Technologie auch Marktführer werden können.

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