Die Stadttore standen offen, auf den Feldern wuchs kein Getreide und in den Teichen schwammen keine Fische mehr; die Obstgärten brachten weder Sirup noch Wein ein und aus den Wolken regnete es nicht mehr. Wer sich erschöpft im Haus oder aufs Dach hinlegte, starb dort, ohne Aussicht darauf, begraben zu werden.

Die Menschen schlugen sich vor Hunger die Nasen ein und zertrümmerten sich die Köpfe, hungrige Hunderudel lauerten einzelnen Menschen auf, die nicht durch eine Gruppe geschützt waren. "Das Blut von Verrätern floss auf das Blut ehrlicher Männer", heißt es in der Geschichte "Fluch über Akkad". Sie handelt vom akkadischen König und dem Niedergang des akkadischen Reichs im Zweistromland.

In Massen strömten demzufolge die Bewohner des Nordreichs in den Süden. Dort aber wurden sie alles andere als freundlich empfangen: Um die Eindringlinge abzuhalten, bauten die Menschen dort eine hunderte Kilometer lange Mauer vom Tigris bis zum Euphrat. Doch geholfen hat es nichts.

Der US-Paläoklimatologe Michael Mann ist einer der bekanntesten und auch einer der von Wissenschaftsleugnern am meisten angegriffenen Klimaforscher. (Bild: Joshua Yospyn)

Den Kollaps des ersten großen Reichs der menschlichen Zivilisationen vor rund 4.200 Jahren hatte höchstwahrscheinlich eine abrupte Klimaveränderung eingeleitet, die vor allem das nördliche Mesopotamien verheerte. Genauer: eine epische Dürre, womöglich ausgelöst durch einen Vulkanausbruch.

Viele Zivilisationen kamen und gingen seither. Aber stehen wir nun erneut vor solch einem Zivilisationsbruch? Diesmal mit globalen Ausmaßen?

Diese Frage hat sich Michael Mann gestellt. Der Paläoklimatologe und Atmosphärenforscher von der Universität von Pennsylvania erreichte weltweit Bekanntheit durch seine "Hockeyschläger-Studie", in der er die Erderwärmung als Kurve in Form eines liegenden Hockeyschlägers darstellte: lange leicht sinkende, dann durch den Klimawandel rasant steigende Temperaturen.

In seinem neuen Buch "Moment der Entscheidung" untersucht Mann gewissermaßen das andere Ende der Kurve und geht weit in die Erdgeschichte zurück. Er sucht dort nach einer Analogie für die nahe Zukunft, also für die durch den Menschen erhitzte Welt.

Der Autor nimmt den Leser mit auf eine spannende, wenn auch nicht immer leicht verständliche Reise durch die Geschichte der Erde. Und stellt erst einmal fest, dass es ohne frühere Klimaveränderungen den Menschen gar nicht gegeben hätte.

"Kein Ort ist mehr sicher" 

Der Mensch war oft Profiteur radikaler Umbrüche seiner Umwelt. So ermöglichte erst das Massenaussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren, dass die Säugetiere aus dem Schatten der Reptilien heraustreten und ihre eigene Ära einläuten konnten. Erst infolge eines globalen Kälteeinbruchs vor rund fünf Millionen Jahren haben sich die tropischen Regenwälder geöffnet und den Entwicklungssprung der Vorfahren der Menschen zu zweibeinigen Jägern in den Savannen Afrikas befördert.

Und schließlich stellte erst das wilde Auf und Ab der Kalt- und Warmzeiten seit ein paar hunderttausend Jahren die Homininen vor so große Herausforderungen, dass sie größere Gehirne und damit Intelligenz entwickelten, welche ihnen half, mit den unwirtlichen Bedingungen klarzukommen.

Das Buch

Michael E. Mann: Moment der Entscheidung. Wie wir mit Lehren aus der Erd­geschichte die Klima­krise über­leben können. Oekom Verlag, München 2024, 384 Seiten, 34 Euro.

Inzwischen sei aber eine andere Situation eingetreten, so Mann. Früher hätten die Menschen und ihre Vorfahren auf Klimaänderungen mit Migration reagieren können. Die Veränderungen im Klima heute seien jedoch global. "Kein Ort ist mehr sicher vor unzuträglichen Bedingungen", schreibt er.

