Die Klimabewegung kann Schlagzeilen. Das bewies Extinction Rebellion in Großbritannien wieder mal am Neujahrstag. In großen weißen Buchstaben auf schwarzem Untergrund verkündeten die Aktivist:innen auf Twitter: "We quit" ("Wir hören auf").
Was es damit auf sich hat, erklärt die Gruppe mit einem Strategiewechsel: weg von öffentlichen Stör-Aktionen wie Straßenblockaden, stattdessen mehr Druck gegen verantwortliche Politiker:innen.
Zwar seien die Aktionen wichtig gewesen, um die Öffentlichkeit aufzurütteln und politisches Versagen zu skandalisieren, heißt es weiter. Aber nun stehe der Kampf gegen Machtmissbrauch im Mittelpunkt.
Nur so könne der Übergang zu einer gerechten Gesellschaft gelingen, die gemeinsam an der Überwindung des fossilen Zeitalters arbeite.
Dafür will Extinction Rebellion in Großbritannien nun breit mobilisieren, Netzwerke aufbauen und stärken. In einer Zeit, in der Aktivismus gegen die Klimakatastrophe kriminalisiert werde, sei der Aufbau einer breiten Basis und deren Stärkung durch Brückenbau "ein radikaler Akt".
Der Kurswechsel, auch wenn er nur temporär sein sollte, dürfte einige überraschen. Brodelt doch in der Klimabewegung seit vielen Monaten eine Debatte um radikalere Aktionsformen.
Sowohl Extinction Rebellion selbst als auch mit der Bewegung verbundene oder aus Flügeln von Extinction Rebellion hervorgegangene Gruppen wie Just Stop Oil oder Letzte Generation kurbelten diese Diskussion mächtig an.
Dosensuppen-Angriffe auf Kunstwerke, eingeschlagene Fensterscheiben und kleinere Sabotageakte an Erdgas-Infrastruktur sind für die einen krimineller Vandalismus, für die anderen eine notwendige Eskalation. Kalt gelassen haben die Aktionen aber kaum jemand.
"Von Straßenblockade bis Kundgebung"
Dass sich Extinction Rebellion UK vorerst von direkten Aktionen verabschiedet, scheint andere Gruppen nicht zu stören. Am Mittwoch protestierten Aktivist:innen der Letzten Generation mit einem Presslufthammer vor dem Bundesverkehrsministerium.
Das dazu veröffentlichte Statement der Gruppe hört sich alles andere als nach Kurskorrektur an: "2022 war nur der Anfang!"
Auch Extinction Rebellion Deutschland schließt sich dem Vorstoß aus Großbritannien nicht an. "Wir unterstützen die Entscheidung aus dem UK, aber wir werden weiterhin vielfältige Aktionen machen – von Straßenblockade bis Kundgebung vor Ministerien", sagt Susanne Egli von Extinction Rebellion im Gespräch mit Klimareporter°.
Dennoch scheint sich auch in Deutschland langsam eine gewisse Art von Arbeitsteilung innerhalb der Klimabewegung einzustellen. Die großen Gruppen wie Extinction Rebellion und Fridays for Future versammeln die Massen hinter sich und bemühen sich um Kooperation mit anderen Initiativen. Gruppen wie Letzte Generation und Just Stop Oil stören mit direkten Aktionen.
"Diese Aufteilung ist zwar nicht geplant gewesen", sagt Egli, "aber solange sie zu mehr Klimaschutz führt – warum nicht?"
The Big One
Extinction Rebellion UK verfolgt mit der neuen Strategie ein klares Ziel: "The Big One". Dahinter verbirgt sich die bisher größte Extinction-Rebellion-Aktion.
Am 21. April will die Klimagerechtigkeitsgruppe mit 100.000 Menschen das britische Parlament blockieren und die Politiker:innen damit zum Handeln gegen die Klimakrise zwingen. Um so viele Leute zu mobilisieren, darf die Gruppe erstmal keine weiteren Sympathiepunkte mit kontroversen Aktionen verspielen.
Diese neuen Pläne werden nicht jede:n aus der Klimabewegung erfreuen. Lautstarke Vertreter:innen der Bewegung, etwa Tadzio Müller, hatten immer wieder eine breite Radikalisierung der Bewegung gefordert und dabei großes Potenzial in Extinction Rebellion gesehen.
Wie erfolgreich neue Strategien der Klimabewegung sein werden, muss sich am Ende – wie alle klimapolitischen Anstrengungen – an den Emissionswerten messen lassen. Auch für 2022 ist die deutsche Klimabilanz ernüchternd. Deutschland hat sein Klimaziel wegen der Rückkehr zur Kohleverstromung und der Stagnation bei Verkehr und Gebäuden verfehlt.
Oberste Priorität der deutschen Klimabewegung ist deshalb momentan, das Abbaggern von Lützerath zu verhindern. Wenn die Kohle verbrannt wird, die sich unter dem Ort im rheinischen Revier befindet, verfehlt Deutschland seinen Beitrag für das 1,5-Grad-Ziel.
Allein mit Kundgebungen und Netzwerken lassen sich Räumkommandos und Kohlebagger wohl nicht aufhalten.