Monsun Indien
Monsunbedingtes Hochwasser in Agartala, der Hauptstadt des Bundesstaats Tripura im Nordosten Indiens. (Foto: Bijoy Debnath/​Tripura Info)

Indien, voriges Jahr, Anfang Oktober. Die Monsun-Zeit mit ihren starken Regenfällen ist eigentlich schon vorbei. Trotzdem suchen schwere Unwetter vor allem den Norden und den Osten des riesigen Landes heim.

In Patna zum Beispiel, der Hauptstadt des Bundesstaates Bihar, müssen Hunderte Menschen tagelang in ihren überfluteten Häusern warten, bis Hilfe sie erreicht – darunter auch der dortige Vize-Regierungschef.

Normalerweise kommt der Monsun jedes Jahr zwischen Juni und September nach Indien, in dieser Zeit fallen drei Viertel der jährlichen Regenmenge.

Diesmal aber ist er besonders heftig, viele Regionen stehen lange Zeit komplett unter Wasser. Stürme mit extremen Regenfällen und Gewittern decken viele Dächer ab, bringen Bäume und Strommasten zum Umstürzen. Es kommt zu Erdrutschen, Schlammlawinen reißen ganze Straßenzüge weg.

Die Bilanz ist verheerend. Mehr als 1.600 Menschen sterben. Die meisten von ihnen werden unter ihren Häusern begraben, die aufgrund der Regenmassen einstürzen, viele ertrinken. Auch über Todesfälle durch Blitzschlag und Schlangenbisse im Hochwasser wird berichtet.

Ein Déjà-vu: Schon 2017 und 2018 gab es extreme Niederschläge, durch die mehrere tausend Menschen umkamen. Die Regenfälle des Monsuns 2016 hingegen waren viel zu schwach ausgefallen, das hatte in der stark landwirtschaftlich geprägten Region eine Dürrekatastrophe zur Folge.

Das jährlich wiederkehrende, für die Tropen rund um den Erdball charakteristische Wetterphänomen Monsun hat eine immense Bedeutung für das Leben der Menschen in Indien und den angrenzenden Ländern. Die Niederschläge entstehen durch warme Winde in den Sommermonaten, die über dem Indischen Ozean viel Wasser aufnehmen und in Richtung Festland wehen – dort "stoßen" sie an die Himalaya-Gebirgskette und regnen ab.

Vom Einsetzen des Sommermonsuns, seiner Dauer und der Verteilung der Niederschläge hängen die landwirtschaftlichen Erträge ab. Ein schwacher Monsun ist häufiger mit ausgeprägten Dürren verbunden, die Missernten und Hungersnöte auslösen können.

Umgekehrt führen stärkere Niederschläge in dieser "Regenzeit" oft zu schweren Überschwemmungen, so wie 2017 und 2019. Die Folgen können gravierend sein – allein der asiatische Sommermonsun tangiert weit über die Hälfte der Weltbevölkerung. Beides, sowohl lang anhaltende Trockenheit als auch verheerende Überflutungen, traten in der jüngeren Vergangenheit in Teilen Indiens, Bangladeschs und Pakistans wiederholt auf.

"Mit spürbaren Veränderungen ist zu rechnen"

Wissenschaftler treibt die Frage um, wie sich die Erderwärmung auf das Regime des Monsuns auswirkt – und ob er eines der Kippelemente des Klimasystems sein könnte. Rekonstruktionen der Klimageschichte haben nämlich gezeigt, dass der Monsun sehr sensibel auf äußere Einflüsse reagieren kann.

Der menschliche Einfluss hat hier zwei Hauptkomponenten: einerseits die globale Erwärmung, gesteuert durch die steigende Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre, andererseits die Abkühlung, die durch die starke Luftverschmutzung in Asien bewirkt wird.

Die Aufheizung zeigt sich besonders stark über Land, das schneller als der Ozean reagiert. Die sommerlichen "Hitze-Tiefs" werden dadurch verstärkt, es bilden sich mehr Wolken. Folge davon: Der Monsun wird heftiger, es fallen mehr Niederschläge.

