Kiste mit Lebensmitteln, die im Supermarkt aussortiert und von Aktivistinnen und Aktivisten gerettet wurden.
Rund 300 Kilo Lebensmittel bewahrt die Organisation Green Fair Planet in Minden pro Woche vor dem Wegwerfen und verteilt sie an Bedürftige oder gemeinnützige Vereine. (Foto: Oliver Hallmann/​Flickr)

Das Problem ist seit Jahren bekannt, doch gelingt es nicht, das System zu ändern: Nach wie vor fliegt zu viel Essen in den Müll.

2,5 Milliarden Tonnen Lebensmittel landen weltweit jedes Jahr in der Tonne. Das hat eine Untersuchung des WWF ergeben, die die Umweltorganisation in Zusammenarbeit mit der britischen Supermarktkette Tesco durchgeführt hat.

Schon vor, während und unmittelbar nach der Ernte oder der Schlachtung geht demnach viel Getreide, Gemüse oder Fleisch verloren. So verursacht allein die Landwirtschaft einen Verlust von 1,2 Milliarden Tonnen. Etwa 40 Prozent der weltweit erzeugten Lebensmittel kommen nie auf einen Teller.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Während etwa in Entwicklungsländern die Infrastruktur fehlt, um Lebensmittel zu lagern oder zu kühlen, führen übertriebene Anforderungen an Lebensmittel in industrialisierten Ländern dazu, dass vieles eigentlich noch Verwendbare weggeworfen wird.

"Die Ergebnisse des Berichts zeigen, dass wir die gesamte Lebensmittelversorgungskette in die Pflicht nehmen müssen, damit bereits im ersten Glied der Nahrungskette weniger verloren geht", sagte WWF-Ernäherungsexpertin Tanja Dräger.

Offizielle Zahlen zur Lebensmittelverschwendung liegen weit niedriger als die jetzt veröffentlichten Zahlen des WWF. Die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO schätzt, dass jährlich 1,2 Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden.

Dabei hat die FAO anders als der WWF nicht die Verluste während des Anbaus und der Ernte einbezogen. Zudem stammen die FAO-Zahlen aus dem Jahr 2011. Seither hat die Produktion von Nahrungsmitteln erheblich zugenommen – und damit auch der Abfall.

Für zehn Prozent aller Klimagase verantwortlich

So oder so sind viele Zahlen zur Lebensmittelverschwendung lückenhaft – meist beruhen sie auf Schätzungen. Das ist auch bei der WWF-Studie der Fall. Die Organisation hat die Verluste in den landwirtschaftlichen Betrieben unter Verwendung verschiedener Online-Datenbanken und Studien hochgerechnet. Zu einzelnen Lebensmitteln und Regionen wurden Fallstudien durchgeführt.

Die Folgen der Lebensmittelverschwendung sind weitreichend: hoher Wasserverbrauch, Überdüngung, Versauerung von Böden, Verlust der Artenvielfalt, unnötiger Flächenverbrauch. Zudem verschärft das Verschwenden von Nahrungsmitteln die Klimakrise: Zehn Prozent aller globalen Treibhausgasemissionen gehen laut der WWF-Studie auf das Konto der Lebensmittelverschwendung.

Auch ein Report des UN-Umweltprogramms Unep beziffert die Emissionen, die durch das Wegwerfen von Lebensmitteln entstehen, auf etwa ein Zehntel des weltweiten Treibhausgasausstoßes. Wer in Deutschland lebt, wirft dem UN-Bericht zufolge jede Woche durchschnittlich rund 1,5 Kilogramm Lebensmittel in die Tonne.

Für den jetzt vorgelegten Report hat der WWF keine Zahlen speziell für Deutschland erhoben. In früheren Abschätzungen kam die Umweltorganisation auf 18 Millionen Tonnen verschwendete Lebensmittel in Deutschland.

Regierungsamtliche Zahlen gehen von einem jährlichen Verlust von zwölf Millionen Tonnen Lebensmittelabfällen aus. Für mehr als die Hälfte davon sind laut dem Braunschweiger Thünen-Institut die privaten Haushalte verantwortlich. Allerdings räumt das Institut ein, dass die Datenlage in der Produktion, der Verarbeitung und dem Handel unsicher sei.

"Unlautere Handelspraktiken unterbinden"

Im Frühjahr 2019 hatte die Bundesregierung unter Federführung von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) eine Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung verabschiedet. Bis 2030 sollte eine Halbierung erreicht werden – wie es die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen vorsehen, zu deren Einhaltung sich Deutschland verpflichtet hat.

Allerdings setzt die Regierung dabei hauptsächlich auf freiwillige Maßnahmen für die Lebensmittelindustrie. "Die nächste Bundesregierung muss nach der Bundestagswahl mehr Biss entwickeln im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung", fordert WWF-Expertin Dräger. Die Regierung solle etwa prüfen, ob es in der Produktion, der Weiterverarbeitung und dem Handel genügend Bewegung im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung gebe.

Die ernährungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Ursula Schulte sieht weitere Hebel: "Wir müssen Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelrettern die Arbeit erleichtern, das Mindesthaltbarkeitsdatum reformieren und ein gesetzliches Wegwerfverbot für Handel und Produktion auf den Weg bringen." Unlauteren Handelspraktiken, die den Verderb großer Mengen von Lebensmitteln einkalkulieren, gehöre ein Riegel vorgeschoben.

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