Das Pariser Klimaabkommen ist das verschriftlichte Versprechen von 195 Ländern, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, die Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Dieses Versprechen haben die Länder vor mittlerweile acht Jahren abgegeben. Was ist seitdem passiert?

Beantworten soll diese Frage der am Freitag veröffentlichte Entwurf der "weltweiten Bestandsaufnahme", englisch Global Stocktake. Die Bestandsaufnahme soll als Leitbericht überprüfen, wie gut die Weltgemeinschaft damit ist, Versprechen einzuhalten. Von einem "Moment der Wahrheit" spricht Laurence Tubiana. Die heutige Geschäftsführerin der European Climate Foundation gilt als Architektin des Abkommens.

"Die globalen Emissionen sind nicht im Einklang mit dem Temperaturziel des Paris-Abkommens", stellt der Entwurf wenig überraschend fest. Die gesamte Einsparlücke wird für 2030 mit etwa 20 bis 24 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent angegeben, das ist mehr als die Hälfte der heutigen weltweiten Emissionen. Um unterhalb des 1,5-Grad-Limits zu bleiben, müssten die Emissionen bis 2025 ihren Höhepunkt erreichen und dann sinken.

Das folgt dem sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC, in dem es heißt, dass die Emissionen zwischen 2020 und 2025 gipfeln müssen, um den Paris-Vertrag einhalten zu können. Die Welt muss laut IPCC-Bericht ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto null reduzieren. Regierungen müssen dafür sowohl ihre nationalen Klimaziele verschärfen als auch Maßnahmen ergreifen, um diese Ziele tatsächlich zu erreichen.

Der Entwurf der Bestandsaufnahme fasst zahlreiche Beiträge von Regierungsexpert:innen, Wissenschaftler:innen und der Zivilgesellschaft zusammen. Er muss von den Staaten noch akzeptiert werden.

Das Dokument findet durchaus deutliche Worte. Um die Klimaziele zu erreichen, "ist eine radikale Dekarbonisierung aller Wirtschaftssektoren erforderlich", steht in dem Entwurf.

Déjà-vu oder Wendepunkt?

Weiter heißt es, zentrale Elemente einer gerechten Energiewende seien der Ausbau von erneuerbaren Energien sowie das Aus für fossile Brennstoffe ohne CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS). "Ohne CCS" wird dabei mit unabated (unvermindert) umschrieben.

Allerdings stellt der Bericht auch klar, dass die umstrittene CCS-Technologie nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen soll.

Beim Durchlesen drängt sich die Frage auf: Ist das nicht alles längst bekannt? Und es stimmt, streckenweise wirkt der Bericht wie eine Aneinanderreihung von Phrasen, die schon so oder ähnlich in anderen Berichten und Analysen zu lesen waren. Sogar das abgegriffene Bild von dem sich schnell schließenden Fenster der Möglichkeiten, um die Klimaziele zu erreichen, fand Eingang in die Bestandsaufnahme.

Doch der Bericht könnte ein Wendepunkt werden, hofft Laurence Tubiana. Es ist nicht irgendeine wissenschaftliche Analyse, sondern Teil des Prozesses, dem alle 195 Vertragsstaaten von Paris zugestimmt haben. Dementsprechend müssen sich die Staaten in den kommenden Monaten und während der diesjährigen Weltklimakonferenz in Dubai auch mit der Bewertung ihres Handelns oder Nichthandelns auseinandersetzen.

Es sei zudem ein Novum, so Tubiana, dass ein Bericht mit derart ausführlichen Daten für jedes einzelne Land gefüttert wurde. Die Bestandsaufnahme gehe weit über den Umfang des jährlich von den Vereinten Nationen veröffentlichten Emissions Gap Report hinaus.

Auf der Weltklimakonferenz in Dubai im Dezember wird die Bestandsaufnahme eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen spielen. Denn viel wichtiger als der Blick in die Vergangenheit sei die Frage, was nun aus dem Bericht folge, sagte Thomas Tayler, Leiter des Bereichs Klimafinanzierung der Londoner Versicherungsgesellschaft Aviva. "Die Bestandsaufnahme ist eine Wiederholung der in Paris gestellten Prüfungsaufgaben an die Regierungen."

Neue Ziele ohne Maßnahmen vergrößern nur die Umsetzungslücke

Die Bestandsaufnahme soll Grundlage für die nächste Generation nationaler Klimapläne sein, die 2025 fällig werden. Sie müssen nicht nur ambitionierter, sondern auch umfangreicher als ihre Vorgänger werden. Angesichts von Tempo und Umfang der nötigen Klimaschutzanstrengungen müssten Ansätze gefunden werden, "die gesamte Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft einzubeziehen", heißt es im Entwurf.

Zu viele der politischen Ziele und Versprechen blieben ohne Folgen, meint Thomas Tayler. "Auf einem G7-Gipfel 2022 erklärten die Staaten, dass sie ineffiziente fossile Subventionen bis 2025 abschaffen würden, aber der Markt hat darauf nicht reagiert."

Tatsächlich versprechen die G7-Länder diesen Subventionsabbau schon seit Jahren, die erweiterte Staatengruppe G20 tut es sogar schon seit 2009 – ohne dass das Vorhaben entscheidend vorangekommen wäre.

Um die gesamte Wirtschaft mitzunehmen, müssten politische Ziele glaubwürdig sein, sagte Tayler. Dazu gehörten auch nationale Klimapläne, die klare Maßnahmen benennen und nicht nur mit höheren Zielen die Umsetzungslücke vergrößern.

Nach wie vor fließen enorme Geldsummen in klimaschädliche Geschäftszweige. Denn solange Klimaschäden nicht adäquat eingepreist sind, lohnt sich das Geschäft in klimaschädlichen Branchen. Tayler: "Und solange diese Fehler im Markt nicht von Regierungen korrigiert werden, werden die Emissionen weiter steigen."

Ob die globale Bestandsaufnahme tatsächlich ein Wendepunkt darstellt, wird sich erst im Dezember beurteilen lassen. Erst dann wissen wir, ob ein schlechtes Klima-Zeugnis zu besseren Klimagipfeln führt.