Wird Klimaschutz nur noch mit Ängsten, Verboten und Ablehnung verbunden, fragen sich auch Klimajournalisten, wie man Leute noch motivieren kann, sich für Klimaschutz einzusetzen oder ihn wenigstens gut zu finden.

Mehr und mehr wird dazu das sogenannte Backcasting propagiert. Bei der Methode wird zunächst eine wünschenswerte Zukunft beschrieben – gern um das Jahr 2050 herum – und dann wird in Richtung Gegenwart gescrollt und der Weg zum Wunschzustand in akzeptable und annehmbare Schritte aufgeteilt. Am Ende des Backcastings soll dann die Einsicht in den ersten Schritt stehen, der zu gehen ist, damit die schöne Vision sich später materialisiert.

 

Wer wie die grüne Partei beim Klimaschutz als Wohlstandszerstörer am Pranger steht, verfällt nahezu unweigerlich dem Backcasting. Hierzulande werde Klimaschutz nur als "bevormundend", "kompliziert" und "teuer" betrachtet, beklagte entsprechend die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge auf dem "Zukunftskongress" ihrer Bundestagsfraktion am Montag.

Ein Unternehmer habe sie gefragt, fuhr Dröge fort, warum die Grünen nicht ein Bild von Deutschland malten, wie schön es wäre, wenn all das umgesetzt worden sei, was die Grünen sich vorstellten. Sie finde, sagte die Fraktionschefin, das sei der Kern dessen, was grüne Politik im Endeffekt ausmache.

Mit der guten Zukunftsvision gibt es ein Problem

Dröge hatte damit den aufgesetzt schönen Ton des Kongresses vorgegeben. Auf den Podien ging es oft um "Zukunftslust" oder "Lust auf die Zukunft". In der letzten Runde des Tages wurde Robert Habeck gefragt: Was halte er davon, mit einer Utopie ein Ziel zu setzen und diese dann "von hinten" realistisch auszuerzählen?

Damit konnte der Spitzengrüne wenig anfangen und antwortete, die Menschen hätten die Zukunft nicht vergessen, aber diese mache eben vielen Angst. Aus seiner Sicht verfange der Glaube, dass es in Zukunft besser funktioniere, nur dann, wenn im Hier und Jetzt bessere Antworten gegeben werden.

Die Grünen suchen nach einer neuen Erzählung. (Bild: Grüne NRW/​Flickr)

Das Problem am Backcasting ist, dass sich die Zukunft nicht mehr so schönreden lässt. Beim Klima geht es für die meisten, die sich wissenschaftlich damit beschäftigen, nur noch um die Frage, ob die Welt mit Ach und Krach das Zwei-Grad-Ziel einhält – oder nicht.

Und nicht von der Hand zu weisen ist die Vermutung, dass schon eine Zwei-Grad-Welt einer Klimahölle nicht unähnlich sein könnte, schaut man auf unberechenbare Extreme, wie sie bereits in der heutigen Fast-1,5-Grad-Welt auftreten.

Katharina Dröge brachte in ihrem Eingangsstatement auch nur eher banale Beispiele, wofür der schöne Klimaschutz noch nützlich sein könnte. So sorge die Umstellung auf E‑Mobilität auch dafür, dass der Verkehr leiser werde, lobte sie. Oder der Ausbau der Erneuerbaren schütze nicht nur das Klima, sondern bewirke auch, dass niemand mehr den Dreck der Kohlekraftwerke einatmen müsse. Auch komme man, schloss Dröge, mit Bus und Bahn entspannter zur Arbeit als mit dem Auto.

Allerdings räumte die Fraktionschefin auch ein, es gebe kein drängenderes Thema als die Klimakrise. Und die Grünen fragten sich, was sie dafür tun könnten, damit Klimaschutz wieder zum Kern der Debatte werde.

Kein Klimageld, kein richtiges Energy Sharing

Ganz so ernst mit dem Debatten-Kern meinte es die grüne Fraktion am Montag aber nicht. Erst das siebente sogenannte Zukunftspanel widmete sich dem Klima.

Und bevor es mit dem Thema richtig losging, räumte Vizefraktionschefin Julia Verlinden erst einmal das soziale Klimageld ab. Obwohl für viele Menschen das Klimageld ein wichtiges Synonym für das Thema Klima und Gerechtigkeit sei, werde man es, so Verlinden, auf dem Klima-Panel ganz bewusst nicht "pitchen", also als Idee propagieren.