Doch es finden auch Prozesse mit gegenläufiger Tendenz statt. So erhält die Luft in Ländern wie Indien durch Kohlenutzung, Verkehrsemissionen und das vielerorts übliche Abbrennen von abgeernteten Feldern sehr viele schwebende Teilchen, Aerosole genannt. Diese Aerosole streuen und reflektieren das Sonnenlicht, sodass weniger Strahlung bis zum Erdboden gelangt.

Ebenfalls abkühlend wirken Waldrodungen, die die Erdoberfläche heller machen und so die Rückstrahlung (Albedo) des Sonnenlichts erhöhen. Diese Effekte bremsen die Erwärmung der Luft über dem Subkontinent.

Ob sich die Verstärkung oder die Abschwächung des Monsuns künftig stärker durchsetzen wird, ist noch nicht ausreichend geklärt – allerdings gibt es Hinweise für eine höhere Intensität. Der frühere Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber, ist jedoch sicher: "Insgesamt ist für das 21. Jahrhundert mit spürbaren Veränderungen im Hinblick auf Intensität, räumliche Ausdehnung und jahreszeitliches Einsetzen des Monsuns zu rechnen."

Schellnhuber warnt, dass ein ungebremster Klimawandel – also ohne konsequente Erfüllung des Pariser Klimavertrages mit seinem Limit von 1,5 bis zwei Grad globaler Erwärmung – die Pendelbewegung zwischen trockenen und nassen Extremen voraussichtlich verstärken werde. "Das würde die für die Landwirtschaft essenzielle Vorhersagbarkeit der saisonalen Witterung enorm verschlechtern." Angesichts der Größe der betroffenen Region brächte das für viele Hundert Millionen Menschen große Anpassungsprobleme.

Neue Vorhersagemethode

Für PIK-Professorin Jelena Surowjatkina steht fest, dass die schweren Unwetter des vorigen Jahres von der Erderwärmung mitverursacht wurden. Nach ihren Untersuchungen hat die Erwärmung den indischen Sommermonsun in zweierlei Hinsicht beeinflusst: In den letzten zehn Jahren nahm die Intensität der Regenfälle in Zentralindien zu, außerdem verzögerte sich der Rückzug des Monsuns bis in die späten Sommermonate hinein. Höhere Frühlingstemperaturen und eine langsamere Abkühlung im Herbst hingen ebenfalls damit zusammen, erklärt die Expertin.

Serie: Kippelemente

Werden die Kippelemente im Klima- und Erdsystem ausgelöst, kann es zu Kettenreaktionen kommen, durch die sich die Erderwärmung unkontrollierbar verstärken würde. Wissenschaftler haben 16 Kippelemente identifiziert, die sogar für ein Ende der menschlichen Zivilisation, wie wir sie kennen, sorgen könnten. Wir stellen sie in einer Serie vor.

Auch Surowjatkina erwartet, dass die Regenfälle bei weiterer globaler Erwärmung immer unberechenbarer werden. Im letzten Jahr habe der Monsun einer "undichten Decke" geähnelt, anstatt den gesamten Subkontinent allmählich durch Schauer zu bewässern.

Die Wissenschaftlerin sieht als Tendenz, dass die Niederschläge anders als bisher überhaupt nicht mehr enden, sondern das ganze Jahr über kommen – allerdings unregelmäßig und schwer vorhersehbar.

Umso wichtiger ist es, die Prognosen zu verbessern – ein Forschungsgebiet der Wissenschaftlerin. Und hier gibt es Fortschritte. Surowjatkina ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, den Beginn der Monsunsaison mit einer neuen Vorhersagemethode über einen Monat im Voraus mit großer Genauigkeit zu bestimmen.

Sogar in dem besonders komplexen Monsunjahr 2019 lag sie richtig. Ein großer Vorteil für die Landwirte, die zum Beispiel die Aussaat besser planen können.

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