Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.
Klimareporter°: Herr Hummel, bei der Energiewende gibt es für die neue Bundesregierung jede Menge Baustellen: hohe Strompreise, ein ungeliebtes Heizungsgesetz, eine kostenträchtige Erneuerbaren-Förderung und die offene Frage, welche Kraftwerke unser Stromsystem ab 2030 jederzeit stabil halten. Welche Baustellen sind für Sie die wichtigsten?
Oliver Hummel: Für die Dekarbonisierung der Sektoren Verkehr und Gebäude ist es von zentraler Bedeutung, Stromanwendungen attraktiver zu machen. Deswegen sollte die neue Bundesregierung sich zuerst der Frage annehmen, wie Strompreise für private und gewerbliche Endkunden dauerhaft und spürbar reduziert werden können.
Damit ließen sich drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Niedrigere Strompreise würden Unternehmen und Haushalten Luft für Investitionen verschaffen, sie würden die Sektorenkopplung beschleunigen und würden dazu beitragen, die Akzeptanz der Energiewende zu sichern.
Konkret benötigen wir eine Reform der Netzentgelte, die systemdienlichen Stromverbrauch belohnt und insgesamt zu einer Senkung der Entgelte führt, sowie eine Reduzierung der Stromsteuer auf das zulässige Minimum.
Bei anderen Baustellen fehlt mir aktuell der Glaube, dass es unter einem Bauleiter Merz besser wird. Weder beim Gebäudeenergiegesetz noch bei der Frage eines künftigen, auf erneuerbare Energien zugeschnittenen Strommarktdesigns habe ich bisher von der Union überzeugende Vorschläge vernommen, um es mal freundlich zu formulieren.
Aber wer weiß, die markigen Sprüche waren Wahlkampf, und der ist ja nun vorbei. Friedrich Merz ist herzlich eingeladen, sich zum Beispiel bei unserem Abwasserwärme-Quartier Lück in Köln davon zu überzeugen, wie 216 Wohnungen effizient, sicher und zu vernünftigen Preisen mit brennstofffreier Wärme versorgt werden können.
In ihrem Wahlprogramm spricht die CDU zwar davon, alle Erneuerbaren konsequent nutzen zu wollen, setzt aber auch auf die Option Atomenergie und will den Wiederbetrieb der zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke prüfen lassen. Haben Sie über den Sinn dieser Pläne schon mit Unionspolitiker:innen gesprochen?
Nicht in den letzten Wochen jedenfalls. Mussten wir ja auch gar nicht, immerhin hat selbst Eon-Chef Birnbaum erst am Mittwoch wieder den Atomphantasien der Union eine klare Absage erteilt. Der Drops ist gelutscht und die Union sollte sich nicht noch länger mit dieser Art der Selbstbeschäftigung aufhalten.
2024 erlebte der Ausbau der Photovoltaik mit einem Zuwachs um 16.200 Megawatt einen noch nie erreichten Boom. Ihr Unternehmen ist damit aber nicht zufrieden. Gerade auf Häusern, in denen mehrere Familien leben, passiere zu wenig Photovoltaik. Wie kommen Sie darauf?
Na, schauen Sie sich doch mal um! Auf Einfamilienhausdächern ist Photovoltaik je nach Region fast schon Standard, im klassischen Geschosswohnungsbau aber immer noch eine große Ausnahme. Das ist auch keine gefühlte Wahrheit, sondern lässt sich über das Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur nachvollziehen.
So erfreulich der Photovoltaik-Ausbau in den beiden letzten Jahren war, gibt es bei Mehrfamilienhäusern nach wie vor einen großen Aufholbedarf. Um möglichst breite Bevölkerungsschichten an der Energiewende teilhaben zu lassen und die Erneuerbaren auch in die Städte zu bringen, muss sich diese Lücke schließen.
Allerdings laufen jetzt schon Spekulationen heiß, durch den immensen Solarausbau könnte schon zu Ostern die "Ökostrom-Flut" so groß sein, dass gezielt Regionen vom Stromnetz genommen werden müssen. Ist die Gefahr real oder ist das schon wieder Panikmache?
Die Debatte wird auf einem sehr gesitteten Niveau unter Energieökonomen, Thinktanks, Verbänden und der Branche geführt. Ich habe da niemand im Verdacht, gezielt Panik zu machen. Und mit dem sogenannten Solarspitzengesetz, das vor knapp zwei Wochen auch den Bundesrat passiert hat, ist das Thema wirkungsvoll behandelt worden.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Von 879 Messstellenbetreibern haben fast 500 bis heute noch keinen einzigen Smart Meter eingebaut. Diese Zahl hat mich einigermaßen erschüttert, als ich sie vor ein paar Tagen gelesen habe.
Zur Einordnung: Gesetzlich definiertes Ziel ist, dass bis Ende des Jahres mindestens 20 Prozent der Stromkunden mit einem Jahresverbrauch von 6.000 bis 100.000 Kilowattstunden über einen Smart Meter verfügen.
Es war dringend nötig, dass die Bundesnetzagentur hier nun angefangen hat, Druck zu machen. Denn an der möglichst zügigen Verbreitung von Smart Metern hängt die Frage, ob es uns gelingt, in einem Stromsystem mit wachsendem Erneuerbaren-Anteil Erzeugung und Verbrauch effizient zusammenzubringen. Das ist eines der drängendsten Themen der nächsten Jahre.
Nicht zuletzt werden Kund:innen mit Smart Meter und dynamischem Tarif in die Lage versetzt, durch ihr Verbrauchsverhalten von hohen Erneuerbaren-Anteilen im Netz direkt zu profitieren. Die Messstellenbetreiber müssen also ihren Verpflichtungen unbedingt nachkommen.
Fragen: Jörg Staude