Auch sorge das Klimageld allein nicht automatisch für Gerechtigkeit, schob Verlinden noch eine Erklärung nach. Das ist natürlich kein schönes Backcasting, sondern ein Muster, wie es auch Klimablockierer gern verwenden: Kritikern wird eine überzogene Position untergeschoben, um diese dann als übertrieben einseitig ablehnen zu können.

Tatsächlich wäre das Klimageld ein erster Schritt in der Backcasting-Erzählung von einer schönen, klimagerechten Welt. Andere Länder bekommen das ja hin, Deutschland nicht. Warum? Mit der Frage wollte sich die Grünen-Spitze offenbar nicht die schöne Atmosphäre verderben.

Zugegebenermaßen wurden im Klimapanel auch drei ganz konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, um grüne Klimapolitik wieder positiv ins Gespräch zu bringen, wie es hieß.

Vorschlag Nummer eins: Umsetzung der EU-Regeln zum Energy Sharing in bundesdeutsches Recht. Hier schloss sich das grüne Klimapanel der Vision von einer wirklich bürgernahen Versorgung an, bei der Energiegemeinschaften selbst Strom erzeugen, verteilen und verbrauchen und kein traditioneller Versorger mehr dazwischen steht.

Tatsächlich setzt aber auch der neueste Gesetzentwurf zum Energierecht die seit 2021 geltenden EU-Regeln zum Energy Sharing nicht um, kritisierten jüngst mehr als 70 Organisationen in einem Appell. Das Bündnis fordert von der Ampel, einen Bürgerenergie-Gipfel einzuberufen. Reaktionen dazu aus Robert Habecks Wirtschafts- und Klimaministerium sind nicht bekannt.

Entlastungen für normale Haushalte – schon erledigt

Vorschlag Nummer zwei: Nicht nur Haushalte, die sich mit Solardach, Stromspeicher und Wallbox ausstatten können und dafür noch öffentlich gefördert werden, sollen von günstiger Energie profitieren, sondern auch normale Nicht-Solar-Haushalte. Dazu schwebt der Grünen-Fraktion vor, dass der Staat für eine "begrenzte Übergangzeit", wie es auf dem Klimapanel hieß, die Haushalte von Teilen des Strompreises entlastet.

Bei solchen Ideen verweist das Wirtschaftsministerium regelmäßig darauf, die Haushalte würden beim Strompreis bereits dadurch entlastet, dass die EEG-Vergütung nicht mehr von den Stromkunden, sondern aus dem Bundeshaushalt bezahlt wird.

Vorschlag Nummer drei: Die Folgekosten der fossilen Energie- und Rohstoffwirtschaft sollten in ungleich größerem Maßstab verursachergerecht denjenigen Konzernen und Multis angelastet werden, die immer noch Milliardenprofite einsteckten, so die Anklage.

Tatsächlich ist die Ampel-Regierung nicht einmal beim Abbau umweltschädlicher Subventionen vorangekommen. Noch immer wird in Deutschland fossile Energie teilweise stärker öffentlich bezuschusst, als sie für ihre Umweltkosten zur Kasse gebeten wird.

 

Alle drei Vorschläge legen das unschöne Glaubwürdigkeitsproblem grüner Klimapolitik offen. Es wären ja drei Jahre Zeit gewesen, um in den drei Punkten voranzukommen – oder auch beim Klimageld, beim Klimaschutzgesetz und mit anderen wichtigen Vorhaben.

Zu vieles blieb nur schöne Vision. Das Backcasting stellt nunmehr lediglich die Ersatzerzählung anstelle eines realen Vorankommens dar.

Mit den drei konkreten Klima-Vorschlägen wurde übrigens auch Robert Habeck in der Abschlussrunde des Zukunftskongresses nicht behelligt. Auf die Frage, wie denn nun eine echte Veränderung zu erreichen sei, gab Habeck die eher kryptische Antwort, es bedürfe nur eines Kristallisationspunktes, eines Ereignisses oder eines "Moments", damit sich die "positive Energie" wieder "materialisiert" und "bündelt".

Wenn sich ihre Vision demnächst doch noch "materialisieren" sollte, könnten die Grünen vielleicht auch wieder zu einer glaubwürdigen Klimapolitik kommen. Für den Kongress muss ihr klimapolitisches Casting als gescheitert gelten.