Der Regenwald macht seinen Regen selbst, wenn man ihn lässt. (Bild: Birke Laubinger)

Fachleute befürchten seit mehreren Jahren, dass der größte Regenwald der Erde, der Amazonaswald, in diesem Jahrhundert kollabieren könnte. Eine neue Studie zeigt nun, dass die fortschreitende Entwaldung zusammen mit der globalen Erwärmung und einer intensivierten Landnutzung das Klima in Südamerika erheblich verändern könnte – durch eine Destabilisierung des dortigen Monsuns.

Die Folge: In weiten Teilen des Kontinents müsste mit deutlich weniger Regen gerechnet werden. Auch Gebiete, die bisher nicht direkt von der Entwaldung betroffen sind, wären dann von existenziellen Schäden bedroht. Doch immerhin gibt es auch positive Nachrichten: Die Abholzung ist zuletzt deutlich zurückgegangen.

Wie die Waldschäden im Amazonas-Regenwald und die Monsunzirkulation miteinander zusammenhängen, hat ein Team des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Universität Tromsø in Norwegen untersucht. Danach können die Waldverluste, die durch direkte Abholzung, Brandrodung und Dürren entstehen, dazu führen, dass die komplexen Kopplungsmechanismen zwischen Amazonas-Regenwald und südamerikanischer Monsunzirkulation einen "kritischen Punkt der Destabilisierung" überschreiten.

Die Ergebnisse deuteten "auf eine bevorstehende Verschiebung im Amazonas-Ökosystem hin, wenn die Abholzung und die globale Erwärmung nicht gestoppt werden", sagte der Hauptautor der Studie, Nils Bochow, der in Potsdam und Tromsø forscht.

Fragmentierte Waldgebiete

Der Regenwald gilt als Wettermaschine: Zwischen ihm und der Atmosphäre läuft über Niederschlag und Verdunstung ständig ein Feuchtigkeitsaustausch. Der Studie zufolge ist das der "Schlüsselmechanismus für das südamerikanische Hydroklima und die Stabilisierung des Amazonasgebiets insgesamt".

Ein großer Teil des Regens in den westlichen Teilen des Amazonasgebiets und im südlichen Südamerika stammt danach aus der Verdunstung der Bäume. Für das Funktionieren des südamerikanischen Monsuns und damit auch für die Verfügbarkeit der Feuchtigkeit, die der Amazonas-Regenwald zum Überleben braucht, ist dieser Feuchtigkeitsaustausch laut Studie entscheidend.

Vor allem im östlichen Amazonasgebiet aber, wo in den letzten Jahren am stärksten abgeholzt wurde, erhöhe die Waldschädigung das Risiko, dass der Feuchtigkeitsaustausch unterbrochen wird.

Tatsächlich ist der Amazonaswald vielerorts nicht mehr geschlossen. Im brasilianischen Teil zum Beispiel, der rund 60 Prozent der Fläche ausmacht, besteht er aus über 300.000 Fragmenten. Die brasilianische Weltraumbehörde Inpe schätzt, dass die kritische Marke bei einer Vernichtung von 20 bis 25 Prozent der Gesamtfläche liegt.

Dieser Kipppunkt ist womöglich nicht mehr fern. Verloren sind bereits über 17 Prozent, und eine ähnlich große Fläche gilt als geschädigt.

Andere, die zu dem Thema forschen, sehen den Kipppunkt noch nicht so nahe. Doch auch sie befürchten, dass irgendwann große Teile des bisherigen Regenwaldes zu einer offenen Savanne mit Gräsern und einigen Bäumen werden. Nach den Prognosen einiger Klimamodelle könnte der Wald im Laufe dieses Jahrhunderts sogar komplett verschwinden.

Folgen für die Landwirtschaft

Bochow und sein Team simulierten zunächst anhand eines Modells die Auswirkungen der Entwaldung auf den Feuchtigkeitstransport. In Beobachtungsdaten von vor Ort fanden sie dann entsprechende Anzeichen, dass die Stabilität des südamerikanischen Monsunsystems in den letzten Jahrzehnten tatsächlich abgenommen hat.

"Ein Zusammenbruch des gekoppelten Regenwald-Monsun-Systems würde in weiten Teilen Südamerikas zu einem erheblichen Rückgang der Niederschläge führen", warnte Mitautor Niklas Boers vom PIK. Folgen hätte das für den Regenwald selbst, aber auch für die Landwirtschaft.

Die Niederschläge würden vor allem im westlichen Amazonasgebiet und in Richtung der Subtropen stark abnehmen. Dadurch wäre laut der Studie der tiefe westliche Amazonas-Regenwald von einem großflächigen Absterben bedroht.

Zudem könnte ein Rückgang des Monsuns dramatische Folgen für die Ernährungssicherheit der Region haben. Niederschläge in dem für die Landwirtschaft sehr wichtigen La-Plata-Becken, das zu Argentinien, Bolivien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gehört, hängen entscheidend von dieser Feuchtigkeitszufuhr ab.

Bochow und Co betonen, die Studie setze den südamerikanischen Monsun "auf die Landkarte der potenziellen Kipppunkte des Erdsystems". Sie sagen allerdings auch, es sei bisher noch nicht möglich zu prognostizieren, wann genau er ausgelöst werden könnte.

Ob die zuletzt wieder verbesserte Situation bei der Entwaldung das Kippen verhindern kann, ist daher Spekulation. Zahlen des brasilianischen Weltraumforschungsinstituts Inpe bestätigen die positive Entwicklung seit dem erneuten Amtsantritt von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Danach ist die Abholzung im September im Vergleich zum gleichen Vorjahresmonat um 59 Prozent zurückgegangen – von etwa 1.450 auf 590 Quadratkilometer.

Lula war bereits von 2003 bis 2010 Staatschef in Brasilien. Im Januar trat er sein drittes Mandat mit dem Versprechen an, den Schutz des Amazonasgebiets zur Priorität zu machen und die illegale Entwaldung bis 2030 komplett zu stoppen. Unter Lulas Vorgänger Jair Bolsonaro war die Abholzung im Vergleich zum Durchschnitt des vorherigen Jahrzehnts um 75 Prozent gestiegen.

Allerdings verschlechterte sich die Situation im Cerrado, einer tropischen Savanne mit großer Artenvielfalt im Süden des Amazonasgebiets. Dort wurden im September etwa 516 Quadratkilometer abgeholzt – im Vergleich zum September 2022 ein Anstieg um 89 Prozent und der höchste Wert für diesen Monat seit Beginn der Aufzeichnungen 2018.