Klimareporter°: Herr Leiding, Sie schlagen eine Reform des Grünstromhandels vor, bei der die umstrittenen Herkunftsnachweise nicht abgeschafft oder im Einsatz beschränkt, sondern de facto neue Kategorien von Herkunftsnachweisen geschaffen werden. Mit denen sollen die Stromkunden den Ausbau der erneuerbaren Energien oder den Erhalt alter Ökostromanlagen unterstützen.
Schon jetzt verstehen die Verbraucher die Sache mit den Herkunftsnachweisen kaum. Wird es mit Ihrem Vorschlag nicht noch undurchsichtiger?
Jens Leiding: Die aktuelle Systematik des Grünstroms zu ändern würde viel Zeit kosten. Unser Ansatz zielt eher darauf ab, den Kauf von Grünstrom zu vereinfachen und mehr Transparenz zu ermöglichen. Als digitale Umsetzung würden zudem kaum zusätzliche Kosten anfallen.
Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, Kunden mittels eines QR-Codes auf der Stromrechnung einen transparenten Einblick in die jeweiligen Grünstromprojekte zu geben. Dann würde auch kein "Mäntelchen" in Form von Grünstromlabeln benötigt. Heutzutage gibt es ja eine Vielzahl solcher Labels, alle mit unterschiedlichen Ansprüchen und Kriterien.
Auch ein Siegel, das hundert Prozent erneuerbaren Strom zusichert, garantiert nicht, dass wirklich Geld in den Ausbau von erneuerbaren Anlagen fließt. Jedoch kann jeder durch Transparenz selbst beurteilen, ob und wie die Herkunftsnachweise im Portfolio zur Energiewende beitragen.
Würde sich Ökostrom mit Ihren "neuen" Herkunftsnachweisen verteuern?
Eine Verteuerung sehe ich nicht. Industriekunden zahlen heute schon 0,1 bis 0,2 Cent mehr für die Kilowattstunde Grünstrom, Privatkunden bis zu 2,5 Cent. Käme nur die Hälfte dieses Geldes bei Erzeugungsanlagen an, die zur Energiewende beitragen, müsste diese Diskussion gar nicht stattfinden.
Das System der Herkunftsnachweise steht unter dem Verdacht des Greenwashings, indem mit billig eingekauften Ökostromzertifikaten, meist aus anderen europäischen Ländern, in Deutschland fossiler in grünen Strom umgewandelt wird. Ist dieses Image mit Ihrem Vorschlag reparabel?
Den Begriff Greenwashing mag ich nicht. Grundsätzlich ist festzuhalten: Der Import von Herkunftsnachweisen, die zur Kennzeichnung des Ökostroms dienen, ist rechtlich verankert und legal. Gesetzeskonform zu handeln ist nicht zu verurteilen.
Die vorhandene Unübersichtlichkeit des Systems wird schnell als ein "Greenwashing" interpretiert, weil ein berechtigtes, aber nicht direkt belegbares schlechtes Gefühl vorhanden ist. Hierfür ist Transparenz die Lösung.
Um zu beurteilen, ob Grünstrom lediglich aus einem ins andere Land verschoben wird, muss man sich anschauen, welche Zertifikate denn importiert werden. Norwegen zum Beispiel hatte schon immer hundert Prozent Grünstrom in seinem Netz. Alle Erneuerbaren-Anlagen, die dort zusätzlich errichtet werden, dienen nicht der Versorgung Norwegens mit Strom, sondern dem Export.
Würde man nur Ökostromzertifikate aus solchen neuen Anlagen erwerben, leistet man einen Beitrag zur Energiewende. Eine Verwässerung träte nicht ein, da riesige Mengen an Zertifikaten aus den Bestandsanlagen im jeweiligen Land verbleiben würden. Länder mit einer hohen Grundverfügbarkeit an Ökostrom könnten aber eben ihre überschüssige Erzeugung exportieren.
Wollen Sie, dass auch EEG-geförderte Anlagen Herkunftsnachweise generieren können oder nur Anlagen außerhalb des EEG?
Eine Anlage, die eine EEG-Vergütung bekommt, sollte keine zusätzlichen Herkunftsnachweise generieren können. Die Einnahmesicherheit ist hier durch das EEG bereits gegeben.
Für ausgeförderte EEG-Anlagen gilt das jedoch nicht. Sie können ohne zusätzliche Einnahmen in vielen Fällen nicht mehr weiterbetrieben werden. Die entstehende Lücke würde wieder durch konventionelle Kraftwerke geschlossen werden.
Vor allem den Windanlagen fällt der Weiterbetrieb schwer, aufgrund hoher Pachten und der nötigen Wartungsarbeiten. Hier könnte eine zusätzliche Vermarktung von Herkunftsnachweisen die Wirtschaftlichkeit des Betriebs sichern.
Verstehen wir uns nicht falsch – kein System ist perfekt. Mittelfristig sind die alten Anlagen durch modernere und effizientere zu ersetzen. Hier fragt sich dann, wie lange es dauern wird, um eine alte durch eine neue Anlage abzulösen – mitsamt aller Planungen und Genehmigungen.
Unsere Grundidee ist, die grüne Wertigkeit der Erneuerbaren fair widerzuspiegeln, ohne den Strom aber dauerhaft unnötig zu verteuern. Daher endet in der von uns vorgeschlagenen Qualitätsskala die Wertigkeit des Herkunftsnachweises nach 15 Jahren.
