Was haben wir aus dem Experiment mit dem Neun-Euro-Ticket bisher gelernt? Ein einfaches, preiswertes, verständliches Ticket kommt gut an bei den Kundinnen.
Für viele ist so der Ausflug oder die Urlaubsfahrt mit dem öffentlichen Verkehr (ÖV) finanziell erst möglich und bezahlbar. Die Angebote werden rege genutzt und die vielen Fahrgäste geben dem öffentlichen Verkehr einen Sinn. Die Stimmung ist meistens gut. Wie kommt das?
Die 21 Millionen bisher verkauften Neun-Euro-Tickets zeigen: Ein ÖV-Ticket zu kaufen fällt leicht, wenn man es im monatlichen Budget locker einbauen kann. Ob es dann genutzt wird, ist dabei gar nicht gesagt. Aber für einen niedrigen Preis entsteht die Bereitschaft, einfach mal ein Ticket zu erwerben – für die Einzelfahrt oder für die regelmäßige Nutzung.
Der Preis ist doch relevant
Ich will kein teures Monatsticket, bei dem ich nachdenken muss, ob es sich für meinen wechselhaften Mobilitätsbedarf lohnt. Kaufen, einsteigen, fahren ohne nachzudenken. Eine smarte Flatrate für den gesamten öffentlichen Verkehr. Das möchte ich als Kundin. Ein Monatsticket für 29 Euro oder ein Jahresticket für 365 Euro. Wie in Österreich.
Mit einem bundesweiten Ticket für den ÖV kann man nichts falsch machen. In Berlin sind die Zahlen der Schwarzfahrenden drastisch zurückgegangen. Weil die Menschen eben ein Allround-Ticket in der Tasche oder im Handy haben.
In Berlin fährt man zum Beispiel schon dann "schwarz", wenn man eine Haltestelle verpasst hat und wieder zurückfahren muss. Da ist normalerweise ein neuer Fahrschein fällig.
Im Kreis fahren darf man in Berlin auch nicht, obwohl der Normalfahrschein zwei Stunden gültig ist. Auch die Tarifzonen muss man kennen, sonst ist man gleich wieder im "schwarzen Bereich".
Ich kann nichts falsch machen
Das Schöne an dem Neun-Euro-Ticket: Ich kann nichts falsch machen. Es droht mir kein Bußgeld, wenn ich eine Haltestelle verschlafen habe. Ich fahre einfach schnell zurück. Ich kann ein- und aussteigen, wann es mir passt und nicht, wie es dem System gefällt.
Nur wer im Fernverkehr unterwegs ist, braucht einen anderen Fahrschein. Sitzt man im Bus, in Regionalexpress oder Regionalbahn, Straßen-, S- oder U-Bahn, gilt das ÖV-Ticket – egal, wo man ist. Man kann wieder nichts falsch machen, muss keine Strafe erwarten, ist entspannt. Man muss sich nicht um Tarife, Grenzen oder Nutzungsregeln kümmern.
Anke Borcherding
ist neben ihrer Tätigkeit im Projektmanagement für nachhaltige Mobilität an der FU Berlin Gastautorin der Forschungsgruppe Digitale Mobilität am WZB. Sie beschäftigt sich theoretisch und vor allem praktisch mit Mobilitätsprojekten und ist in Stadt und Land immer nur mit den Öffentlichen, dem Rad und manchmal einem Carsharing-Auto unterwegs.
Diese Konsequenz aus den Neun-Euro-Ticket-Erfahrungen ziehen auch andere. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen schlägt als Nachfolgeangebot ab dem Herbst ein bundesweites 29-Euro-Ticket vor, die Deutsche Umwelthilfe auch.
Und was macht der Verkehrsclub Deutschland (VCD)? Er schlägt ein Modell mit acht Zonen vor. Damit bleibt es in dem bekannten abschreckenden Muster: Ich muss wissen, wo ich bin und wie ich alles richtig mache.
Angenommen, ich fahre von Berlin in die Alpen. Im Berliner Nahverkehr habe ich das Neun-Euro-Ticket. Dann zahle ich die Fernbahn bis München. Und was mache ich dann? Ich steige in die Regionalbahn und vielleicht noch in einen Bus – aber was muss ich jetzt kaufen?
Das ist das Problem: Ich muss wieder wissen, wo ich bin und wie die Regeln sind – und ich kann wieder alles falsch machen.
Bitte nie wieder Tarifzonen
Eine der Hürden bei der Nutzung des öffentlichen Verkehrs ist das mögliche Falschmachen unter Androhung von Strafe. Das schreckt ab, vielleicht sogar noch mehr als der Zustand des ÖV.
Ich verzeihe doch vieles, wenn auch mir meine Fehler als Kundin verziehen werden. Da hilft ein Vorschlag mit nur weniger Tarifzonen als bisher nicht weiter. Ob das jetzt acht oder 300 Zonen sind, die Logik der Abgrenzung bleibt die gleiche.
Diese Logik kann gerne weiterhin im Hintergrund der Finanzierung bestehen bleiben. Aber eben im Hintergrund. Als Kundin möchte ich davon nichts wissen. Ich möchte einfach nur mit den Öffentlichen fahren.
Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem
Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Alle Beiträge erscheinen zugleich im WZB-Blog der Forschungsgruppe Digitale Mobilität.