Wenn auch mit regionalen Unterschieden – jede zweite Wohnung in Deutschland wird mit Erdgas beheizt. Und das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben.
Nach Angaben der Weltbank sind die Preise für Erdgas in Europa so niedrig wie schon lange nicht mehr. Deshalb könnte auch in den kommenden Jahren – selbst bei steigendem CO2-Preis – noch weiter mit konventionellem Erdgas geheizt werden.
Den meisten Deutschen dürfte das sogar recht sein. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) würden sich 42 Prozent der Befragten heute für eine Erdgas-Heizung entscheiden. Auf den zweiten Platz kam Heizöl mit 16 Prozent. Erst an dritter Stelle folgte mit Solarthermie eine erneuerbare Quelle – allerdings in Kombination mit Erdgas.
Die Gaswirtschaft dürfte das freuen – und die Branche rechnet mit weiter wachsenden Marktanteilen. "Wir erwarten, dass immer mehr Kunden, die in der Nähe eines Gasnetzes wohnen, sich bei der Ablösung ihrer alten Ölheizung für eine moderne Gasheizung entscheiden", sagt Timm Kehler, Vorstand des Lobbyverbandes "Zukunft Erdgas". Jedes sechste Wohngebäude sei nicht an das Gasnetz angeschlossen, obwohl es in einer Straße mit Gasleitung stehe.
Der Umstieg von Heizöl zu Gas sei schnell vollzogen und helfe dabei, Emissionen zu sparen, verspricht die Gasbranche. Außerdem könne die vorhandene Infrastruktur genutzt werden, um eine Brücke zur emissionsarmen Zukunft zu schlagen und erneuerbare Energien in den Wärmemarkt zu bringen. Durch die Rohre, durch die heute noch fossiles Erdgas strömt, sollen bald klimaneutrale Gase wie Wasserstoff oder Methan zum Einsatz kommen, die aus Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wurden, so das verheißungsvolle Versprechen.
Offene Ohren in der Politik
Klaus Mindrup von der SPD glaubt ohnehin nicht, dass Deutschland die Gebäude klimaneutral machen kann, indem alles elektrifiziert und ausschließlich auf elektrische Wärmepumpen umgestellt wird.
"Das ist unbezahlbar", sagte der Bundestagsabgeordnete in einer Diskussion über das Klimapaket und dessen Auswirkungen auf den Gebäudebestand, zu der kürzlich das Berliner Energieunternehmen Gasag eingeladen hatte. "Es müssen alle zur Verfügung stehenden Technologien und Anwendungen genutzt werden, wenn sie wirtschaftlich sind." Dazu gehörten eben auch grüne Gase.
Tilman Schwencke vom Branchenverband BDEW pflichtet Mindrup bei und fordert von der Politik Unterstützung. "Erneuerbare Gase wie Biomethan oder Wasserstoff müssen als regenerative Optionen gleichberechtigt in die Förderung aufgenommen werden", so der Verbandsvertreter.
Doch der Einsatz grüner Gase im Wohnbereich ist durchaus umstritten. Denn auch Sektoren wie Verkehr und Industrie müssen ihre Emissionen drosseln und wollen dabei auf synthetisches Methan und auf Wasserstoff zurückgreifen. Das bedeutet eigentlich: Fürs Heizen stehen künftig eher weniger grüne Gase zur Verfügung, weil es für den Wärmesektor auch Alternativen gibt.
"Synthetische Brennstoffe sind zu teuer und zu knapp, um in ungedämmten Häusern verbrannt zu werden", sagt Alexandra Langenheld von der Denkfabrik Agora Energiewende gegenüber Klimareporter°. Die Expertin für Effizienz und Sektorkopplung argumentiert wie Mindrup mit den Kosten.
Nur 30 Jahre für klimaneutralen Gebäudebestand
Bis 2050 will die Bundesregierung einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand erreichen. 28 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland entfallen auf Wohngebäude und gewerbliche Bauten. Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß des Gebäudesektors auf 72 Millionen Tonnen sinken, 2018 lag er noch bei 120 Millionen Tonnen.
Allerdings wird rund die Hälfte der Emissionen aus dem Gebäudebestand anderen Sektoren wie beispielsweise der Energiewirtschaft zugerechnet.
Erst den Verbrauch senken
Der Gebäudesektor soll also erst mal seinen Energieverbrauch senken – und die Politik soll dafür den notwendigen Rahmen setzen. Die synthetischen Brennstoffe könnten bis 2030 nur einen kleinen Beitrag liefern und seien auch nach 2030 deutlich teurer als die meisten Energieeffizienzmaßnahmen im Gebäudesektor, warnt Langenheld. "Ihr alleiniger Einsatz in Gebäuden, ohne zuvor deren Energieverbrauch nennenswert gesenkt zu haben, ist eine kostspielige, klimapolitische Sackgasse, die abhängig macht von hohen Importen."
Den Energieverbrauch der Gebäude verringern will auch die grüne Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden. "Den Gasverbrauch zu senken ist möglich, wenn die Bundesregierung den Themen Energieeffizienz und Energiesparen endlich die notwendige Priorität einräumt", sagt sie. Die Regierung müsse die Weichen für klimagerechte Gebäude stellen.
Im Auftrag der Grünen-Fraktion hat die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) untersucht, wie die Gasversorgung der Zukunft effizient und nachhaltig gestaltet werden kann – und grünen Gasen im Gebäudesektor eine Absage erteilt. Der Wärmebedarf für Heizung und Warmwasser werde in Zukunft vor allem durch strombasierte Anwendungen und Wärmenetze auf Basis von Biomasse, Geothermie, Solarthermie und Power-to-Heat gedeckt sowie durch Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, in denen synthetische Gase rückverstromt werden, heißt es in der Untersuchung.