Für Post-EEG-Anlagen wäre vielleicht ein Zeitraum von fünf Jahren passend. Wir haben uns hier noch nicht festgelegt. Jeder ist eingeladen, dies zu diskutieren und seine Ideen einzubringen.
Ein Argument, Herkunftsnachweise höherer Qualität zuzulassen, ist, dass sich die Erneuerbaren-Anlagen mit der Zusatzeinnahme besser am Markt behaupten können. Derzeit kosten Herkunftsnachweise teilweise deutlich weniger als einen Cent für die Kilowattstunde. Ist das relevant und hilfreich für die Betreiber?
Eine Einnahme für den Anlagenbetreiber von fünf bis zehn Prozent des heutigen Strompreises würde schon einen Effekt haben. Das wären – bei einem Strompreis von vier Cent je Kilowattstunde – 0,2 bis 0,4 Cent.
Dieser Anteil am Erlös würde es Banken ermöglichen, diese Einnahmequelle als zusätzliche risikotragende Komponente bei Finanzierungen zu berücksichtigen und letztere somit zu erleichtern. Insbesondere für Betreiber außerhalb des EEG ist diese Zusatzeinnahme wichtig, um ihre Anlage weiter wirtschaftlich betreiben und parallel neue Anlagen planen zu können, die die alte ersetzen.
Der Stromkunde, der die Energiewende unterstützen will, kann das jetzt schon tun, indem er entsprechend gelabelten echten Ökostrom abnimmt. Machen Sie dem mit der Aufwertung von Herkunftsnachweisen nicht Konkurrenz?
Hier wird es schwierig. Was ist echter Ökostrom? Per Definition alles, was zu hundert Prozent mit Herkunftsnachweisen unterlegt ist – die konkrete Qualität des Stroms ist aber egal? Wie unterscheidet der Kunde, ob er die Energiewende unterstützt oder nicht?
Jens Leiding
Der Wirtschaftsjurist und gelernte Bankkaufmann ist geschäftsführender Gesellschafter beim Hamburger Unternehmen Digital Renewables. Seit 18 Jahren ist er als Berater, Entwickler und Vermögensverwalter im Bereich erneuerbare Energien, Klimaschutz und Energieeffizienz tätig.
Reicht es für den Anbieter aus, eine gewisse Quote neuer Anlagen im Portfolio zu haben? Oder ist es eine Spende von ein paar Zehntelcent pro Kilowattstunde für ein Erneuerbaren-Projekt irgendwo auf der Welt? Ist der echte Grünstrom der, der zusätzlich Bäume pflanzt, Brunnen bohrt oder die Kita um die Ecke unterstützt?
Meine Antwort ist: Lasst das die Kunden entscheiden. Zeigt ihnen transparent ein konkretes Anlagen-Portfolio statt eines Labels. Die Verbraucher sind mehr und mehr an zuverlässigen Informationen interessiert und ihre Sensibilität für ehrliche Produkte wächst. Sie wollen herausfinden, was hinter einem Produkt steckt, um eigenständig zu entscheiden, was sie unterstützen wollen und was nicht.
Die Digitalisierung kann dabei die Transparenz für Stromkunden deutlich erhöhen. Eine Webseite mit der jeweiligen Übersicht der Anlagen ist leicht und schnell zu programmieren. Ein Smartphone und der QR-Code auf der Stromrechnung, der zur jeweiligen Seite des Anbieters führt, würden in Sekunden Transparenz schaffen.
So können Verbraucher sich ein genaues Bild über die Zusammensetzung eines Stromproduktes machen. Sie werden sehen, dass Grünstrom eine neue Wertigkeit bekommt. Stromanbieter, die schon heute beispielsweise langfristige Stromverträge mit förderfreien Erneuerbaren-Anlagen schließen, könnten dies dann den Kunden besser zeigen.
Sie weisen darauf hin, dass erzeugter Strom immer zum nächsten Verbraucher fließt. Der Kauf von Ökostrom ist so letztlich nur eine Marktverschiebung. Grünstromer setzen dann mehr ab und die konventionellen weniger.
Dennoch gibt es Verbraucher, die sicher sein können, dass sie selbst erzeugten Grünstrom nutzen, sofern die Gebäude eine eigene Solaranlage haben. Unternehmen können sich eine Direktleitung zur Erneuerbaren-Anlage legen lassen. Wäre es nicht einfacher, einen solchen Direktverbrauch zu stärken als die Einbeziehung von "neuen" Herkunftsnachweisen?
Eigenerzeugung oder ein Mieterstrommodell sind natürlich Königswege und die besten Beiträge zur Energiewende. So eine Vor-Ort-Versorgung reicht aber – wie bei allen Erneuerbaren – nicht zur Vollversorgung. Hierfür ist ein diversifizierter Kraftwerkspark mit verschiedenen Erzeugungsprofilen sowie mit Speichern notwendig. Es gilt, das eine zu tun, ohne das andere zu unterlassen.
Die Eigenerzeuger haben zudem einen Bedarf für Reststromlieferungen. Ihnen dient unser Ansatz also auch, ebenso wie allen, die nicht die Möglichkeit zur Eigenerzeugung haben. All diese Kunden sollen bewusst und transparent eine Stromqualität auswählen können, um für ein Gelingen der Energiewende zu sorgen.