Sozialökologie-Professorin Julia Steinberger erklärt im Film, dass die Klimakrise in ihrer Gefährlichkeit überhaupt noch nicht verstanden wird.
Die Politik behandelt die Klimakrise nur als ein weiteres Umweltproblem, sagt Julia Steinberger von der Uni Lausanne im Film. (Foto: Screenshot/​labournet.tv)

Es wäre eine "Win-win-win-win"-Situation, wie es Julia Steinberger ausdrückt. Steinberger ist Professorin für ökologische Ökonomie an der Universität Lausanne in der Schweiz. Würden alle bei der Klimawende mitmachen, dann könnten Gebäude saniert und klimafit gemacht, das Ernährungssystem umgestellt und die Mobilität kollektiver und emissionsfrei werden.

Es läuft aber ganz anders. Seit Beginn der Klimakonferenzen vor 30 Jahren sind die weltweiten CO2-Emissionen um 60 Prozent gestiegen, die Gletscher schmelzen, Meere steigen, Landstriche verdorren.

"Die Regierungen wussten, was zu tun ist, aber sie haben es nicht getan", leitet Filmemacherin Johanna Schellhagen ihren neuesten Film zur Klimakrise ein und geht sogleich der Frage nach dem Warum nach.

"Der laute Frühling" gibt darauf ziemlich eindeutige Antworten. Der schwedische Humanökologe Andreas Malm etwa sagt es im Film so: "Unternehmen, die Öl, Gas und Kohle fördern, um damit Profit zu machen, investieren immer weiter, um mehr Reserven zu finden. Das ist ein systemischer Zwang. Es ist ein absoluter Imperativ für diese Unternehmen, weiter zu wachsen."

Die Aufgabe entwickelter Staaten liege heute darin, "die Räder der Kapitalakkumulation zu schmieren", um Unternehmen den Weg zu weiteren Profiten zu ebnen, sagt Malm. Zwischenstaatlicher Wettbewerb um Standortvorteile stehe dem Ende der fossilen Industrien ebenso im Wege, wie fortschrittliche Regierungen durch das internationale Staatengefüge unter Druck gesetzt würden.

Von staatlicher Seite ist eine Klimawende in ausreichender Geschwindigkeit nicht zu erwarten, macht der Film klar. Auch der Kapitalismus mit grünem Anstrich trage dazu bei, die ökologische Krise und neokoloniale Ungleichheiten zu verstärken.

"Wachstum bedeutet Emissionen und ist daher völlig unvereinbar mit stabilem menschlichen Leben auf der Erde", sagt Julia Steinberger. Zwar habe die Klimabewegung mit Schulstreiks, Massendemos und dem Besetzen von Kohletagebauen die Themen in den öffentlichen Diskurs gebracht, für mehr als ein symbolisches Momentum reiche das aber nicht.

"Wir können die Produktion selber organisieren"

"Der laute Frühling" verortet den blinden Fleck der Bewegung und gleichzeitig den Hebel der kollektiven Macht in der Sphäre der Produktion. "Die strukturelle Ohnmacht der Klimabewegung wird genau so lange andauern, wie sie die strukturelle Macht der Arbeiter:innen ignoriert", stellt Schellhagen fest.

"Wir können den Kapitalismus zum Stillstand bringen, indem wir zusammen streiken, wir können ihn überwinden, indem wir die Produktionsmittel übernehmen, wir können ihn ersetzen, indem wir die Produktion selber organisieren" – damit leitet Schellhagen den zweiten, den fiktionalen Teil ihres Filmes ein.

Animierte Charaktere erzählen im Jahr 2024 vom Leben in nachrevolutionären Zeiten. Sie berichten, wie die ökologische Revolution zustande kam, was die Vorteile der gemeinschaftlich organisierten Produktion sind. "Erst wenn wir das produktive Gefüge der Gesellschaft übernommen haben, nur dann können wir endlich anfangen, das zu tun, was nötig ist, um den Klimawandel einzudämmen", erklärt die Stimme aus dem Off.

