Kaum eine Branche steht so unter Reformdruck wie die Landwirtschaft. Die Bauern sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Mit dem neuen grünen Landwirtschaftsminister befürchten sie weitere bürokratische Auflagen für mehr Umweltschutz.
Warum reden wir bei der Landwirtschaft so viel über Ordnungspolitik und Förderinstrumente und so wenig über Marktinstrumente zur grundsätzlichen Umsteuerung?
Wissenschaftler der Universität Augsburg haben 2018 eine Studie zu den externen Folgekosten der Landwirtschaft in Deutschland vorgelegt. Insgesamt wurden externe Folgekosten in Höhe von 43 Milliarden Euro ermittelt. Allein die Stickstoffüberschüsse verursachen demnach Folgeschäden von knapp 25 Milliarden Euro.
Die Zukunftskommission Landwirtschaft spricht in ihrem Abschlussbericht ebenfalls von mindestens 40 Milliarden Euro externen Umweltkosten, plus 50 Milliarden Euro durch Biodiversitätsverluste und dadurch bedingte Rückgänge von Ökosystemleistungen. Dazu kommen zehn Milliarden an staatliche Ausgaben für Direktzahlungen, Subventionen, Agrarsozialpolitik und so weiter.
Diesen 100 Milliarden an Kosten stehen etwa 25 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung der gesamten Landwirtschaft gegenüber. Volkswirtschaftlich gesehen ergibt das wenig Sinn.
Wäre es nicht intelligenter, die Landwirtschaft komplett auf Ökolandbau umzustellen?
Ökologische Landwirtschaft als Klimakiller?
Eine englische Studie hatte 2019 für Negativschlagzeilen gesorgt. Die Kernaussage: Bei einer flächendeckenden Umstellung auf Ökolandbau in England und Wales würden die Erträge um bis zu 40 Prozent sinken.
Die Briten würden dann mehr Ackerbaufläche im Ausland beanspruchen, um die eigene Versorgung sicherzustellen. In der Gesamtbilanz würden die Klimaemissionen deutlich ansteigen.
Für eine Bewertung der Studienergebnisse muss man sich allerdings die Flächenbilanz der konventionellen Landwirtschaft genauer ansehen.
Über ein Drittel der landwirtschaftlichen Produktion wird vor dem Verbrauch entsorgt – aussortiert von den Produzenten, vom Handel oder weggeworfen von den Verbrauchern.
Über die Hälfte der Ackerfläche wird für den Anbau von Tierfutter genutzt. Fast 60 Prozent der Getreideproduktion werden an Tiere verfüttert. Was schon deshalb ineffizient ist, weil man je nach Tierart zwei bis sieben pflanzliche Kalorien braucht, um eine Kalorie Fleisch zu erzeugen.
Außerdem dienen fast 20 Prozent der Ackerbaufläche zum Anbau von Energiepflanzen für Biogas, Bioethanol und Biodiesel. Abgesehen von den ökologischen Folgeschäden der Mais-Monokultur würde man mit Photovoltaik nur ein Zwanzigstel der Fläche oder noch weniger benötigen, um den gleichen Energieertrag zu erzeugen.
Stickstoffdünger zerstört die natürliche Bodenfruchtbarkeit
Große Anteile der Gülle aus der Massentierhaltung wie auch der Düngung mit mineralischem Stickstoff- und Phosphatdünger landen im Grundwasser.
Weitere Mengen dieser Nährstoffe wandern über Flüsse und Seen bis in die Ost- und Nordsee. 15.000 Güterwagen voll Stickstoff gelangen so jährlich in die Ostsee und verursachen dort das gefürchtete Wachstum von Algen und Einzellern. Mehr als ein Fünftel der Ostsee gilt inzwischen als biologisch tot.
Gerhard Hübener
ist studierter Bauingenieur und war selbstständiger Solarunternehmer. Seit 1991 engagiert er sich für eine sozial und ökologisch orientierte Steuerreform. Gemeinsam mit anderen betreibt er die Website "Umsteuern mit Energiesteuern".
Bei der Stickstoffdüngung stoßen wir übrigens auf die Kehrseite einer einseitigen Wachstumsfixierung. Jahrhundertelang war der Mensch abhängig von der Nutzung von Dung als organischem Stickstoff. Anfang des 20. Jahrhunderts gelang es mithilfe des Haber-Bosch-Verfahrens, Ammoniak und damit mineralischen Stickstoff aus Luftstickstoff und Wasserstoff herzustellen.
