Schnitt durch einen Laubwaldboden.
Die Humusauflage ist in der gemäßigten Klimazone oft nur wenige Zentimeter dick. (Foto/​Ausschnitt: U. Rosentod/​Wikimedia Commons)

Es wird wärmer und die Folgen der Erderhitzung werden sichtbar. Wir fragen uns, wie wir sie rückgängig machen oder Strategien zur Klimaanpassung finden können, um besser mit ihr zu leben.

Ein Teil der Antwort ist die Landwirtschaft, und das nicht nur, weil die derzeitig vorherrschende Praxis für knapp acht Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, sondern auch weil Landwirt:innen mit Klimafarming oder regenerativer Landwirtschaft, also dem Aufbau von Humus im Boden, CO2 aus der Atmosphäre binden und zugleich ihre Böden fruchtbarer machen können.

Die fachliche Diskussion um Kohlenstoffspeicherung in Böden ist aber aufgrund der vielen Publikationen für die meisten umweltbewegten Menschen nicht überschaubar. Hier soll aus bodenkundlicher Sicht versucht werden zu erklären, was den Humus im Boden hält und wie wir dazu beitragen können, Klima und Bodenfruchtbarkeit durch Aufbau der Humusvorräte zu schützen.

Wie unser heutiges Bild vom Humus entstand

Boden ist mehr als Dreck. Er ist die Grundlage unserer und aller vorangegangenen Generationen und der Untergang der Nachkommen all jener, die ihn nicht gut zu behandeln wissen.

Wenn wir mit den Händen im Boden graben, fühlen wir meistens seine mineralischen Bestandteile: den groben Sand, den Schluff, der sich, wenn es trocken ist, wie Mehl von der Hand blasen lässt, oder den noch feineren Ton, der in den Rillen unserer Finger hängen bleibt.

Einer der wichtigsten Bodenbestandteile ist aber der Humus, der meistens nur einige Prozente der Bodenmasse ausmacht, von dem aber jedes Kind weiß, dass die Erde ohne ihn wüst wäre. Er färbt den Boden braun, soweit sind wir uns einig.

Doch hat der Begriff "Humus" in der Vergangenheit nicht immer dasselbe bezeichnet. Und selbst heute, in unserer von streng wissenschaftlichen Definitionen geprägten Berichterstattung, existieren ältere und neuere Sichtweisen nebeneinander, was Humus sei, und beeinflussen unsere Deutung, welche Wirkung menschliches Handeln auf die Humusvorräte der Böden hat.

Daher ein kurzer Blick in die Geschichte. Entstanden mit dem Leben selbst, dessen Abfall und Grundlage er ist, hatte Humus die meiste Zeit über keinen eigenen Namen. Die Worte humus, solum und terra wurden im Alten Rom, aus dem unsere ersten etymologischen Quellen stammen, gleichbedeutend mit "Boden" oder "Erde" benutzt und verschwanden dann in der Literatur für Jahrhunderte von der Bildfläche.

Erst im 18. Jahrhundert tauchte der Begriff in geschriebenen Werken von Wallerius (1753), Diderot und d'Alembert (1765), Valmont de Bomare (1768) und Rozier (1805) wieder auf, diesmal als nicht näher definierter "Bodenbestandteil", als eine vegetative "Kraft", ganz profan als oberste Bodenschicht oder einfach wieder als "Boden".

Im 19. Jahrhundert dann wurde die Bodenkunde in Westeuropa und Russland zunehmend ein eigenes Wissenschaftsfeld (und vielleicht wäre dieser Beitrag weniger eine bloße Geschichte der westlichen Welt, wenn dem Autor als sprachunkundigem Nicht-Historiker ältere Quellen aus anderen Teilen der Welt besser zugänglich wären).

Die einen nutzten Humus als Wort zur Beschreibung von Bodenhorizonten, ein Konzept, das sich heute noch in der Schichtung von organischen Auflagen zum Beispiel in Wald-, Torf- und Unterwasserböden wiederfindet.

Die anderen definierten Humus als einen im Boden verteilten Stoff und schufen damit die Vorstufe der heutigen biogeochemischen Definition von "Humus". Um sie geht es hier, da wir zur Erhaltung und Regeneration der Bodenhumusvorräte verstehen müssen, wie Humus entsteht, gespeichert und abgebaut wird und welche Eigenschaften er währenddessen dem Boden gibt.

