
Italienreisende sind dieser Tage nicht zu beneiden. An der seit 26 Jahren offenen Grenze zwischen Österreich und Italien müssen seit dem 5. Juni wieder Ausweispapiere vorgezeigt werden. Von der Brennerautobahn wird von dreistündigen Wartezeiten beim Grenzübertritt berichtet.
Grund dafür ist der G7‑Gipfel. Vom 13. bis 15. Juni tagten die Staatschefs der sieben großen Industrienationen – Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und USA – in dem Luxusresort Borgo Egnazia in Apulien – der Hacke des italienischen Stiefels.
Um die Einreise von unliebsamen Gegendemonstrant:innen zu verhindern, setzte Italien für einige Tage vor und nach dem Gipfel die Grenzkontrollen wieder in Kraft.
Der Versuch, mit Repression demokratische Proteste fernzuhalten, sei nicht neu für die G7, kritisiert Charlotte Kehre von der Initiative Debt for Climate. Sie selbst sei am Mittwoch angereist. "Je weiter man nach Süden gekommen ist, desto stärker ist die Polizeipräsenz geworden."
Am Donnerstagabend seien Aktivist:innen von Debt for Climate grundlos über zwei Stunden in einer Polizeikontrolle festgehalten worden. Was Kehre aber besonders wütend macht: Durch die massiven Kontrollen und den abgelegenen Austragungsort sei die Teilnahme von Menschen aus dem globalen Süden am Protest kaum möglich gewesen.
Und das, obwohl Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni schon vergangenes Jahr angekündigt hatte, dass der "Süden der Welt" im Mittelpunkt des diesjährigen G7-Gipfels stehen werde. Die Entwicklung Afrikas und der Klimawandel waren der erste Tagesordnungspunkt des Gipfels.
"Es wird über und nicht mit dem globalen Süden gesprochen"
Bei dem Gipfel werde über den globalen Süden gesprochen und nicht mit ihm, erklärt Kehre. "Die G7 sind eine undemokratische Struktur, die ihre koloniale Herrschaft mit allen Mitteln aufrechterhält."
Auf der Auftaktprotestveranstaltung am Donnerstag hatten die Aktivist:innen ein drei Meter hohes Holzpferd dabei. Das "Trojanische Pferd" sollte die G7, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds darstellen.
In dem Holzgerüst waren aber nicht griechische Soldaten versteckt, sondern Transparente. Auf diesen kritisierten die Aktivist:innen die "koloniale Ausbeutung und Unterdrückung" durch Kredite und Entwicklungsprogramme der drei Institutionen.
Die Kernforderung: eine bedingungslose Schuldenstreichung für die Länder des globalen Südens. Auf dem Gipfel spielte diese Forderung wohl kaum eine Rolle.
Was hinter verschlossenen Türen diskutiert worden sein dürfte, war die Frage, wie es mit der Klimafinanzierung weitergehen soll. Das Versprechen der Industrienationen, jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Entwicklungsländer bereitzustellen, gilt nur bis 2025.
Auf der vor wenigen Tagen zu Ende gegangenen Klima-Zwischenkonferenz in Bonn schlugen die arabische und die afrikanische Ländergruppe vor, ein neues jährliches Finanzierungsziel zwischen 1,1 und 1,3 Billionen Dollar für die Jahre bis 2030 zu vereinbaren. Die Industrienationen hielten sich bedeckt und schlugen weder eine andere Summe vor noch kommentierten sie den Vorschlag der Entwicklungsländer.
"1,3 Billionen sind gemessen an dem, was notwendig ist, eine vergleichsweise moderate Forderung", findet der Finanzexperte der Hilfsorganisation Oxfam, Jan Kowalzig.
Es sei natürlich die Aufgabe der sieben führenden Industrienationen, einen Schritt auf die Entwicklungsländer zuzugehen, sagte Kowalzig zu Beginn des Gipfels. Aber er mache sich diesbezüglich keine Hoffnungen, fügte er hinzu.
