Portraitfoto Janina Messerschmidt
Janina Messerschmidt. (Foto: privat)
 

Janina Messerschmidt hat ihre Diplomarbeit über Windenergie geschrieben und in der Promotion CO2‑Messsysteme aufgebaut und automatisiert. Die Physikerin sagt: Was es dringend braucht, ist Zeit, um den Wandel zu leben. Die 44‑Jährige hat sich die Zeit genommen, ehrenamtlich die Bürgerenergie­genossenschaft Oder-Spree zu gründen:

Seit ich keinen Vollzeitjob mehr habe, sind meine Tage sehr abwechslungsreich. Wenn ich mich nicht gerade in der Gemeinde für den Ausbau erneuerbarer Energien engagiere, beobachte ich meinen Garten, spiele mit meiner Tochter oder entwerfe das Curriculum für einen Transformationsstudiengang.

Wir wollen ein Jahresprogramm für junge Leute aus dem Bundesfreiwilligendienst auf die Beine stellen, durch das sie an verschiedenen Wochenenden lernen, welche Dimensionen die gesellschaftliche Transformation hat, die wir brauchen. Nicht nur in der Theorie, sondern auch an Praxisorten wie dem Haus des Wandels.

So habe ich mir meine Laufbahn nach dem Doktor in Physik nicht vorgestellt, und manchmal sehne ich mich noch zurück nach der Forschung oder überlege, mich auf eine Professur zu bewerben. Aber dann stelle ich wieder fest: Mein Leben ist genau, wie ich es will – ich arbeite an etwas Sinnvollem, und durch meinen Brotjob als Personalreferentin verdiene ich mit 20 Wochenstunden genug, um Zeit für meine eigenen Projekte zu haben.

Was mich stark geprägt hat, war das Studium an der Uni Bremen. Ein Leitsatz in der Lehre war: Mit Wissenschaft kann man alles beweisen, deshalb muss man sich gesellschaftlich verorten. Physik ist nicht objektiv, sondern wir arbeiten bewusst mit Modellen, mit denen wir die Welt ein bisschen besser erklären können. Aber wir wissen, dass das nicht die Realität ist.

Unpolitische Klimaforschung

Mit einem Diplom in Physik über Windenergie und einem Psychologie-Vordiplom in der Tasche habe ich mich also gefragt: Was kann ich gesellschaftlich Relevantes mit meinem Wissen anstellen? Ich habe mich eher zögerlich für eine Doktorarbeit in Physik entschieden. Aber 2007 mussten wir noch beweisen, dass der Klimawandel menschengemacht ist.

Dafür hatte man bis dato wie mit einem Beutel Luftmengen genommen und dann im Labor das CO2 darin gezählt. Um nicht die Autoabgase von Berlin mitzuberechnen, wurde das zum Beispiel auf Inseln im Pazifik gemacht. Seither gab es enorme Fortschritte.

Jetzt guckst du in die Sonne und kannst mit Satellitendaten das CO2 von hier bis zur Sonne vermessen. Damit hast du die Gesamtsäule und kannst mit nur einer Handvoll Satelliten örtlich aufgelöste Stundendaten generieren. In meiner Promotion sollte ich die Messinstrumente für dieses neue Verfahren aufbauen und kalibrieren, in das damals viele Gelder geflossen sind.

Eine Technikerin und ich, wir haben zu zweit Messinstrumente aufgebaut und die Software für die automatisierten Messungen geschrieben. Ich habe noch das Bild im Kopf, wie sie da mit der Flex steht und die Dorfbewohner sie mit offenem Mund anschauen. Unvorstellbar: Zwei Frauen in der Forschung, bei minus 20 Grad saßen wir in so einem Container mitten im Nirgendwo von Polen. Es war eine sehr schöne Zeit.

2012 bin ich aber aus der Klimaforschung ausgestiegen. Sie war mir einfach zu unpolitisch. Es ging nur darum, die Messungen noch genauer zu machen, und nicht darum, einen Teil dazu beizutragen, wie wir weniger CO2 emittieren können. Auf den Konferenzen wurden Daten über die Eisschild-Dicke in einem neutralen Ton vorgetragen, unglaublich. Ich dachte: Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, was will ich bewegt haben? Messreihen sind es nicht.

Arbeiten, um zu leben

Deshalb habe ich mich außerhalb der Uni auf Jobs beworben und bin bei einem Start-up gelandet, bei dem wir Solaranlagen über Mikrokredite in afrikanische Länder verkauft haben. Wir waren alle Idealisten, haben für sehr wenig Geld sehr viel gearbeitet, 60 Stunden pro Woche und mehr – unser Konzept hat jedenfalls funktioniert.

Es kamen immer mehr Investoren, aber plötzlich ging es nur noch ums Geld und wir wurden buchstäblich verkauft: an eine Atomkraftfirma aus Frankreich. Das ist nicht, was ich Erfolg nenne.

Daraus hat sich eine Moral in mir gefestigt: Bestimmte Dinge mache ich nicht mehr mit. Ich habe mich mit einem Kollegen im Tandem auf andere Jobs beworben, heute teilen wir uns eine 40‑Stunden-Stelle zu zweit und haben beide genug Zeit neben der Lohnarbeit. Wir arbeiten, um zu leben, und nicht andersherum.

Ausgeforscht

Drei promovierte Klimawissenschaftler:innen erzählen, warum sie aus der Forschung ausgestiegen sind – und wie sie nun stattdessen mit der Klimakrise umgehen. Eine Kurzserie.

  1. Wir wissen doch schon alles!
  2. Geologin Payal Parekh: "Mein Chef sagte: 'Du bist zu politisch'"
  3. Mathematiker Wolfgang Knorr: "Wir Klimawissenschaftler haben die Menschheit im Stich gelassen"
  4. Physikerin Janina Messerschmidt: "Auf Konferenzen wurde in einem neutralen Ton vorgetragen, unglaublich"

Wir brauchen einen umfassenden Kulturwandel, und der ist nur von der Basis aus möglich. Was es angesichts der Krisen am dringendsten braucht, ist daher Zeit. Zeit, um an diesem Wandel zu arbeiten und ihn zu leben. Es fehlt nicht primär an Geldern in der Wissenschaft, wir brauchen nicht nur eine andere Politik, sondern mutige Menschen, die neue Werte ausprobieren und leben.

Gebt allen 1.000 Euro im Monat und wir werden sehen, was passiert – mit einem Grundeinkommen setzen sich die meisten Menschen für eine gute Zukunft ein, da bin ich mir sicher. Wenn wir viele sind, kommt alles andere von allein. Das klingt vielleicht in manchen Ohren zu optimistisch. Aber es ist tatsächlich die Basis für eine Alternative zu den bestehenden Verhältnissen.

Aufgezeichnet von Theresa Leisgang

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