Die ersten naturwissenschaftlichen Konzepte

Da der Abbau grober Pflanzenteile in der Streu des Bodens oder im Kompost jedem Menschen sichtbar wird, der sich einige Zeit an einem Fleckchen Erde aufhält, hatten die Pionier:innen der Humusforschung wohl von Anfang an ein Verständnis von Humus als etwas, das nicht einfach da ist und für immer bleibt.

Zwei französische Bodenkundler, Patrin und de Saussure, stellten schon 1803 und 1804 die noch heute gültige Erkenntnis auf, dass Humus der einem ständigen Abbau unterliegende Überrest von Lebewesen ist – eine Aussage, die impliziert, dass er folglich auch nachgeliefert werden müsse, solle er nicht verschwinden.

Porträtaufnahme von Frederick Büks.
Foto: privat

Frederick Büks

forscht an der TU Berlin, Fachgebiet Boden­kunde, zu Boden­frucht­barkeit, Struktur und Regeneration. Mit dem Mamasoil-Kollektiv unterstützt er Projekte des sozial-ökologischen Wandels.

Dass daran Bodenlebewesen nicht nur als totes Material, sondern aktiv als Zersetzer beteiligt sind, schrieb Charles Darwin 1881 in seinem auf jahrzehntelangen Beobachtungen basierenden Buch "Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer" das aus bodenkundlicher Sicht ähnlich bedeutend ist wie seine Evolutionstheorie.

Im selben Jahrzehnt beschrieb der dänische Förster und Naturforscher P. E. Müller in einem umfassenden Werk die verschiedenen Abbaugrade des mit bloßem Auge sichtbaren Humus und die an seinem Abbau beteiligten Würmer, Insekten und Pilze. Er kommt dabei auf einen enorm wichtigen Punkt: die unverzichtbare Rolle eines aktiven Bodenlebens für den Humusauf- und -abbau.

Zu der Zeit setzte sich gerade die Idee durch, dass Humus einer der wichtigsten Faktoren der Bodenfruchtbarkeit sei. Noch im 18. Jahrhundert war selbige mit Salzen, Ölen und Teeren, Holzkohle und Lehmen in Verbindung gebracht worden, ohne dass wir heute sicher wissen, ob mangels chemischer Analytik mit diesen Begriffen nicht teilweise der sichtbare Humus gemeint war.

Humus wird wichtig – und überflüssig

Erst Albrecht Thaer, ein Pionier der landwirtschaftlichen Forschung, der 1809 in seinem Werk "Grundsätze der rationellen Landwirtschaft" Humus als den dunklen, pulverförmigen Rückstand pflanzlicher und tierischer Fäulnis definiert und damit den im Gegensatz zur Streu bereits stärker abgebauten Anteil der organischen Bodensubstanz meinte, sah Humus als den Pflanzennährstoff Nummer eins.

Zwar ist Thaers in Unkenntnis der Fotosynthese getroffene Grundannahme, Pflanzen bauten ihre Biomasse vornehmlich aus Humus auf, völlig falsch. Die daraus abgeleitete Idee, dass Humus entscheidend für die Bodenfruchtbarkeit und eine Humuswirtschaft daher wichtig sei, ist jedoch angesichts der positiven Wirkung des Humus auf den Wasser- und Nährstoffhaushalt des Bodens richtig.

Vorläufig verdrängt wurde dieser Gedanke allerdings durch die bahnbrechende Erkenntnis, dass Pflanzen ihr Gewebe durch CO2-Fixierung aus der Luft aufbauen und auch ihre sonstigen Nährstoffe vornehmlich in mineralischer Form aufnehmen, was zur Entstehung der Mineraldüngerindustrie und den damit verbundenen Produktivitätszuwächsen führte. Einige Jahrzehnte später sollte der Humus überflüssig erscheinen, sein Verlust verkraftbar. Bauern stampften ihre Komposte ein.

Nachdem jetzt Streu und feinpartikulärer Humus als Teile der organischen Bodensubstanz bekannt waren, lernte man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen dritten Stoff kennen, eine Klasse nicht näher beschriebener saurer Verbindungen, die aus verschiedenen Böden, Pflanzenteilen, organischen Düngern oder auch Torf mit starken Säuren und Laugen extrahiert werden konnten und irgendwie dunkel waren.

Heute kennen wir sie unter dem Namen Huminstoffe, eine Gruppe großer Moleküle von verwirrender Vielfalt, die schon in den 1930ern als Produkte von Mikroorganismen erkannt wurden. Im Boden haften die Huminstoffe elegant an den Oberflächen der Mineralpartikel, geben ihnen ihre dunkle Farbe, stellen Speicherplätze für Nährstoffe zur Verfügung und sind aufgrund ihrer großen, unhandlichen Struktur schwer bis gar nicht von Mikroorganismen abbaubar.