Auf der Suche nach einer Analogie zu heute geht Mann weit in die Zeit zurück und untersucht verschiedene Massenaussterbe-Ereignisse. Wie das "Große Sterben" vor 252 Millionen Jahren im Übergang zwischen Perm und Trias, als rund 90 Prozent aller Arten von der Welt getilgt wurden. Grund dafür war eine massive Erwärmung, wenngleich über lange Zeiträume: 0,05 Grad Celsius pro Jahrhundert – heute ist es rund ein Grad pro Jahrhundert.

Mangroven und Regenwälder erreichten damals die arktischen Breiten, Nilpferde und Alligatoren bevölkerten die Ellesmere-Insel nordwestlich von Grönland, es war heiß und feucht. Selbst wenn die Menschen alle vorhandenen fossilen Reserven verbrennen würden, wäre es jedoch unwahrscheinlich, in solch eine Treibhauswelt zurückzukehren, argumentiert Mann.

Eine bessere Analogie könne da schon die Zeit vor drei Millionen Jahren sein. Damals im mittleren Pliozän herrschten ähnlich hohe CO2-Werte wie heute, aber der Meeresspiegel lag mehr als zehn Meter über dem jetzigen. Eine Wasserwelt, deren Ausmaß wir aber wahrscheinlich nicht erreichen werden, weil die Verhältnisse mit den heutigen Eisschilden stabiler seien, da die weißen Flächen das Sonnenlicht reflektieren. Das könne uns eine kleine "Sicherheitsspanne" liefern – aber nur eine kleine.

Schließlich könnte auch die letzte Warmphase innerhalb des Pleistozäns, die Eem-Warmzeit, als Blaupause für die aktuelle Situation dienen. Damals vor rund 125.000 Jahren war es ähnlich warm wie heute auf dem Planeten, wahrscheinlich sogar noch etwas wärmer, und der Meeresspiegel lag zehn Meter höher. Allerdings herrschte auch eine besondere orbitale Konstellation, die das Abschmelzen des Eises an den Polen beschleunigte.

 

Mann führt den Leser bei seiner Reise in den Werkzeugkasten der Paläoklimatologie ein und kehrt immer wieder zur Klimasensitivität zurück, also zur Frage, um wie viel Grad sich die Welt bei einer Verdopplung des CO2-Gehalts erwärmt und warum die Ungewissheit über den genauen Wert es so schwierig macht, sich auf die Zukunft einzustellen. Nicht immer ist es einfach, ihm dabei zu folgen, auch weil er öfter in der Zeit umherspringt. Trotzdem ist es ein lohnendes Gedankenexperiment, weil es klarmacht, wie schnell und massiv die Menschheit das Klima auf der Erde umkrempelt – und welche Gefahren dabei lauern.

Ab einer Erwärmung von zwei Grad Celsius sei unser "fragiler Moment" bedroht, also unsere zivilisatorische Infrastruktur. Drei Grad könnten unsere Anpassungsfähigkeit vollkommen übersteigen. Dann könnte es uns so ergehen wie den Bewohnern des Akkadischen Reichs. "Frühere Zivilisationen sind untergegangen, weil sich das Klima abrupt gewandelt hat", sagt Mann. "Und die Erwärmung, die wir heute verursachen, ist abrupter als alles, was wir aus der Vergangenheit kennen."

 

Das unterstreiche die Notwendigkeit zu handeln und den fragilen Moment zu bewahren, solange es noch geht. Die größte Bedrohung, die das noch verhindern könnte, geht Mann zufolge heute nicht mehr von Klimaleugnern aus, die ihn selbst in der Vergangenheit immer wieder heftig angegriffen haben. Die größte Gefahr gehe heute von Menschen aus, die sich in einer Untergangsstimmung eingerichtet haben, von Apokalyptikern.

Diese Haltung sei aber nicht angebracht, erklärt er mit Verweis auf Erkenntnisse aus der Paläoklimatologie. Zumindest sei es keineswegs so hoffnungslos, wie es viele Gruppierungen, auch diverse Medienberichte, suggerieren würden.

Statt jetzt schon in eine Depression und Weltuntergangsstimmung zu verfallen, empfiehlt Mann eine alternative emotionale Reaktion: gerechten Zorn. Denn der bewirke etwas Positives – er animiere einen, etwas zu tun, und gebe einem das Gefühl von Selbstermächtigung und Handlungsfähigkeit.