
Zehn Jahre ist die hochgelobte Klimakonferenz in Paris her. Erneut nähert sich die Welt einem historischen Weltklimagipfel – dem bereits dreißigsten. Er findet im November in der brasilianischen Küstenmetropole Belém statt.
Den Gipfel zeichnet schon jetzt eine Besonderheit aus. Er wird stattfinden, nachdem die Welt schon mehr als ein Jahr lang das 1,5-Grad-Ziel von Paris übertreten hat. Darauf wies auch der designierte Gipfelpräsident André Corrêa do Lago am Mittwoch in Berlin beim traditionellen Petersberger Klimadialog hin. Das zweitägige Vorbereitungstreffen von rund 40 Staaten auf Ministerebene fand auf Einladung Deutschlands im Auswärtigen Amt statt.
Dass die Welt das 1,5-Grad-Limit so deutlich überschritt, wird meist mit zeitweisen Klimaanomalien wie El Niño erklärt, die für zusätzliche Erwärmung sorgten. Mit dieser Vorstellung räumte Johan Rockström, Co-Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), bei dem Dialogtreffen recht gründlich auf.
Denn für Rockström mehren sich Anzeichen, dass die Erderwärmung sich beschleunigt und der Planet zugleich zunehmend seine Resilienz, also seine Widerstandsfähigkeit dagegen verliert. Bisher habe die Erde auf zunehmende Treibhausgas-Emissionen in der Weise reagiert, dass sie diese in ebenso wachsendem Maße absorbiert habe – insgesamt in etwa die Hälfte der zivilisatorischen Emissionen.
Doch zum ersten Mal gebe es jetzt einen "Riss im System", betonte Rockström beim Klimadialog. Außerdem erhöhten die zurückgehenden Eisflächen die Wirkung der Sonneneinstrahlung, was die Erwärmung wiederum antreibe. "Wir können uns auf die Puffer-Funktion der Erde nicht mehr verlassen", konstatierte der Klimaforscher.
"1,5 Grad sind ein physikalisches Limit"
Für ihn muss sich deswegen auch das Herangehen an den Klimaschutz ändern. "Die 1,5 Grad sind nicht mehr länger ein Ziel, sondern ein physikalisches Limit", redete Rockström in Berlin den Vertretern von 40 Ländern ins Gewissen. Die Menschheit mache derzeit einen doppelten Fehler: Die Emissionen sinken nicht und die Resilienz werde auch nicht intakt gehalten.
Enteilt der Klimawandel immer schneller der Politik, drohen aus der Sicht von Rockström langfristig erhebliche wirtschaftliche Schäden. Nahezu ein Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung könne durch den Klimawandel bis 2050 verloren gehen, zitierte der PIK-Chef aus entsprechenden Studien. Ärmere Länder würden davon deutlich stärker betroffen sein als reichere.
Das bestätigte Achim Steiner, Chef des UN-Entwicklungsprogramms. Den Verlust an Wertschöpfung bezifferte Steiner bei den reicheren Ländern auf acht Prozent, bei den ärmeren auf 15 Prozent.
Um all die warnenden Worte der Fachleute nicht in den Räumen des Auswärtigen Amtes verhallen zu lassen, forderte Klimagipfel-Präsident Corrêa do Lago eine "nie dagewesene internationale Kooperation, Solidarität und Tatkraft".
Statt um einen tatkräftigen Schritt nach vorn ging es bei dem ersten hochrangigen Klimatreffen seit dem Austritt der USA aus dem Paris-Abkommen jedoch erst einmal darum, die internationale Klimagemeinschaft überhaupt am Leben zu erhalten.
Offene Fragen zu Klimaplänen und Klimafinanzierung
Herztöne seien allerdings zu hören, so die einhellige Meinung Anwesender. Der aus New York zugeschaltete UN-Generalsekretär António Guterres sowie die scheidende deutsche Außenministerin Annalena Baerbock warben zu Dialog-Beginn auch fleißig für eine noch stärkere Zusammenarbeit und das Überwinden alter Klüfte.
Spätestens auf dem 30. Klimagipfel muss es dann aber konkret werden. Zu klären ist, wie und woher sich die 1,3 Billionen US-Dollar an Klimafinanzierung für Entwicklungsländer bis 2035 zusammenkehren lassen. Eine neue Antwort darauf hatten die Petersberger Klimadelegierten auch diesmal nicht in petto.

Nach jetzigem Stand sollen 300 Milliarden von den 195 Mitgliedsstaaten des Paris-Abkommens selbst aufgebracht werden, wobei auch verzinste Kredite weiterhin als Klimafinanzierung geltend gemacht werden dürfen. Für die "restliche" eine Billion Dollar gibt es zwar jede Menge Vorschläge wie etwa neue Abgaben auf Schiff- und Luftfahrt oder eine internationale Milliardärssteuer – aber nichts Handfestes.
Ganz oben auf der Agenda von Belém steht eigentlich etwas anderes: In Brasilien soll die nächste Generation der nationalen Klimapläne, der sogenannten NDCs, bewertet und diskutiert werden. In seinem NDC beschreibt jedes Land, wie sein Beitrag zum Erreichen des Pariser Klimaziels aussieht.
Die Frist für die aktualisierten Klimapläne ist bereits am 10. Februar abgelaufen. Bis dahin hatten nur 13 der 195 Staaten neue Pläne vorgelegt. Inzwischen sind es 19. Hinzugekommen sind unter anderem Japan, Montenegro, die Malediven und Sambia, wie das UN-Klimasekretariat auflistet.
Bald-Kanzler Merz war eingeladen, kam aber nicht
Deutlich im Verzug ist auch die Europäische Union. Wie EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra am Rande des Klimadialogs mitteilte, kann jedoch in "naher Zukunft" mit der Vorlage des Klimaplans gerechnet werden.
Die beim Petersberger Klimadialog erzielten Fortschritte hält Laura Schäfer für ermutigend. "Doch sie haben Lücken und reichen nicht aus, um der Klimakrise mit der nötigen Entschlossenheit zu begegnen", betonte die Klimapolitik-Expertin der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch.
Besonders die Unterstützung von Entwicklungsländern bei der Bewältigung von Klimawandelfolgen müsse mit der gleichen politischen Priorität wie der Klimaschutz behandelt werden, forderte Schäfer. Jetzt liege es an den Verhandlerinnen und Verhandlern des Klimagipfels in Brasilien, aus den Petersberger Ansätzen konkrete Verpflichtungen zu machen.
In den geopolitisch bewegten Zeiten habe es der Petersberger Klimadialog geschafft, ein starkes Zeichen für den Multilateralismus zu setzen, bilanzierte Christiane Averbeck von der Klima-Allianz Deutschland gegenüber Klimareporter°.
Zwar habe man von Noch-Kanzler Olaf Scholz ein "There is no turning back" gehört, wie es aber mit dem nächsten Kanzler aussehe, wisse man nicht, so Averbeck. Friedrich Merz sei eingeladen gewesen, aber nicht gekommen.
"Wir brauchen von der nächsten Bundesregierung ein klares Signal, dass sie alles tut, das Pariser Abkommen umzusetzen, und der Klimadiplomatie weiter höchste Priorität einräumt", fordert Averbeck von der neuen Koalition.