Huminstoffe gelten heute in der landwirtschaftlichen Praxis als immens bedeutsam für die Bodengesundheit und die CO2-Speicherung unter unseren Füßen. Unglücklicherweise ist gar nicht so sicher, ob es sie überhaupt gibt.

Der verschlungene Weg zu einer anderen Sichtweise

Die Zweifel an dieser doch so praktischen "Huminstofftheorie" traten seit den 1960ern peu à peu auf. Sind Huminstoffe wirklich riesige Makromoleküle, die sich am Ende des Streuabbaus im Boden aus den Ausscheidungsprodukten der Bodenmikroorganismen bilden und dann von sich aus chemisch stabil gegenüber weiterem Abbau sind?

Im Boden selbst konnten sie mit den seit den 1990ern aufkommenden spektroskopischen Messmethoden nämlich nicht nachgewiesen werden, während andere komplizierte, große Moleküle von Mikroorganismen ohne Weiteres abgebaut wurden.

Sollten die stabilen Huminstoffe in Wirklichkeit ein Geist sein, erst entstanden aus Abbauprodukten der Streu, Wurzelausscheidungen, allerhand Zellresten und Ausscheidungen des Bodenmikrobioms aufgrund des zu ihrer Analyse eingesetzten harschen Extraktionsprozesses? Und wenn ja, was hinderte dann diese bestimmte Fraktion des Humus daran, genauso schnell wieder abgebaut zu werden wie der restliche Humus?

Ein Regenwurm schlängelt sich auf dem Boden entlang.
Regenwürmer produzieren Humus: Darwins zweite bahnbrechende Erkenntnis wird wenig gewürdigt. (Foto: Patricia Degrave/​Pixabay)

Auf der Suche nach einer Lösung des Problems blieb man zunächst bei der Idee, dass es eine Eigenschaft des Humus selbst sein müsse, die seine Abbaubarkeit einschränkt. So postulierte die "Hypothese des selektiven Abbaus", dass chemisch stabilere Moleküle einfach langsamer abgebaut werden, sodass sich mit der Zeit eine Dauerhumusfraktion im Boden anreichere.

Aber wurden nicht selbst solche als sehr widerstandsfähig geltenden Stoffe wie das Lignin verholzter Pflanzenteile unter günstigen Bedingungen schnell von Bodenmikroorganismen verstoffwechselt? Also nahm das etwas jüngere decompositon model gar nicht erst an, dass es stabile Moleküle im Boden gebe. Stattdessen vermutete es, dass der Humus einfach Stück für Stück zu CO2 abgebaut werde, während auf dem Weg immer wieder komplexe organische Verbindungen entstünden und dann wieder dem Abbau unterlägen.

Durch die unterschiedlichen Ab- und Aufbauraten stellte sich so ein Gleichgewicht aus komplexen und weniger komplexen Molekülen ein. Nach diesem größtenteils schlüssigen Modell, das die Probleme seiner Vorgänger ausräumte, gäbe es jedoch im Boden keine jahrhundertealte organische Substanz, deren Existenz über chemische Datierungsmethoden eindeutig nachgewiesen ist. Was zur Hölle passiert also mit dem Humus?

Nicht die Art, der Ort ist es: Das neue Humusmodell

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann man davon auszugehen, dass es im Boden mindestens zwei Schutzmechanismen gegen den Humusabbau gibt, die viel bedeutender als die chemische Stabilität des Humus sind.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der Anteil von Ton im Boden. Moleküle, die an Tonmineralen haften, können schwerer von Mikroorganismen aufgenommen oder von deren extrazellulären Enzymen verdaut werden. Das ist so ähnlich, wie wenn man versucht, ohne Zuhilfenahme der Hände eine Pizza zu essen, die an der Wand klebt.

Darüber hinaus bilden Böden mit einem ausreichenden Tonanteil, zum Beispiel Lehmböden, eine krümelige Bodenstruktur heraus – ein Prozess, der durch ein gesundes, aktives Bodenleben unterstützt wird. Diese Krümel, Bodenaggregate genannt, schließen den Humus ein. In ihrem Innern sind die Poren eng, sodass der Antransport von Wasser mit ausreichend gelöstem Sauerstoff und Nährstoffen sowie der Abtransport von Stoffwechselabfällen nur sehr langsam ablaufen.

Unter diesen ungünstigen Bedingungen fahren die im Aggregat lebenden Mikroorganismen ihren Stoffwechsel herunter oder gehen in ein Überdauerungsstadium über. Damit ist der Abbau von Molekülen und feinen Partikeln, die in ein Aggregat eingeschlossen sind, unabhängig von ihrer chemischen Struktur stark gehemmt.