Die meisten Klimahilfen sind Kredite
Am Ende gab es dazu tatsächlich keinen Beschluss der G7-Nationen. Stattdessen sollen, wie im Abschlussdokument festgehalten, "nachhaltige" Investitionen in Afrika ausgebaut werden. Außerdem soll das Kreditvolumen der Weltbank in den nächsten zehn Jahren auf 70 Milliarden Dollar erhöht werden.
Die Kreditvergaben der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds waren in der Vergangenheit häufig an Strukturanpassungsprogramme gekoppelt, die die Lebensbedingungen in den betroffenen Ländern nachweislich verschlechtert haben. Kredite wurden etwa an eine Privatisierung von Staatsbetrieben und einen Abbau von Subventionen gekoppelt.
Der Konflikt zwischen Entwicklungs- und Industrieländern in der Frage gerechter Finanzhilfen sitzt tief. Dass die Industrienationen ihr 100-Milliarden-Versprechen erst 2022, also mit zweijähriger Verspätung eingelöst haben, hat nicht gerade geholfen.
Auch an der Qualität der 100 Milliarden gibt es scharfe Kritik. Kowalzig betont, dass die Regeln dafür, was als Klimafinanzierung angerechnet werden darf, äußerst freundlich für die Industrienationen ausfallen.
Knapp 70 Prozent der Finanzhilfen werden etwa als Kredite vergeben. Ein Teil dieser Kredite wird zu marktüblichen Konditionen gewährt. Mit anderen Worten: Die Industrienationen verdienen über die Zinsen Geld an ihren Finanzhilfen.
Viele der Projekte, die von den Industrieländern im Rahmen der Klimafinanzierung gefördert wurden, haben auch nur bei sehr viel gutem Willen etwas mit Klimaschutz zu tun. Bei anderen Projekten reicht selbst guter Wille nicht aus.
Die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe in Deutschland hat zum Beispiel 2021 die Lobbyarbeit des Symposiums der afrikanischen Bischofskonferenzen Secam unterstützt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit verbuchte die 186.000 Euro als Klimaanpassungsmaßnahme.
Eine Analyse des Thinktanks Center for Global Development (CGD) ergab zudem, dass 27 Milliarden Dollar aus der Entwicklungshilfe als "Klimafinanzierung" umetikettiert wurden. Und das, obwohl die 2009 beim Klimagipfel in Kopenhagen vereinbarte Klimafinanzierung aus "neuen und zusätzlichen" Finanzhilfen bestehen soll.
Lula unterstützt Schuldenstreichung
Die Forderung von Debt for Climate nach einer bedingungslosen Schuldenstreichung findet auch Finanzexperte Kowalzig angemessen: "Eigentlich wäre es richtig, diesen Ländern bedingungslos die Schulden zu erlassen und sie trotzdem bei der Ausgestaltung von Klimaschutzprogrammen zu unterstützen. Diese Länder haben im Zweifel ja selbst das stärkste Interesse an Klimaschutz und -anpassung."
Bisher hat die Forderung noch wenig politisches Momentum. Das könnte sich in den kommenden Jahren aber ändern.
So unterstützt der brasilianische Präsident Lula da Silva eine Schuldenstreichung. Es ist also zu erwarten, dass die Forderung auf dem übernächsten Klimagipfel 2025 in Brasilien eine größere Rolle einnehmen wird.
Bei einem Trojanischen Pferd blieb es während des G7-Gipfels nicht. Etwa 60 Aktivist:innen von Debt for Climate, Extinction Rebellion Italien und weiteren Gruppen blockierten am Freitagnachmittag den Eingang des Medienzentrums nahe dem G7-Gipfel.
Die Aktion sollte auf die Rolle der Medien aufmerksam machen, die sie durch ihre Berichterstattung über solche Gipfeltreffen und über die Klimakrise haben. Charlotte Kehre: "Die G7 ist nicht nur ein undemokratisches Forum, das hinter verschlossenen Türen die großen Fragen der Welt beantworten will. Sie ist eine brutale Gegenoffensive gegen die aus dem globalen Süden angestrebte solidarische und gerechte Welt."
Interview mit Oxfam-Experte Jan Kowalzig: "1,3 Billionen Dollar pro Jahr sind noch moderat"