Mann in schwarzem Umhang mit Extinction-Rebellion-Symbol (eine Sanduhr von einem Kreis umschlossen)
Klimaaktivisten als personifizierter Tod: "Extinction Rebellion" schreckt nicht vor dramatischer Symbolik zurück. (Foto: Susanne Schwarz)

Gegen Mittag zieht der Tod vor dem Reichstagsgebäude seine Kreise. Vielleicht zehn Menschen in schwarzen Kutten schreiten mit sanften Bewegungen und ernsten Gesichtern Runden ab. Ihre Bahn haben sie mit Erde markiert, die sich vom blankgefegten Pflaster abhebt.

Schließlich treffen sie sich in der Mitte des Kreises und einer schreit: "What are we losing now?" ("Was verlieren wir gerade?"). Eine schreit zurück "The bees!" ("Die Bienen!") und alle strömen wieder an den Rand ihres Kreises, richten sich an die Umstehenden und wiederholen mit klagenden Lauten "The bees!".

Das Spektakel wiederholt sich mehrfach. Nur verloren wird immer etwas anderes. Die Bäume, das saubere Wasser, die Menschheit.

Es ist eine Protest-Performance der noch jungen Bewegung "Extinction Rebellion" ("Rebellion gegen das Aussterben"). Die schlägt den typischen Rat von Klimakommunikationsexperten, nicht zu sehr auf Katastrophenerzählungen zu setzen, demonstrativ in den Wind. Ihre Vertreter verkleiden sich als der personifizierte Tod, bilden gern Totenköpfe auf Plakaten ab, warnen vor einem dramatischen Massenaussterben infolge des Klimawandels – und rufen so zum zivilen Ungehorsam auf.

In Großbritannien, wo die Bewegung im vergangenen Jahr gegründet wurde, gab es schon in mehreren Städten Aktionen, bei denen Klimaaktivisten Straßen und Plätze blockiert haben. Jetzt ruft die Bewegung an mehreren Orten weltweit die "Woche der Rebellion" aus.

"Wir können nicht auf die Regierungen hoffen"

In Deutschland hält die Gruppe hier vor dem Reichstag ihre Antrittskundgebung ab. Der symbolische Start-Zeitpunkt der Kundgebung: fünf nach zwölf. Nicht nur kurz vor knapp also, sondern eigentlich zu spät. Am Nachmittag soll eine Straßenblockade folgen. Wo, ist mittags noch geheim.

Etwa 100 Menschen haben sich vor der kleinen Bühne aus Euro-Paletten auf dem Reichstagsvorplatz versammelt. "Wir sind der friedliche Aufstand gegen das Aussterben und für das Leben", sagt Annemarie Botzki von Extinction Rebellion von dem Podest aus ins Mikro. "Die Regierungen weltweit haben dabei versagt, die Menschen zu beschützen – und wir können nicht darauf hoffen, dass sie das in der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, von allein ausreichend machen." Deshalb sei ziviler Ungehorsam notwendig.

Drei Kernforderungen hat "Extinction Rebellion":

  • Die Regierungen und auch die Medien müssen deutlich sagen, wie bedrohlich die Klimakrise und die Zerstörung unserer Ökosysteme sind.
  • 2025 soll die Welt treibhausgasneutral sein, also nur noch so viele Treibhausgase emittieren, wie die Erde natürlich verarbeiten kann.
  • Wie das zu erreichen ist, sollen Bürgerversammlungen entscheiden.

Tadzio Müller, Klimareferent bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, nennt auf der Bühne drei Punkte dafür, warum auch er sich für zivilen Ungehorsam für das Klima ausspricht. "Drei Punkte sprechen für zivilen Ungehorsam: Er ist notwendig, er ist effektiv und er ist geil", ruft er in seiner Rede auf der Kundgebung. Wenn soziale Bewegungen in der Vergangenheit viel erreicht hätten, sei das immer mit dem Bruch von ungerechten Regeln einhergegangen.

Transparent
"Extinction Rebellion" warnt vor einem neuen Massenaussterben von Arten, diesmal durch den Menschen. (Foto: Susanne Schwarz)

Außerdem gebe die Praxis den Aktivisten ein Gefühl für die eigene Wirksamkeit. "Ich kann mich noch erinnern, als ich 2015 zum ersten Mal mit 'Ende Gelände' in den Tagebau Garzweiler im Rheinland eingedrungen bin", erzählte Müller. "Vor der letzten Polizeikette dachte ich: Mist, wir schaffen das wieder nicht – aber als wir die dann durchbrochen hatten und ich hochguckte und die Bagger stillstanden, da war es, als würde ich eine Batterie anfassen, in der das reine Leben steckt."

Die radikale Klimabewegung stehe in der Tradition von Rosa Parks und Gandhi. "Ja, das ist ein öffentlicher Aufruf zum Begehen von Straftaten!"

Die Menge jubelt. Sie besteht aus einer bunten Mischung an Leuten. Alte und junge Menschen sind gekommen, manche allein, andere in der Gruppe, viele als Familie mit Kindern. Manche von ihnen sind in verschiedenen Klimaschutzgruppen organisiert. Einige sind – untypisch dafür, dass zu radikalen und eigentlich verbotenen Aktionsformen aufgerufen wird – zum ersten Mal in der Klimabewegung aktiv.

Friedliche Besetzung von Berliner Brücke

Wenige Stunden später ist die Oberbaumbrücke im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg dicht. Etwa 200 Aktivisten haben sich dort niedergelassen und blockieren mit ihren Körpern den Straßenverkehr. Es ist das erste Mal, dass Extinction Rebellion in Deutschland eine solche Aktion durchführt.

Zeitgleich mit der Blockade in Berlin gehen in mehreren Städten weltweit Aktivisten buchstäblich auf die Straße. In London sind 2.000 Menschen bei dem Protest – genug, um gleich mehrere Verkehrs-Knotenpunkte lahmzulegen. Tagelang wollen sie weitermachen, wenn sie es schaffen.

In Berlin schreitet am Nachmittag die Polizei ein, fordert die Protestierenden erst auf, die Straße zu verlassen – und trägt dann die an den Rand der Brücke, die sich weigern. Zu Festnahmen kommt es nicht. Nach etwa drei Stunden Blockade rollen am frühen Abend wieder Autos über die Straße.

Fertig ist die junge Bewegung damit aber in Deutschland noch nicht. Am Karfreitag zieht der Tod seine Kreise nicht an der Spree, sondern am Rhein. "Extinction Rebellion" hat einen Trauermarsch in Köln angekündigt.

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