Wie steht es um den Wald im deutschen Bundesgebiet? Diese nicht nur ökologische, sondern auch klimapolitische Kardinalfrage soll die Bundeswaldinventur beantworten.
Eine solche fand bisher dreimal statt, in jeweils großzügigen zeitlichen Abständen. Die Ergebnisse der letzten Inventur wurden 2014 veröffentlicht und basieren auf Datenerhebungen von 2011 bis 2012.
Es wird also mal wieder Zeit. Zwar gibt es auch sogenannte Zwischeninventuren, aber mit deutlich geringerem Umfang.
Die gegenwärtige vierte Runde hat bereits im Frühjahr 2021 begonnen. Bis Anfang 2023 wurden an Zehntausenden repräsentativen Standorten weit über hundert Merkmale erfasst: Verteilung der Baumarten, Höhe und Umfang von Bäumen, Schadeigenschaften, Totholz und vieles mehr.
In wenigen Tagen – am 8. Oktober – stellt die Bundesregierung die Ergebnisse vor, die unter Leitung des bundeseigenen Thünen-Instituts für Waldökosysteme (WO) in Eberswalde bei Berlin erhoben wurden. Die Zahlen werden zeigen, wie sich die CO2-Senke Wald in den letzten Jahren verändert hat.
Noch bevor die Resultate das Licht der Öffentlichkeit erblicken, gibt es besorgniserregende Vorboten. So schreibt das Nachrichtenportal Table Media mit Verweis auf offizielle Daten der Bundesregierung, dass der gesamte Sektor der Land- und Waldwirtschaft in Zukunft unterm Strich CO2 ausstoßen statt wie bisher aufnehmen könnte.
Der Bericht bezieht sich dabei auf die letzte Treibhausgas-Projektion des Umweltbundesamtes (UBA). Demnach würde der Sektor ab 2042 die Schwelle von der CO2-Senke zur Quelle überschreiten.
Wald-Modelle unterschätzen Extremwetter
Laut einer soeben erschienenen Kurzstudie des Darmstädter Öko-Instituts für das Umweltbundesamt könnten die Wälder sogar bereits zwischen 2018 und 2021 große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt haben – bis zu 40 Millionen Tonnen pro Jahr. Großen Einfluss auf die CO2-Speicherfähigkeit hatten demnach natürliche Störungen.
Die Frage, die die Bundeswaldinventur zu klären hat, ist also vielleicht gar nicht, wie viel CO2 der Wald in Deutschland mittlerweile aufnimmt, sondern ob er überhaupt noch CO2 aufnimmt.
Die extremen Hitze- und Trockenjahre von 2018 bis 2020, aber auch Borkenkäferschäden und Windwurf, setzen den Wäldern zu. Das ist kein Geheimnis und Expert:innen warnen schon seit einiger Zeit davor, dass die einheimischen Wälder ihre Fähigkeit CO2 zu speichern verlieren könnten.
Doch im Treibhausgasinventar der Bundesregierung werden für die CO2-Speicherleistung der Wälder bislang noch ganz andere Zahlen angenommen als in der Studie des Öko-Instituts. Diese basieren auf Simulationen des Thünen-Instituts. Dabei griffen die Forscher:innen für ihre Waldmodellierung auf Angaben aus der letzten Zwischeninventur des Waldes von 2017 zurück und verwendeten Daten zur jährlichen Holzentnahme.
Der letzte UBA-Projektionsbericht zu den Treibhausgasemissionen schreibe die Bedingungen der Jahre 2013 bis 2017 fort – eines Zeitraums mit geringen natürlichen Störungen –, heißt es in der Kurzstudie. Damit würden Unsicherheiten bezüglich der Entwicklung von Störungen nicht abgebildet.
"Werden solche Unsicherheiten nicht in die Berechnungen einbezogen, entsteht ein verzerrtes Bild der CO2-Speicherleistung der Wälder, das in der Folge zu falschen Annahmen über die Größe der natürlichen Senke in der deutschen Treibhausgasbilanz führt", erklärte Klaus Hennenberg, Waldexperte am Öko-Institut und Hauptautor der Studie.
Dementsprechend wird laut der Kurzstudie die CO2-Speicherleistung der Wälder bereits zwischen 2018 und 2021 in dem Treibhausgasinventar der Bundesregierung um 55 bis 60 Millionen Tonnen pro Jahr überschätzt.
Zwar fielen die Berechnungen mit dem Waldmodell des Öko-Instituts und dem Modell des Thünen-Instituts grundsätzlich ähnlich aus, so Hennenberg weiter. "Für die Jahre mit großen Störungen kommen wir aber zu einem anderen Bild. Die in Kürze erscheinende vierte Bundeswaldinventur wird zeigen, ob wir hier richtig liegen und in welchem Umfang die Berechnungen im nationalen Treibhausgasinventar nachjustiert werden müssen."
Natürlicher Klimaschutz kommt nicht in Gang
Die jährlichen Waldzustandserhebungen sowie diverse Studien zeigen schon heute, dass in vielen Regionen erhebliche Schäden existieren. Nur einer von fünf Bäumen weist laut der letzten Waldzustandserhebung keine Kronenschäden auf.
Lediglich 17 Prozent der Fichten, der häufigsten Baumart in Deutschland, und 15 Prozent der Buchen, des häufigsten Laubbaums, zeigen keine Kronenschäden.
Diese Entwicklung will mit den Zielvorgaben des deutschen Klimaschutzgesetzes so gar nicht zusammenpassen. Dort ist festgeschrieben, dass die Senkenleistung des Waldes bis 2030 auf jährlich 25 Millionen Tonnen CO2 steigen soll und bis 2045 sogar auf 40 Millionen Tonnen.
Wichtig zu betonen: Selbst die Prognosen des Thünen-Instituts, die natürliche Schäden durch Extremwetterereignisse weitestgehend ausblenden, sagen eine Zielverfehlung voraus. Zumindest hier herrscht also Einigkeit.
Zu Anfang der Legislaturperiode hatte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) vier Milliarden Euro für den natürlichen Klimaschutz angekündigt. Diese Summe ist in vergangenen Haushaltsverhandlungen zwar auf 3,5 Milliarden Euro geschrumpft, das ist aber immer noch eine historisch hohe Summe für den Klimaschutz.
Bisher ist von dem Geld allerdings kaum etwas ausgegeben, kaum ein Projekt umgesetzt worden. Und auch von dem im Koalitionsvertrag versprochenen neuen Waldgesetz sind am Ende nur kleine Anpassungen am alten Gesetz übriggeblieben.
Ergänzung am 8. Oktober: Die Bundeswaldinventur wurde vorgelegt.