Eine Frau in dicken Socken hält die Hände dicht an einen Heizkörper, um sich zu wärmen.
Individuelles oder gesellschaftliches Problem? (Foto: Astrostar/​Shutterstock)

Auf ein drittes Paket, um den Haushalten in der Energiekrise zu helfen, konnte sich die Ampel-Regierung noch nicht einigen. Aus den Erfahrungen mit den beiden bisherigen Hilfspaketen schälen sich aber inzwischen Erkenntnisse heraus, welche Maßnahmen gerade bedürftigen Haushalten zugutekommen und zugleich klima- und umweltpolitisch nicht kontraproduktiv sind.

Zwei bisherige Maßnahmen fallen da schon mal für eine Neuauflage weg – die einfache Erhöhung der Pendlerpauschale sowie der Tankrabatt. Beides habe die Dekarbonisierung in Deutschland zurückgeworfen, bilanzierte der Ökonom Maximilian Priem von der Beratungsfirma DIW Econ am Donnerstag.

"Der Tankrabatt und die Anhebung der Pendlerpauschale haben massive ökologische Fehlanreize gesetzt und kamen überwiegend Menschen mit höherem Einkommen zugute", kritisierte ebenfalls gestern Viviane Raddatz vom WWF. Die Energiepolitik-Expertin ist auch Sprecherin der Klima-Allianz Deutschland, des größten Klimabündnisses des Landes.

Im Auftrag der Klima-Allianz hat DIW Econ eine Kurzstudie vorgelegt, in der vor allem fünf Maßnahmen gegen die Energiepreisexplosion näher angeschaut wurden. Die fünf sind:

  • Gaspreisdeckel bei 7,5 Cent pro Kilowattstunde für einen Grundbedarf von 8.000 Kilowattstunden
  • soziale Energiepauschale als bedarfsorientierter Heizkostenzuschuss für Wohngeldberechtigte
  • dauerhaftes 29‑Euro-Ticket für den ÖPNV in ganz Deutschland
  • Ersetzen der Pendlerpauschale durch ein Mobilitätsgeld von zehn Cent pro Kilometer
  • Mehrwertsteuersenkung für pflanzliche Grundnahrungsmittel wie Obst, Gemüse oder Getreideerzeugnisse

Im Ergebnis präferiert die Studie drei Maßnahmen: den Heizkostenzuschuss, das 29‑Euro-Ticket und das Mobilitätsgeld.

Diese Ideen erfüllen für DIW Econ mehrere Vorgaben. Sie setzen die richtigen ökologischen Anreize und sind kurzfristig umsetzbar. Vor allem aber sind die drei Maßnahmen sozial zielgerichtet. Man komme weg vom Gießkannenprinzip, betonte Priem. "Wir können nicht mehr alle entlasten – man sollte deswegen diejenigen entlasten, die es ohnehin nicht einfach haben."

Von einem Gaspreisdeckel würden alle Haushalte profitieren, erläuterte Priem, auch solche in den oberen Einkommensbereichen. Diese hätten aber jetzt schon meist gut isolierte Häuser und verbrauchten nicht so viel Gas.

Haushalte im mittleren und unteren Einkommensbereich hätten dagegen meist keine Chance, über die Dämmung ihrer Wohnungen selbst zu entscheiden. Zudem würde der Preisdeckel nichts an der Gasknappheit ändern.

Auch einer Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel steht DIW Econ skeptisch gegenüber. Zum einen frage sich, ob eine einmalige Steuersenkung weitergegeben würde, sagte Priem. Zum anderen werde die Steuersenkung von den Menschen nicht mehr als solche wahrgenommen, wenn die Lebensmittelpreise weiter steigen.

Dort ansetzen, wo es wirklich nötig ist

Erfüllt werden die Anforderungen für den Forscher von einem bundesweiten 29‑Euro-Ticket. Von diesem würden gerade finanzschwächere Haushalte profitieren. Priem hält ein durchgängiges 29‑Euro-Angebot auch für ein gutes Argument, vom Auto dauerhaft auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen. Umsetzbar sei das Ticket ebenfalls. Bund und Länder müssten sich dazu an einen Tisch setzen.

Für Raddatz vom WWF ist das 29‑Euro-Ticket ein Ergebnis des verkehrspolitischen "Reallabors" mit dem Neun-Euro-Ticket. "Wir wissen jetzt, dass es geht. Die Leute sind bereit, mehr die öffentlichen Verkehre und die Bahn zu nutzen", sagte sie. Hier gebe es auch ein großes Klimaschutzpotenzial, das nicht brachliegen dürfe. Die Bundesregierung sei jetzt aufgefordert, den Ländern schnell ein Angebot zu machen.

Bei dem gleichfalls von der Studie befürworteten Heizkostenzuschuss würden wohngeldberechtigte Haushalte, die sich laut DIW Econ gegenwärtig im Schnitt mit einer 82‑prozentigen Steigerung des Gaspreises konfrontiert sehen, diesen Preisaufschlag ausgeglichen bekommen.

Im Schnitt würde der Zuschuss dann pro berechtigtem Haushalt rund 550 Euro im Jahr betragen. Weil mit steigendem Preis auch die Zahl der berechtigten Haushalte zunehme, ergäben sich für den Heizkostenzuschuss jährliche Mehrkosten von einer Milliarde Euro, rechnete Priem vor.

Das wäre allerdings deutlich billiger als der aufgeführte Gaspreisdeckel, der jährlich rund zehn Milliarden Euro kosten würde, betonte der DIW-Experte. "Der Pauschalzuschuss ist günstiger und effektiver." Priem sieht deswegen gute Chancen, dass die Politik die Variante Heizkostenzuschuss aufgreift.

Ein sozialer Heizkostenzuschuss setzt für Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, auch genau dort an, wo die Not am größten ist. Welskop-Deffaa geht aber noch weiter. "In diesem Winter bedarf es außerdem eines Moratoriums für Strom- und Gassperren als Akutmaßnahme, damit überschuldete Haushalte nicht im Dunkeln und Kalten sitzen müssen."

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