Rinder auf einer Weide in Ostfriesland, hinten stehen Windräder.
Grünland-Idylle mit Kühen und Windrädern – ob das "natürlicher Klimaschutz" ist, hängt auch davon ab, ob die Wiese früher ein Moor war. (Foto: Erich Westendarp/​Pixabay)

Von der Idee her ist der sogenannte natürliche Klimaschutz eine schöne Sache. Und Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte auch eine ordentliche Aufzählung der Vorteile parat. Erstens holen Ökosysteme CO2 aus der Luft und speichern es.

Zweitens schaffe gesunde Natur biologische Vielfalt. Die sei essenziell für Bodenfruchtbarkeit und Pflanzenbestäubung.

Und drittens, vollendete Lemke, treffe natürlicher Klimaschutz Vorsorge gegen die Folgen der Klimakrise. "Gesunde Ökosysteme wie Flussauen, Moore und Wälder halten das Wasser in der Landschaft, können es für Dürrezeiten speichern und stehen bei Hochwasser als Überschwemmungsflächen zur Verfügung", erläuterte die Chefin des Umweltressorts am Mittwochnachmittag, als sie in Berlin das frisch vom Bundeskabinett beschlossene  "Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz" vorstellte.

Für das Programm stehen bis 2026 vier Milliarden Euro zur Verfügung, Projekte können auch bis nach 2030 laufen. Gefördert werden 69 Maßnahmen in zehn Handlungsfeldern.

Zwei Förderrichtlinien seien schon fertig, berichtete Lemke, eine für Klimaschutz in ländlichen Kommunen und eine für kleine und mittlere Unternehmen. Ein Maßnahmenpaket zur Stadtnatur werde noch folgen, kündigte sie an. Auch werde ein Kompetenzzentrum für Natürlichen Klimaschutz im Ministerium eingerichtet.

"Das ist ein echter Paradigmenwechsel", lobte Lemke das Programm. Noch nie habe Deutschland so viel Geld in Naturschutz investiert. Erstmals würden Klima- und Naturschutz sowie die Vorsorge vor den Folgen des Klimawandels miteinander verknüpft.

Bund will Flächenbedarfsgesetz schaffen

Tags zuvor hatte auch ein Mann, der mit dem Thema bisher eher wenig zu tun hatte, einen Paradigmenwechsel im Naturschutz verkündet: Christian Lindner, FDP-Vorsitzender und Bundesfinanzminister.

Natürlich meint Lindner ganz andere Paradigmen, als Lemke sie im Blick hat. Um Investitionen in Infrastruktur wie Schienenwege und Straßen sowie in erneuerbare Energien zu beschleunigen, habe sich die Koalition darauf geeinigt, dass naturräumliche Beeinträchtigungen künftig auch durch Geldleistungen abgegolten werden können, hatte Linder am Dienstag nach dem Ende des Koalitionstreffens als Beispiel für einen Paradigmenwechsel in die Mikros diktiert.

Einen wirklichen Paradigmenwechsel gebe es hier allerdings nicht, schränkte Lemke am Mittwoch sogleich ein. Bereits jetzt sei es möglich, Natureingriffe auch durch Ausgleichszahlungen zu kompensieren, erklärte sie. Das sei geltende Rechtslage und werde von den Flächenagenturen in den Bundesländern umgesetzt.

So ein Modell zum Schutz der biologischen Vielfalt auf die Bundesebene zu übertragen, wäre ein Fortschritt, befürwortete Lemke das Konzept ausdrücklich – und kündigte Konsultationen mit den für Naturschutz letztlich zuständigen Ländern an. Ziel sei ein Flächenbedarfsgesetz.

Im Koalitionspapier vom Dienstag liest sich die Idee übrigens so: "Um genügend und vernetzte Flächen für die Renaturierung und den Naturschutz raumordnerisch zu sichern, soll die Möglichkeit geschaffen werden, einen zusammenhängenden länderübergreifenden Biotopverbund als Vorrangfläche zu definieren. Dafür wird die Bundesregierung ein Flächenbedarfsgesetz auf den Weg bringen."

Urheber der Idee sind aber nicht Lindner oder Lemke, sondern Spitzenleute aus Umweltorganisationen. Weil die Konflikte zwischen Naturschutz und erneuerbarer Infrastruktur – von der Bahntrasse bis zum Windrad – deutlich zugenommen hatten und sich Projekte gegenseitig blockierten, hatten die Ökos dem Bundeskanzler vorgeschlagen, den Ausbau der erneuerbaren und der grünen Infrastruktur so zu planen, dass diese sich gegenseitig verstärken.

Zentrale Punkte dieses Konzepts seien nun von der Ampel beschlossen worden, darüber freue er sich, sagt Miterfinder Kai Niebert gegenüber Klimareporter°. "Nun kommt es darauf an, das Flächenbedarfsgesetz und die dafür geplante Bundesinstitution auch so umzusetzen, dass sich wirklich in der Fläche etwas verbessert und nicht nur Geld verschoben wird", fordert der Präsident des Umweltdachverbandes Deutscher Naturschutzring.

Erst noch "Konsultationsprozess" zu Autobahn-Projekten

Auch einen weiteren vom FDP-Chef angekündigten Paradigmenwechsel im Naturschutz suchte Lemke einen Tag später abzuschwächen. Lindner hatte vom Koalitionstreffen vermeldet, nun würden 144 Autobahnprojekte mit einem "überragenden öffentlichen Interesse" ausgestattet und so durchgesetzt.

Lemke wies ihrerseits darauf hin, dass diese 144 Projekte sich seit Jahren im sogenannten vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans befänden. Der Streit der letzten Tage in der Koalition habe sich ihrem Verständnis nach eher um die Frage gedreht, ob bei der Realisierung dieser Straßenbauprojekte nunmehr die Interessen von Natur-, Umwelt- und Lärmschutz zurückzutreten hätten.

Auch dazu wird es nach Lemkes Darstellung jetzt einen "Konsultationsprozess" geben, und zwar erst einmal unter den Regierungsressorts. Letztlich sei die Gewichtung aber eine Sache der Bundesländer, betonte die Ministerin. Diese müssten für ein Straßenprojekt in ihrem Landesgebiet jeweils entscheiden, ob dabei "gewollt wird" – so drückte Lemke sich aus –, dass Ausbaumaßnahmen mit weniger Schutzinteressen realisiert werden.

Sie selbst, ergänzte die Umweltministerin, halte es für falsch, neue Straßen zu bauen und dafür Umweltstandards zurückzuschrauben. Dieser Weg sei nun zwar gewählt worden, aber nur für einen "eingehegten" Bereich. Das sei zu bewältigen.

Insofern fallen Lindners Paradigmenwechsel kleiner aus als vom FDP-Chef verkündet, aber sie bleiben nicht ohne Folgen.

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