Heute ist der internationale Tag der biologischen Vielfalt. Nach wie vor sind etwa eine Million Arten vom Aussterben bedroht – trotz des im Dezember 2022 verabschiedeten globalen Rahmenabkommens über die biologische Vielfalt, des "Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework", sowie des vorangegangenen Strategieplans für die sogenannten Aichi-Ziele von 2011 bis 2020.

Bild: IDOS

Jonas Hein

ist promovierter Human­geograf und forscht am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) in Bonn zu Gerechtigkeits­aspekten globaler Umwelt­politik, der politischen Ökologie des Natur­schutzes und den sozial-ökologischen Auswirkungen von Infra­struktur­projekten in Küsten­regionen.

2024 steht der Tag der Biodiversität unter dem Motto "Sei Teil des Plans". Das soll ein Aufruf zum Handeln sein, für eine gesellschaftliche Kraftanstrengung, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten und umzukehren.

Ein wesentlicher Teil des globalen Plans ist das Ziel, 30 Prozent aller Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen, wie es Handlungsziel drei des Kunming-Montreal-Vertrags festlegt. Bislang sind erst 16 Prozent der Landfläche und acht Prozent der Meere weltweit als Schutzgebiete ausgewiesen.

Dabei tragen aber nicht alle Schutzgebiete wirklich effektiv zum Erhalt der Biodiversität bei. Auch die Neuausweisung von Schutzgebieten wird allein nicht reichen, um das Artensterben zu stoppen. In den letzten Jahren hat der Anteil der Schutzgebiete weltweit stetig zugenommen und trotzdem hat sich das Artensterben kaum verlangsamt. Dies hat zwei wesentliche Ursachen.

 

Erstens können Schutzgebiete allein die indirekten Triebkräfte des Artensterbens nicht aufhalten. Diese indirekten Triebkräfte beinhalten unsere Konsummuster und unser auf permanentes Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem.

Diese Ursachen werden vom Kunming-Montreal-Vertrag aber nur zum Teil erfasst. Entsprechende Forderungen sind nur in den Handlungszielen 15 und 16 zu finden. Ziel 15 verlangt von Unternehmen, Risiken und negative Auswirkungen im Zusammenhang mit der biologischen Vielfalt zu bewerten, offenzulegen und zu reduzieren. Bei Ziel 16 sollen die Staaten "nachhaltige Konsumentscheidungen ermöglichen, um Abfall und Überkonsum zu reduzieren".

Nur auf dem Papier geschützt

Der zweite Grund für die noch zu geringe Wirkung des Biodiversitäts-Abkommens ist: Weltweit werden die Schutzgebiete nicht inklusiv geplant und nicht wirksam verwaltet und überwacht.

Allein schon die deutschen Meeresschutzgebiete veranschaulichen dies. So hat Deutschland 45 Prozent seiner Meeresflächen unter Schutz gestellt, doch weisen Meeresschützer:innen seit Jahren darauf hin, dass diese Schutzgebiete letztlich sogenannte Paper Parks sind, also vor allem auf dem Papier existieren.

Bild: privat

Marcelo Inacio da Cunha

ist studierter Volkswirt, promovierter Geograf und wissen­schaftlicher Mit­arbeiter am IDOS. Im Klimalog-Projekt forscht er zu effektivem partizipativem Natur­schutz auf lokaler Ebene wie auch im Rahmen globaler Umwelt­abkommen und ‑verhandlungs­prozesse, integrativer Land­nutzungs­planung sowie inklusiver Klima- und Biodiversitäts­politik.

Seit 2023 gibt es zwar Schutzgebietsverordnungen und darauf aufbauende Managementpläne für einige deutsche Meeresschutzgebiete. Doch diese sind ungenügend, wie etwa der WWF kritisiert. Denn auch innerhalb der Schutzgebiete finden weiterhin Aktivitäten statt, die die Artenvielfalt gefährden.

So ist im Schutzgebiet "Borkum Riffgrund" die Suche nach Erdgas und Erdöl ausdrücklich erlaubt, während das Schutzgebiet "Fehmarnbelt" von Schifffahrtsstraßen gekreuzt wird. Darüber hinaus sind die Gebiete durch den Klimawandel und durch große Infrastrukturprojekte wie die Elbvertiefung gefährdet.

Ein möglicher neuer Nationalpark Ostsee in Schleswig-Holstein scheiterte am Widerstand des Tourismus- und des Fischereisektors – paradoxerweise sind dies genau jene, die unmittelbar vom Erhalt der Ostsee profitieren und die sich beispielsweise im Kontext der Elbvertiefung für den Erhalt der Flusslandschaft und der Fischbestände einsetzen.

Um die gesellschaftliche Akzeptanz für neue Schutzgebiete zu erhöhen und gleichzeitig deren Wirksamkeit für den Artenschutz zu verbessern, ist es notwendig, Schutzgebiete grundlegend neu zu denken und auf mehr Partizipation in der Planung, Verwaltung und Überwachung dieser Gebiete zu setzen.

Menschenleere Schutzgebiete?

Eine Ursache für den starken Widerstand gegen neue Schutzgebiete – ob in Schleswig-Holstein oder anderswo – ist die nach wie vor dominierende Vorstellung, dass der Mensch von der Natur ferngehalten werden müsse, um diese zu schützen.

Das führt in vielen Teilen der Welt zu Menschenrechtsverletzungen und Konflikten, die teilweise tödlich verlaufen. Demgegenüber können Gemeindeschutzgebiete und gemeinsames Schutzgebietsmanagement effektive Lösungsansätze für Naturschutz sein.

Bild: IDOS

Jean Carlo Rodríguez de Francisco

ist Sozial- und Umwelt­wissenschaftler am IDOS. Seine Schwer­punkte sind Umwelt­gerechtigkeit und politische Ökologie. Er untersucht die Politik­gestaltung in den Bereichen Bio­diversität und Wasser­ressourcen auf verschiedenen Ebenen sowie deren Einfluss auf indigene Völker und lokale Gemeinschaften.

Die Verwaltung von Schutzgebieten sollte die Teilhabe von Betroffenen an Entscheidungsprozessen ermöglichen – mit entsprechenden Rechten wie Land-, Nutzungs- oder Gewohnheitsrechten sowie Menschenrechten.

So sollten indigene und lokale Gruppen, die Flächen und Ressourcen traditionell nachhaltig nutzten, das Recht haben, diese Praxis fortzuführen. Das brasilianische Umweltrecht ermöglicht beispielsweise lokalen traditionellen Gemeinschaften, sich aktiv am Schutzgebietsmanagement zu beteiligen. Dies wird leider bislang nicht ausreichend umgesetzt, weder in Brasilien noch anderswo.

Um den gesellschaftlichen Stellenwert der Biodiversität zu erhöhen, könnte es zudem helfen, bedrohte Arten und Ökosysteme als Rechtssubjekte zu etablieren. So wurden in Kolumbien, Indien und Neuseeland Flüsse als Rechtssubjekte anerkannt. In Ecuador ist der Erhalt von "Mutter Erde" in der Verfassung verankert.

Zwar könnten sich weder die Elbe noch der durch die Elbvertiefung bedrohte Schierlings-Wasserfenchel selbst repräsentieren und vor Gericht ziehen. Allerdings würde dieser gesetzgeberische Schritt die Tatsache betonen, dass wir Menschen Teil der Natur sind, und so deren Zerstörung zumindest rechtlich erschweren.