Rot-Gelb zeigende Ampel in einem Villenviertel in Göttingen.
Wo ist das Grün? In der Verkehrspolitik nicht vorhanden. (Foto: Francisco Welter-Schultes/​Wikimedia Commons)

Es war voraussehbar, aber das macht es nicht besser: Nach dem gescheiterten Berliner Volksentscheid für ein klimaneutrales Berlin 2030 mokierte sich die Klimabewegung über die Vorstadtberliner, die mal wieder nicht für starken Klimaschutz gestimmt hatten, anders als die vielen Befürworter des Entscheids in den Berliner Innenstadtbezirken.

Zwei Tage später war das Gejammer groß, als die FDP beim sogenannten Koalitionsgipfel den größten Autobahnausbau in der Geschichte der Bundesrepublik durchgesetzt hatte und die Bahnsanierung mit einem Almosen abgespeist wurde.

Daraufhin rief Luisa Neubauer zu Protestaktionen vor dem FDP-geführten Verkehrsministerium auf. So what? Das ist die FDP! Die setzt ihre Interessen durch. Und beim Volksentscheid haben die Spandauer, die Marzahner und die Lichtenrader ebenfalls ihre Interessen artikuliert. Das ist Politik.

Das Problem der Klimabewegung ist, dass sie sich so sehr im moralischen Recht sieht, dass sie bei politischen Entscheidungen, die nicht wie gewünscht fallen, auf die vermeintlich Bösen, Doofen und Gemeinen einschlägt und dabei die vergisst, die ihr die Niederlagen eingebrockt haben: die Regierungsgrünen. Allen voran der Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck.

Denn die vermeintlichen Agenten der Klimabewegung in der Regierung stellen sich zunehmend als Versager heraus, die entweder nicht können oder nicht wollen. Nicht eine wichtige und schnell wirkende Maßnahme haben die Grünen in der Ampel-Regierung durchgesetzt: weder Tempo 130 auf Autobahnen noch die Abschaffung von Pendlerpauschale und Dienstwagenprivileg.

Jetzt werden wohl im Eiltempo und zum Teil zehnspurig die Autobahnen vor allem in Bayern, Hessen und NRW ausgebaut, mit absehbar explodierenden Kosten, wohingegen für die marode Bahninfrastruktur vergleichsweise läppische 45 Milliarden bereitgestellt werden. Und wenn das Ganze von Minister Habeck in den Talkshows wieder schöngeredet wird, zuckt die Bewegung mit den Achseln.

49-Euro-Ticket – ein Erfolg für die FDP

Auch die vermeintlichen Klima-Erfolge wie das 49‑Euro-Ticket entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Erfolge für die FDP. Als Nachfolger für das Neun-Euro Ticket angekündigt, ist das neue regionale Pauschalangebot viel zu teuer, um einen solch reißenden Absatz zu finden wie jenes und damit die Verkehrswende voranzubringen.

Porträtaufnahme von Martin Gegner.
Foto: David Außerhofer

Martin Gegner

ist als Politologe und Stadt­soziologe Mitglied der Forschungs­gruppe "Digitale Mobilität und soziale Differenzierung" am Wissenschafts­zentrum Berlin für Sozial­forschung (WZB). Zuvor war er an verschiedenen Wissenschafts­insititutionen sowie als Gast­professor in São Paulo und Istanbul tätig.

Es ist ein gutes Angebot für diejenigen, die oft zwischen den Metropolen pendeln und dort auch den Nahverkehr nutzen. Also eher die besserverdienende "neue Mittelklasse" – klassisches FDP-Klientel.

Die meisten Leute brauchen aber ein günstigeres Ticket für "ihren" Regionalverbund, so wie das nun auslaufende 29‑Euro-Ticket in Berlin. Dieses wurde seinerzeit von der noch amtierenden SPD-Bürgermeisterin Giffey durchgesetzt, um die vermeintliche SPD-Klientel der "Öffi-Nutzer" zur Wahl zu animieren.

Viel genutzt hat es ihr zwar nicht, aber das Beispiel zeigt einmal mehr, wie Politik in einer Demokratie funktioniert: Die gewählten Vertreter, zumal in der Regierung, sollen nicht nur die Meinungen ihrer Wähler in der Öffentlichkeit präsentieren – das können die heute mittels Social Media auch selber –, sondern ihre Interessen durchsetzen.

Es ist höchste Zeit, dass sich die Klimabewegung dessen bewusst wird. Statt an FDP und SPD zu appellieren – was wie gesehen ziemlich müßig ist –, müssen die Grünen und ihre Regierungsmitglieder unter Druck gesetzt werden. Auf der Straße, in Parteigremien, in der gesamten Öffentlichkeit.

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Beiträge erscheinen zugleich im WZB-Blog der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität.

Anzeige