Diese US-Wahl hat es wieder gezeigt: Die parlamentarische Demokratie kann unsere Klimaprobleme nicht lösen. Fast die Hälfte der Wähler in den USA hat Donald Trump gewählt, den mächtigsten Klimaleugner aller Zeiten, und viele wählten ihn sogar zum zweiten Mal.
Nun zu hoffen, dass der klimaschutzfreundlichere Joe Biden viel bewegt, ist fraglich, denn die voraussichtlich republikanische Mehrheit im Senat wird ihn meist blockieren.
Um die Verachtung gegenüber jeder Generationenverantwortung noch zu unterstreichen, traten die USA zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl aus dem Pariser Klimaabkommen aus – als ob es diese Provokation der internationalen Gemeinschaft nach den vielen Waldbränden, Überschwemmungen und Wirbelstürmen in aller Welt noch gebraucht hätte.
Trotz all dieser Katastrophen orientierte sich die Hälfte der Wähler an anderen Themen, und viele glaubten wohl auch die krankhaften Lügen ihres Präsidenten und teilten seine Wissenschaftsverachtung.
Allerdings muss auch gesagt werden: In den USA sind zwei Drittel der Wähler der Meinung, dass gegen den Klimawandel energisch angekämpft werden muss. Nur, diese Demokratie schafft es nicht, diesem hohen Anteil des Wählerwillens die notwendigen Maßnahmen folgen zu lassen.
Neu ist das nicht. In allen Demokratien der Welt sind die Maßnahmen zum Klimaschutz nicht vorbildlich, ja haben größtenteils sogar versagt. Ganz anders im autoritären China: Das neue Klimaschutzprogramm der Chinesen überholt die freie Welt um Längen, mit ernsthaften Zielen und der stärksten Solarindustrie der Welt.
Selbst Angela Merkel, die als Physikerin den Klimawandel verstanden hat und als Klimakanzlerin gestartet war, gab unter dem Druck der Energieversorger nach und verbesserte den ursprünglich guten Ansatz des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes in drei EEG-Novellen bis zur Unwirksamkeit.
Die Erzeugung der Klimaskepsis
Warum werden Klimaschutzmaßnahmen immer wieder verwässert oder verhindert? Eine Ursache ist die starke Lobby der Energieindustrie. Vor 30 Jahren begann die US-Erdölindustrie Klimaskepsis zu fördern, systematisch, mit vielen Millionen Dollar – unmittelbar nachdem die Wissenschaft sich ziemlich sicher war, dass der Klimawandel unsere Zivilisation bedroht.
Und sie war erfolgreich. Die energischen Klimainitiativen der Neunzigerjahre wurden beendet, das Kyoto-Protokoll zum weltweiten Klimaschutz wurde zum Desaster und Klimaskepsis war auf Augenhöhe mit seriöser Wissenschaft. Man arbeitete mit gleichen Methoden wie die Tabakindustrie, säte Zweifel, kaufte Journalisten und Wissenschaftler und bedrohte NGOs und Talkshows, wenn sie den Klimawandel als Faktum bezeichneten. Die Politik knickte auf ganzer Breite ein – bis heute.
Im dramatischen Kontrast dazu verlangen immer größere Teile der Bevölkerung ernsthafte Maßnahmen gegen den Klimawandel. Heute sind das 80 Prozent. Der Gegensatz zwischen Politikerhandeln und "Volkswillen" zeigt die Überforderung einer Demokratie, in der die Parteilinie fast immer im Mittelpunkt steht und nicht die öffentliche Meinung.
Den Klimawandel zu bekämpfen heißt ein Einzelthema durchzusetzen – vor allem eines, das erst für die nächste Generation wirklich wichtig, weil bedrohlich wird. Solange wir in der parlamentarischen Demokratie die Dominanz der Wahl von Parteien haben, wird der Klimaschutz hinter anderen Prioritäten hinterherhinken. Parteien bieten immer einen Mischmasch von Programmpunkten an.
Das demokratische System ändern
Die Antwort ist offensichtlich: Nur wenn die Parteiendominanz gebrochen und das demokratische Wahlsystem themenbezogen wird, hat auch der Klimaschutz eine Chance. Natürlich denkt man dabei zunächst an Bürgerentscheide, die für Regierungs- und Parlamentsarbeit die Richtung vorgeben können.
Für die aufwändige US-Wahl wäre übrigens die Klärung der Mehrheitsmeinung durch begleitende Bürgerentscheide zu den drei wichtigsten Themen ein idealer Fall gewesen: Abstimmung über Waffengesetze, Gesundheitsversorgung und eben Klimaschutz. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte der Klimaschutz eine überwältigende Mehrheit gefunden.
