Als im vergangenen Jahr die Wahlen in Brasilien einen politischen Wendepunkt markierten, war die Hoffnung groß. Nach der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro, der sich international einen Ruf als rechtspopulistischer Waldzerstörer erwarb, wurde Lula da Silva, langjähriger linker Präsident und global anerkannter Verfechter für den Waldschutz, wieder ins Amt gewählt.
Auch wenn Lula die Wahlen nur knapp gewann und die Spaltung im Land groß ist, wurden erste Erfolge errungen. So hat er ein Ministerium für Indigene Völker geschaffen, einen internationalen Waldschutzgipfel angekündigt und die Weltklimakonferenz 2025 nach Belém im nordbrasilianischen Amazonas-Regenwald geholt.
Doch Lulas Amtszeit wird bereits durch eine Reihe politischer Glaubwürdigkeitskrisen erschüttert. Kürzlich getroffene Entscheidungen haben für den Umweltschutz wichtige Ministerien geschwächt. So wurde etwa die Zuständigkeit für die Nationale Wasseragentur und für das Ländliche Umweltkataster dem von Marina Silva geführten Umweltministerium wieder entzogen.
Besonders das Kataster ist ein wichtiges Instrument gegen die illegale Entwaldung. Die Verantwortlichkeit für die sogenannte Demarkierung, die rechtssichere Abgrenzung indigener Gebiete, wurde vom Indigenen-Ministerium in das Justizministerium verlagert. Dem neuen Ministerium für Indigene Völker wurden damit wichtige Befugnisse für indigene Rechte genommen.
In der vergangenen Woche wurde außerdem das umstrittene Gesetzesprojekt "Marco Temporal" per Eilverfahren im Parlament verabschiedet. Das Gesetz PL 490 soll bewirken, dass nur Gebiete, die zum Zeitpunkt der Verfassungsverkündung im Jahr 1988 von indigenen Völkern bewohnt wurden, als indigenes Territorium geschützt werden können.
Europas Konsum setzt Brasiliens Wälder unter Druck
Aufgrund von Vertreibungen haben allerdings nicht alle indigenen Gruppen zu diesem Zeitpunkt in ihren Regionen gelebt. Gebiete, die sich derzeit im Prozess der Ausweisung als indigene Territorien befinden, wären damit ebenfalls betroffen. Sie stehen schon jetzt massiv unter Druck durch fortschreitende Entwaldung und bräuchten dringend einen gesetzlichen Schutzstatus.
Kathrin Henneberger
ist grüne Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Klima und Energie und im Entwicklungsausschuss. Sie engagiert sich seit Langem in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Im Mai war sie in Brasilien, auch um sich mit Akteuren im Amazonasgebiet auszutauschen und Allianzen aufzubauen.
Diese Entscheidungen gegen Indigene und gegen den Waldschutz sind dem Agieren konservativer Kräfte in der brasilianischen Politik zuzuschreiben. Sie sind eng verbunden mit den Interessen der Agrarindustrie, mehr Flächen für den Anbau von Soja und Mais sowie für Rinderhaltung nutzen zu können.
Diese Agrarprodukte werden größtenteils exportiert, auch nach Europa und Deutschland. Unser Konsumverhalten und unsere industrielle Massentierhaltung tragen somit dazu bei, dass der Druck auf Regenwaldgebiete und andere Ökosysteme in Brasilien zunimmt. Mit der Entscheidung will die konservative Parlamentsmehrheit verhindern, dass unter Lula weitere indigene Territorien ausgewiesen werden.
Aus dem Ministerium für Indigene Völker unter Leitung der ersten indigenen Ministerin Brasiliens, Sônia Guajajara, wird der Marco Temporal als "Völkermord per Gesetz" scharf kritisiert. Die indigene Abgeordnete Célia Xakriabá warnte im Parlament: "Sie werden indigenes Blut an den Händen haben."
Schutz der indigenen Bevölkerung ist Wald- und Klimaschutz
Auch Brasiliens Umweltorganisationen schlagen Alarm und haben für den heutigen Mittwoch umfangreiche Proteste angekündigt. Gleichfalls heute soll das oberste Bundesgericht darüber entscheiden, ob der Marco Temporal mit der brasilianischen Verfassung vereinbar ist.
Die zweite Parlamentskammer, der Senat, muss das Gesetz ebenfalls noch billigen, und schließlich müsste es Lula abschließend unterzeichnen. Der linke Präsident hat also hier noch eine Vetomöglichkeit. Am Ende wird sich zeigen, welche Kräfte sich durchsetzen können.
Indigene Territorien haben sich in Brasilien und überall auf der Welt als die Regionen bewährt, wo die Wälder und die Biodiversität am effektivsten geschützt werden. Gerade in der für das Weltklima so wichtigen Amazonasregion darf in Zeiten der Klimakrise kein Gesetz zur Aufweichung indigener Rechte gebilligt werden.
Für die Menschenrechte, das Klima und die Biodiversität müssen diese essenziellen Ökosysteme in Brasilien geschützt werden – und der beste Schutz ist immer, der indigenen Bevölkerung ihre Landrechte zu garantieren.
Ergänzung um 23:30 Uhr: Ein Richter des obersten Bundesgerichts hat dem brasilianischen Parlament mehr Zeit zur Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes eingeräumt. Die Entscheidung ist ein Rückschlag für die Rechte der Indigenen. Der Richter war 2021 vom rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro ernannt worden. (red)