Obwohl also innerhalb der Aggregate der Großteil der mikrobiellen Biomasse im Boden existiert, ist hier der Humus am besten geschützt. Viele größere Organismen kommen gar nicht erst an ihn heran.

An die Stelle der immer noch weit verbreiteten Huminstofftheorie tritt jetzt das soil continuum model – die Annahme, dass Humus fortwährend durch das Bodenleben zersetzt und zu CO2 und neuer Biomasse umgebaut wird und dass für seine Speicherung im Boden nicht entscheidend ist, was er ist, sondern wo. Ausschlaggebend ist die Bildung einer krümeligen Bodenstruktur durch ein aktives Bodenleben.

Durch diese Aggregierung erhält der Boden die Fähigkeit, Teile seines Humus vor mikrobiellem Abbau zu schützen, was die Lebensdauer der organischen Bodensubstanz auf Jahrhunderte verlängern kann und zu ihrer Anreicherung führt, solange noch genügend Platz in Aggregaten vorhanden ist. Dadurch lässt sich auch erklären, warum Sandböden, die aufgrund eines geringen Tonanteils schlechter aggregieren, weniger Humus speichern als etwa die fruchtbareren Lehmböden.

Indem ein Teil des Nährhumus, der dem Bodenleben als Nahrung zur Verfügung steht, durch seinen Abbau zu Dauerhumus wird (der seinerseits übrigens wiederum die Krümelstruktur des Bodens stabilisiert), verbessert sich die Fruchtbarkeit des Bodens. Mit der Anreicherung des Dauerhumus wächst die Fähigkeit des Bodens, Wasser und Pflanzennährstoffe zu speichern. Das lockere Krümelgefüge erlaubt den Pflanzen darüber hinaus eine bessere Durchwurzelung des Bodens, was diesen wiederum vor Erosion schützt.

Was heißt das für den Umgang mit Humus?

Jetzt wird deutlich, wie wichtig ein korrektes Verständnis biogeochemischer Prozesse für Klimaschutz und Anpassungsstrategien an den Klimawandel ist und warum dieser lange Text geschrieben wurde.

Unter dem alten Paradigma ist der Humus von sich aus stabil und es ist nicht erklärbar, warum das Pflügen von Äckern oder die Unterdrückung des Bodenlebens durch Pestizide oder vorwiegend mineralische Düngung sich negativ auf die Humusbilanz eines Bodens auswirken sollten.

Mit der aktuellen Theorie verstehen wir hingegen, dass das mechanische Aufbrechen der Bodenstruktur durch die Pflugschar das Innere der Aggregate plötzlich nach außen kehrt und mit Luft und Nährstoffen versorgt. Der mikrobielle Abbau springt an, der Humus wird zu CO2 und geht verloren.

Wir verstehen auch, dass durch den Einsatz von Pestiziden, die sich ja negativ auf die Aktivität des Bodenlebens auswirken, der vorangehende Schritt des Humusaufbaus gestört wird, nämlich der Umsatz von Nährhumus zu Dauerhumus. Damit dieser Umbau überhaupt erst stattfinden kann, muss organische Substanz in den Boden eingebracht werden – durch organische Düngung, Dauerbegrünung und die Erhaltung lebender Wurzeln über die Wintermonate.

Lavendelfeld zwischen Eichenbäumen.
Lavendel zwischen Eichen: Mit einem Fünftel der Anbaufläche ist Frankreich Vorreiter bei Agroforsten. (Foto: AGROOF/​Agforward/​Flickr)

Einige Schritte zu einem Humusaufbau wie die Nutzung von Untersaaten und Zwischenfrüchten werden heute von der öffentlichen Hand gefördert.

Weitere humusfördernde Methoden wie Mulchsaat, der Einsatz von Komposten oder Elemente von Agroforstwirtschaft werden zunehmend auch von konventionellen Landwirt:innen angewendet, die die zugrundeliegende Ökologie verstehen und umsetzen wollen.

Es gibt eine wachsende Wahrnehmung der negativen Folgen von Pestiziden und invasiver Bodenbearbeitung für grundlegende Bodenfunktionen und eine Suche nach besseren Methoden, um Ackerböden gesund und dauerhaft produktiv zu halten.

Das gibt Hoffnung, dass wir die kurze Zeit, die uns der Klimawandel zur ökologischen Transformation unserer Landwirtschaft lässt, nicht sinnlos verstreichen lassen.

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