Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.
Klimareporter°: Herr Hummel, mit dem "Green Deal" hat die EU in dieser Legislatur wichtige Gesetze wie eine neue Erneuerbare-Energien-Richtlinie oder eine Verschärfung des Emissionshandels beschlossen. Wie real ist die Gefahr, dass wir nach einem Rechtsruck bei der EU-Wahl ein klimapolitisches Rollback erleben?
Oliver Hummel: Diese Gefahr ist eindeutig vorhanden. Schon jetzt rumort es in der EVP, der konservativen europäischen Parteienfamilie, der hierzulande CDU und CSU angehören. Es mehren sich die Stimmen, die beispielsweise das längst beschlossene Verbrenner-Aus für 2035 in Zweifel ziehen.
Wenn wie befürchtet die EVP mit der Wahl weiter nach rechts rückt und dazu noch die EU-Skeptiker und Rechtspopulisten hinzugewinnen, wird es schwer, den Status quo zu halten. Mit weiteren Verbesserungen im Klima- und Umweltschutz würde ich in der nächsten Legislaturperiode dann nicht mehr rechnen.
Bei aller berechtigen Sorge hänge ich aber auch keinen Untergangsfantasien an. Mit dem EU-Klimagesetz und dem "Fit for 55"-Paket sind schon zu viele Pflöcke fest verankert, als dass sich die Klimapolitik der EU im Handstreich abwickeln ließe.
Von 2019 bis 2023 erhöhte sich die Windkraft- und Solarkapazität in der EU um 65 Prozent, zeigt ein diese Woche veröffentlichter Bericht der Denkfabrik Ember. Das ist natürlich nicht nur Entscheidungen auf EU-Ebene zu verdanken. Doch welchen Einfluss hatte die EU-Politik auf die deutsche Energiewende der letzten Jahre?
Im Ganzen gesehen habe ich den Einfluss der EU auf den Erneuerbaren-Ausbau in Deutschland nicht in allzu guter Erinnerung. Beispielsweise hat der von der EU seinerzeit forcierte Umstieg auf Ausschreibungen für Wind- und größere Solaranlagen der Bürgerenergiebewegung und vielen kleineren Akteuren den Boden unter den Füßen weggezogen. Grundsätzlich wurde das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Brüssel lange Jahre skeptisch beäugt.
In der letzten Legislaturperiode wandelte sich das Bild aber und die EU setzte einige positive Impulse für die Erneuerbaren und ganz grundlegend für den Klima- und Umweltschutz. Darunter fallen die Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED III, die unter anderem die Mitgliedsstaaten zum Aufstellen konkreter Ausbaupläne für Erneuerbare verpflichtet, sowie die EU‑Notfallverordnung, die eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Ökostromanlagen ermöglicht hat.
Auch beim Energy Sharing, beim gemeinschaftlichen Erzeugen und Nutzen von Ökostrom, ist die EU Treiberin. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, endlich einen Vorschlag zu machen.
Den größten Einfluss in den letzten Jahren hatte aber immer noch die Bundespolitik – und die weltpolitische Lage. Den phänomenalen Photovoltaik-Boom im Eigenheimsegment hätte es letztes Jahr ohne die Energiepreiskrise womöglich nicht gegeben.
Der Energieverbrauch ist in Deutschland im ersten Quartal dieses Jahres weiter gesunken. Mehr Energie stammte aus Erneuerbaren, weniger aus Fossilen. Gehen Sie davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt?
Grundsätzlich schon, schließlich wollen wir in Deutschland möglichst schnell den Erneuerbaren-Anteil in den verschiedenen Sektoren deutlich steigern, im Stromsektor auf 80 Prozent bis 2030.
Wenn dann doch einmal der Vergleich zum Vorjahresquartal nicht so rosig aussieht, sollte einen das aber auch nicht schocken. Ob der Winter mild ausfällt oder lang und kalt, hat einen großen Einfluss und auch Wind und Sonne liefern schließlich nicht immer gleich viel. Ebenso wird eine wieder erstarkende Wirtschaft mit etwas höherem Energieverbrauch an dem generellen Trend nichts ändern.
Der Expertenrat für Klimafragen kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland bei der Treibhausgasminderung nicht auf Kurs ist. Weder das CO2-Ziel für 2030 noch die Klimaneutralität 2045 lassen sich mit der aktuellen Politik erreichen. Muss das gerade novellierte Klimaschutzgesetz nun überarbeitet werden?
Mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes bin ich nicht glücklich, wie so viele andere auch. Die Aufweichung der Sektorziele und der entsprechenden Zuständigkeit der Ministerien halte ich für ein falsches Signal. Ohne eine klare Verantwortung wird der Druck vor allem im Verkehrssektor fehlen, um echte Veränderungen zu bewirken.
Das gilt übrigens unabhängig davon, ob man es eher mit dem Sondergutachten des Expertenrats für Klimafragen hält oder eher mit dem UBA-Projektionsbericht, der zu einem positiveren Ergebnis kommt. Die Novelle des Klimaschutzgesetzes war eine Verschlimmbesserung.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Mich hat eine Analyse negativ überrascht, die der Umweltverband BUND zur Europawahl vorgelegt hat. Darin wird das Abstimmungsverhalten der deutschen EU-Abgeordneten im Europaparlament ausgewertet. Untersucht wurden 30 Gesetzesvorhaben mit Umweltbezug in den letzten fünf Jahren.
Das Ergebnis zeigt eine enorme Kluft zwischen den Parteien, die ich in dieser Deutlichkeit erschreckend finde. Liegen die Grünen bei etwa 90 Prozent und die SPD noch bei etwa 70 Prozent Zustimmungsquote, so haben FDP-, CDU- und CSU-Abgeordnete nur zu 20 Prozent oder weniger den EU-Umweltgesetzen zugestimmt. Das unterbietet nur noch die AfD.
Ich dachte, da wären die konservativen Parteien mittlerweile weiter.
Für mich unterstreicht auch diese Auswertung, dass es eben nicht egal ist, wen wir aus Deutschland ins Europaparlament schicken. EU-Richtlinien beeinflussen eine Vielzahl unserer nationalen Gesetze – auch im Energie-, Klima- und Umweltsektor. Wem diese Themen wichtig sind, der sollte seine Stimme nutzen.
Fragen: David Zauner