Die "Letzte Generation" blockiert eine Hauptstraße in der Berliner Innenstadt, Sommer 2023. (Bild: Laura König)

Aufmerksamkeit – das ist ihr erklärtes Ziel. Und diese Aufmerksamkeit bekommt die Gruppe Letzte Generation vor allem in den Medien. Beliebt macht das ihre Protestaktionen jedoch nicht, wie etwa eine ARD-Umfrage von Ende Juni zeigte.

Die repräsentative Umfrage ergab, dass 85 Prozent es "nicht gerechtfertigt" finden, Straßen und Verkehr für mehr Tempo beim Klimaschutz zu blockieren. Nur 13 Prozent der Befragten unterstützen die Blockaden.

Dabei sind die einzelnen persönlichen Meinungen, ob die Protestform der Letzten Generation wirksam ist, gar nicht entscheidend. Die Protestforschung ist sich hier einig: Es ist unmöglich vorherzusagen, ob dieser Protest die geforderten Veränderungen bringt und welchen Einfluss die Bewegung in Zukunft haben wird.

Klar ist aber: Wie die Bewegung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und wie viel Zustimmung sie bekommt, hängt auch damit zusammen, wie die Medien auf die Proteste reagieren.

Diese mediale Berichterstattung über die Letzte Generation war Gegenstand meiner Journalistik-Masterarbeit. Die Arbeit vergleicht die Öffentlichkeitsstrategie der Aktivist:innen mit der TV-Berichterstattung von ARD und ZDF im Jahr 2022. Analysiert wurden 20 Beiträge, insgesamt entspricht das drei Stunden und 45 Minuten Programm.

Dabei handelt es sich um alle Beiträge, die die Letzte Generation auf ihrer Website verlinkt hat. Es kann angenommen werden, dass diese Liste repräsentativ ist, weil nicht ausschließlich positive Beiträge verlinkt wurden.

Was wollen die Aktivist:innen der Letzten Generation? Die Strategie der Bewegung lässt sich so zusammenfassen: Sie will Druck auf die Politik ausüben, indem sie zu einer breiten Protestbewegung wird, und sie will die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise lenken.

Eine "Kampagne in der Mitte der Gesellschaft", um das Verständnis zu schärfen, so formulierte Pressesprecherin Carla Rochel das Vorgehen ihrer Organisation.

Klimakrise und Klimapolitik als die großen Abwesenden 

Jedoch wird das Ziel der Letzten Generation, Druck auf die Klimapolitik der Bundesregierung auszuüben, in den Medien nicht aufgegriffen. Die Bewegung forderte 2022 ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket und ein Tempolimit von 100 km/h. Diese Forderungen werden in 40 Prozent der analysierten Beiträge gar nicht genannt, und auch die übrigen 60 Prozent widmen den Forderungen lediglich einen Satz.

In keinem der Beiträge werden Zahlen genannt, zum Beispiel, wie viel CO2-Emissionen durch die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen eingespart werden könnten.

Außerdem werden die politischen Entscheider:innen – abgesehen vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann in der Talkshow von Anne Will – nicht mit ihrer eigenen Klimapolitik und den Forderungen der Letzten Generation konfrontiert.

Dennoch haben die Medien eine gewisse Mittlerrolle gespielt, indem sie Aktivist:innen und Politiker:innen in einen Dialog gebracht haben. Das ist gut und wichtig für die demokratische Debatte.

Zielscheibe der Proteste sind in erster Linie Politiker:innen, doch diese spielen in der Berichterstattung eine ganz andere Rolle: Ob in Auszügen aus Pressekonferenzen und Interviews oder in Twitter-Beiträgen, die aufgegriffen werden – in 80 Prozent der analysierten Medienbeiträge geht es um die Meinung der Politiker:innen zu den Protesten, nicht aber um das, was die Letzte Generation ihnen vorwirft: unzureichende Klimapolitik.

Bild: privat

Elise Hulata

studiert Deutsch-Französische Journalistik in Freiburg und Straßburg. Ihre Master­arbeit hat sie zur Bericht­erstattung von ARD und ZDF über die Protest­bewegung "Letzte Generation" geschrieben. Schon vor ihrem Studium drehte sie einen Dokumentar­film zum Thema Ökozid und Rechte der Natur.

Dabei reagieren ARD und ZDF sehr stark auf politische Polemik, wie etwa Aussagen zu "Klimaterrorismus" oder zur "Klima-RAF". 55 Prozent der Beiträge haben als Perspektive die Frage gewählt, ob die Aktivist:innen der Letzten Generation "Terroristen" oder eine "kriminelle Vereinigung" sind.

Ausführlich wird auch diskutiert, ob die Aktivist:innen am Tod einer überfahrenen Radfahrerin mitschuldig seien, weil ein Spezialfahrzeug nicht rechtzeitig zum Unfallort kam.

Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben jedoch das Sprungbrett nicht genutzt, das die Aktionen der Letzten Generation ihnen geboten haben. Sie haben sehr wenig über die Klimakrise berichtet. In den untersuchten 225 Minuten Programm kommen insgesamt nur zwei O-Töne von Klimaforscher:innen vor.

In der Hälfte der Beiträge über die Letzte Generation wurde die Klimakrise überhaupt nicht erwähnt. Nur zehn Prozent der Beiträge enthielten sachliche Informationen zur Klimakrise.

Erklären ließe sich das mit der Strategie der Letzten Generation, nicht über Zahlen, sondern über die eigene Angst zu sprechen, um nicht wie Wissenschaftler:innen zu reden. Dies, zusammen mit einem Mangel an Willen, Bewusstsein oder Zeit für Recherchen seitens der Journalist:innen, führte dazu, dass die Klimakrise die große Abwesende in der ganzen Berichterstattung ist.

Aktivist:innen fühlen sich diskreditiert

Carla Rochel von der Letzten Generation sagte in einem Interview für die Recherchen zur Masterarbeit: "Das mit der Fahrradfahrerin war das Schrecklichste. Ich wurde von Journalist:innen gefragt, wie es sich anfühlt, eine Mörderin zu sein, was meine Familie dazu sagt. Nachdem bewiesen wurde, dass wir keine Schuld dafür tragen, haben wir einige Entschuldigungen bekommen."

Bei der Letzten Generation dürfen nur Pressesprecher:innen mit den Medien sprechen. Dafür werden sie ausgebildet, mit einer Theoriestunde und mit weiteren Übungsstunden. In diesem sogenannten Medientraining wird öfter wiederholt, dass die Aktivist:innen ihre persönliche Geschichte erzählen sollen.

 

Doch lediglich in einer Talkshow-Sendung von Markus Lanz erzählte Carla Rochel ihre persönliche Geschichte, in allen anderen analysierten Beiträgen wurden keine persönlichen Geschichten von Aktivist:innen aufgegriffen. Die Strategie der Letzten Generation, vor allem persönliche Geschichten zu erzählen, war in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern nicht erfolgreich.

Die Aktivistin findet außerdem, dass die Letzte Generation in den Medien aktiv diskreditiert wird: "Ich hatte den Eindruck, dass von mir oft der schlechteste O‑Ton genommen wurde. Ich weiß nicht, ob das passiert, weil uns jemand da nicht leiden kann oder damit die Zuschauer:innen sich besser aufregen können."

Kritisieren – aber nicht auf Kosten der Klimakrise

Was die Letzte Generation eigentlich will, spiegelt sich in den Beiträgen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender kaum wider. Festzustellen ist eine wesentliche Abweichung zwischen der Strategie der Organisation und der tatsächlichen Berichterstattung. Mehrere Faktoren können das erklären – sie betreffen sowohl die Aktivist:innen als auch die Journalist:innen.

Die Politiker:innen kommen als Beobachter:innen und nicht als Entscheider:innen vor. Deswegen wird ihre Klimapolitik nicht hinterfragt. Auch die Forderungen der Aktivist:innen werden nicht diskutiert. Das führt schließlich dazu, dass ihre Aktionen nicht den gewünschten Druck über die Medien auf die Politik ausüben. Es dürfte ihnen so auch schwerer fallen, neue Aktivist:innen zu gewinnen.

Auch sonst bekommt die Klimakrise so gut wie keine Aufmerksamkeit. Selbstverständlich müssen Journalist:innen nicht mit dem Protest der Letzten Generation einverstanden sein und auch nicht der Pressestrategie der Gruppe folgen. Sie dürfen und sollen die Aktivist:innen kritisieren und ihre Methoden infrage stellen.

Das darf aber nicht auf Kosten der Information und Berichterstattung über Klimawandel und Klimapolitik gehen. Die Medien und gerade die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben hier eine Verantwortung, die Proteste im Kontext der Klimakrise zu betrachten und nicht als bloße Störung des gewohnten Lebens.

Die Journalist:innen haben es zwar nicht leicht, weil die Aktionen hauptsächlich symbolisch und häufig nicht aktualitäts- oder ereignisbezogen sind. Der einzige Bezugspunkt ist, dass die Aktivist:innen Autobahnen und Straßen blockieren, um ihrer Forderung nach einer Verkehrswende Nachdruck zu verleihen.

Die Klimakatastrophe ist jedoch eine so unvergleichliche Herausforderung, dass die Medien ihrer Verantwortung für eine angemessene Berichterstattung nicht ausweichen dürfen. Es darf nicht sein, dass durch die überwiegende Fokussierung auf mögliche Straftaten alle Informationen über den fortschreitenden Klimawandel und die ungenügende deutsche Klimapolitik untergehen.

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