In meinem ersten Buch "Plateau 3" vor fünfzehn Jahren hatte ich Bürgerentscheide schon als mitentscheidend für eine gute Klimapolitik gefordert, weil für mich die hartnäckige Weigerung der Wirtschaft offensichtlich war. Zwar gibt es das Buch noch immer im Antiquariat, aber gefolgt ist die Politik dem Ratschlag nicht. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre steigt unaufhaltsam.
Trotz des schreienden Versagens unserer Regierungen kommt das Thema Bürgerentscheid auf Bundesebene immer noch nicht voran. Es ist enttäuschend typisch, dass die aktuelle Koalition nicht einmal ihre Koalitionsvereinbarung eingehalten hat, für einen gut durchdachten Bürgerentscheid eine Expertenkommission einzusetzen.
Aber die Angst vor dem Bürgerentscheid sitzt tief, gerade wohl auch nach dem erfolgreichen Volksbegehren zur Artenvielfalt in Bayern. Besonders erschütternd ist, dass auch die Oppositionsparteien Abschied genommen haben vom Bürgerentscheid auf Bundesebene. Zur allgemeinen Verblüffung findet er sich nicht mehr im neuen Parteiprogramm der Grünen.
Einen deutlicheren Beweis, dass unsere Parteiendemokratie zu schwach ist, den Klimawandel zu beherrschen, gibt es wohl kaum. Das hat zu einem lauten Aufschrei zahlreicher NGOs in einem geharnischten Protestbrief geführt. Sie wissen die Mehrheit der Bürger hinter sich, aber die Mehrheit der Parteien denkt an die nächste Wahl und nicht an die nächste Generation.
Fünf Stimmen statt ein Kreuz
Ein grundsätzlich anderes Konzept einer themenbezogenen Demokratie wäre der Ersatz der Einzelstimme für eine Partei durch beispielsweise fünf themenbezogene Stimmen.
Regierungsarbeit besteht im Grunde aus fünf Themenbereichen: Sozialstaat mit Bildung, Rechtsstaat (also Innenpolitik und Justiz), Außenpolitik zusammen mit Verteidigung, Wirtschaft gemeinsam mit Umwelt sowie natürlich Finanzen.
In diese fünf Themenblocks könnten die Parteien ihre Programme und ihre Kandidatenlisten unterteilen. Der Wähler kann dann aus jeder der fünf Teillisten die eine wählen, die seinen Vorstellungen am besten entspricht. Das Besondere: Jeder Wähler kann seine fünf Stimmen auf unterschiedliche Parteien verteilen.
Die Abgeordneten jedes Blocks sind also parteipolitisch gemischt, haben aber in ihrer Gruppe ein gemeinsames Grundinteresse und einen wesentlich höheren Wissensstand. Sie können aus ihrer Mitte einen Minister wählen, der dann zwangsläufig über hohes Fachwissen verfügt, und sie könnten einfachere Gesetze ihres Themenbereichs verabschieden. Das gesamte Parlament wird dann nur noch mit übergreifenden oder sehr grundsätzlichen Gesetzesvorhaben belastet.
Peter Grassmann
ist promovierter Physiker und war lange der technische Vorstand im Bereich Medizintechnik der Siemens AG. Später übernahm er die Sanierung von Carl Zeiss in Oberkochen und Jena, dort zusammen mit Lothar Späth. Heute tritt er für eine stärkere Werteorientierung der Marktwirtschaft ein. Er ist Mitglied in zahlreichen Gremien, unter anderem im Beirat von Scientists for Future.
Mehr Fachwissen im Parlament ist entscheidend, wenn die Wirkung von Lobbygesprächen reduziert werden soll. Nach meiner Erfahrung aus Gesprächen mit Abgeordneten über mehrere Jahrzehnte ist das größte Einfallstor für Lobbyarbeit die Unwissenheit der Parlamentarier.
Das ist kein persönliches Versagen, sondern durch das heutige System der Listenaufstellung bedingt, das Regionalität und Parteibuch Priorität gibt. Fachliche Erfahrung spielt bei der Aufstellung der Kandidatenlisten – ja, sogar bei der Ernennung von Ministern – derzeit keine Rolle.
In unserer komplexen Welt kann man nicht mehr erwarten, dass Abgeordnete in allen wichtigen Politikbereichen gute Grundkenntnisse haben und damit jedem Thema gewachsen sind. Ein Aufbrechen in besser überschaubare Themenkreise kennen wir aus der Industrie durch die Schaffung von Geschäftsbereichen in einem Unternehmen. Es ist ein bewährtes Mittel, zu große Komplexität durch bessere Fokussierung zu begegnen.
Mehr fundiertes Wissen und praktische Erfahrung in die Parlamente – das wäre ein geeignetes Mittel, um dem sich beschleunigenden Klimawandel wirksam zu begegnen.