Dies ermöglichte enorme Ertragszuwächse in der Landwirtschaft. Das Ernährungsproblem für eine wachsende Weltbevölkerung schien damit endlich lösbar zu sein.
Erst später wurde die Kehrseite des künstlichen Wachstums deutlich: Die Böden verlieren ihre natürliche Bodenfruchtbarkeit. Die Erträge stagnieren trotz steigender Zufuhr von Düngemitteln, während die Preise für Kunstdünger steigen.
Das Versagen der "Grünen Revolution" ist besser zu begreifen, wenn man das Zusammenspiel von Mikroorganismen und Pflanzen im Boden versteht. Die meisten Pflanzen werden über eine Symbiose mit Mykorrhiza-Pilzen ernährt. Die Düngung mit künstlichem Stickstoff führt zu einseitigem Wachstum des oberirdischen Teils der Pflanze. Die Wurzeln werden umso weniger ausgebildet, je einfacher verfügbar der Dünger ist.
Der Tübinger Mykorrhiza-Forscher Michael Weiß schreibt über die Pilze im Boden: "Aber vom Mineraldünger können sie sich nicht ernähren, sie verhungern. Das gesamte Bodenleben hat ohne Humusquelle praktisch nichts mehr zu futtern. Die Biodiversität nimmt drastisch ab. Das beschleunigt auch die Bodenerosion."
Stickstoffsteuer erspart aufwändige Hoftorbilanz
In Deutschland sind die Stickstoffüberschüsse doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Die EU drohte bereits mit Strafen in Millionenhöhe.
Eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) schlug 2013 die Einführung einer Stickstoffüberschussabgabe auf Grundlage einer Hoftorbilanz vor, in der alle stickstoffrelevanten Zuflüsse und Abgänge erfasst und bilanziert werden. Seit 2018 gilt die Bilanzpflicht für einen Großteil, ab 2023 für alle landwirtschaftlichen Betriebe.
In den Niederlanden wurde die Stickstoffüberschussabgabe 1998 eingeführt. Tatsächlich wurde dort ein deutlicher Rückgang der Stückstoffüberschüsse beobachtet. Als problematisch galt allerdings der hohe Verwaltungsaufwand. Er verschlang in den Anfangsjahren etwa 45 Prozent des Aufkommens – was ein Grund für die Abschaffung der Abgabe im Jahr 2005 war.
Wirkungsvoller wäre die Veränderung der Besteuerungsgrundlage. Wenn man statt des zu ermittelnden Stickstoffüberschusses die Menge der eingesetzten Stickstoffverbindungen als Berechnungsgrundlage nimmt, könnte man völlig auf die aufwändige Hoftorbilanz verzichten.
Beim mineralischen Dünger würde die Steuer je Tonne Stickstoffdünger berechnet. Beim organischen Dünger aus der Tierhaltung würde ein Tierbesatz entsprechend den Richtlinien des ökologischen Landbaus von der Besteuerung ausgenommen bleiben.
Bauern müssen keine Ökobauern werden
Was beim Stickstoff sinnvoll ist, bietet sich auch für andere Folgeschäden an. Abgaben auf Pestizide, Antibiotika und Futtermittel-Importe würden den Markt im Ansatz in eine ökologische Richtung lenken.
Natürlich können diese Abgaben nur schrittweise eingeführt werden, um den Landwirten Zeit zur Anpassung zu geben. Parallel dazu müssen Fördermittel und Weiterbildungsmaßnahmen an den ökologischen Umbau angepasst werden.
Dieser Weg könnte unabhängig von der verfehlten Förderpolitik der EU sofort beginnen. Dass steigende Kosten sozial abgefangen werden müssen, dürfte allen Beteiligten klar sein.
Bauern müssen dafür auch keine überzeugten Ökobauern werden. Greenpeace hat in einer Studie von einer "ökologisierten konventionellen Landwirtschaft" gesprochen.
Die Landwirte würden damit endlich aus dem jetzigen Dilemma herauskommen, dass betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, was aus ökologischen Gründen eindeutig falsch ist.
Perspektivisch würde Ökolandbau zum Normalfall werden.