Und das wäre: ein dezentrales, basisdemokratisches Energiesystem, die Relokalisierung von Wirtschaftskreisläufen, die Vergesellschaftung von Produktionsverhältnissen, wo Betroffene die zentralen Entscheidungen treffen – und das alles bei gleichzeitiger globaler Vernetzung. Eine Welt, wie sie dem Planeten und all seinen Bewohner:innen nur zu wünschen wäre – "Win-win-win-win" eben.

Ein Film, der Denkräume öffnet

Johanna Schellhagen will mit ihrem teils dokumentarischen, teils fiktionalen Film einen Beitrag dazu leisten, die Zeit hinter sich zu lassen, "in der es einfacher war, sich das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorzustellen", schreibt sie. Das ist mit ihrer sehr plakativen Darstellung zweifellos gelungen.

Zwar wirkt die Inszenierung etwas glatt und zu idealistisch, um in vollem Umfang zu überzeugen. "Der laute Frühling" öffnet aber Denkräume, die viel zu selten Platz finden: wie etwa ein schädliches Gesellschaftssystem abgelöst werden kann, das wenigen sehr große Profite und vielen große Nachteile bringt, ein System, das darüber hinaus seit 150 Jahren nach und nach unsere Lebensgrundlagen zugrunde richtet.

Dreh- und Angelpunkt im Film ist der Appell an die Klimabewegung, sich mit laufenden Arbeitskämpfen zu solidarisieren und sich so dem "Zentrum der Macht", den Arbeitenden in der Produktion und in anderen systemrelevanten Zweigen, anzunähern.

Genau das tun seit einiger Zeit bereits einige Klimaaktivist:innen und gewerkschaftlich Organisierte. Daraus sind Initiativen wie United for Fight, "Gewerkschafter:innen für Klimaschutz" oder der Arbeitskampf bei Bosch in München entstanden. Denn, so die Idee hinter dem Film, in der Masse der Arbeiter:innen in der Produktion, in den Energieunternehmen, in der Logistik liegt eine große Macht – und damit auch die Macht zur Veränderung.

Damit liefert der Film fruchtbare Vorstöße für strategische Diskussionen innerhalb der Klimabewegungen. Gleichzeitig zeigen sich hier aber auch seine Schwächen.

Mehr Fragen als Antworten

"Der laute Frühling" blendet nämlich den Transformationsprozess zwischen dem Hier und Jetzt, zwischen der Klimakrise und dem geglückten friedlichen, ökologischen Umsturz aus. Dabei wäre aber genau jener Prozess der Organisierung, Bewusstwerdung und Selbst-Ermächtigung interessant und wichtig. Darüber hinaus macht "Der laute Frühling" auch jegliche Widersprüche unsichtbar, die in der Transformation mit Sicherheit noch aufbrechen werden.

Der Film lässt damit die Zuschauer:innen mit mehr Fragen als Antworten an die klimaneutrale Zukunft zurück: Wie gelang es, trotz wirtschaftlichen Drucks und Zukunftsängsten, die Menschen nicht an die Rechte mit ihren einfachen Lösungen und Feindbildern zu verlieren? Warum verzichteten Menschen aus ärmeren Ländern bereitwillig auf alle Vorzüge des westlichen Lebensstils voller Konsum, Wegwerfmentalität und Besser-schneller-schöner, obwohl dies für viele lange als erstrebenswert galt?

Was musste passieren, dass der fiktionale Werbegrafiker im Film zur Erkenntnis kam, sein Job sei sinnlos, weil er dort nur zusätzliche Konsumbedürfnisse in den Menschen wecken sollte? Und wie schaffte es der Lidl-Angestellte, nach der Vergesellschaftung des Handelskonzerns (in der Fiktion) die bisherigen Geschäftspartner zu überzeugen, weiterhin an seine Filiale zu liefern?

Das sind nur einige der Fragen, die sich beim Zuschauen aufdrängen. Die kommenden Aufführungen von "Der laute Frühling" bieten eine gute Gelegenheit, über all dies zu diskutieren, oft auch in Anwesenheit der Filmemacherin.

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