Ein digitales Netz liegt über der Erde
Die Nutzung von künstlicher Intelligenz könnte in den kommenden Jahren zu wesentlich genaueren Klimaprognosen führen. (Foto: Pete Linforth/​Pixabay)

Wer an den Klimawandel denkt, hat beinahe unvermeidlich zwei Zahlen vor dem inneren Auge: 1,5 Grad und zwei Grad. Das sind die beiden Klima-Schwellenwerte, auf die sich 195 Länder vor sieben Jahren im Rahmen des Paris-Abkommens einigen konnten.

Die Erderwärmung soll auf "deutlich unter zwei Grad" gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden, heißt es dort. Und es sollen Anstrengungen unternommen werden, dass der Temperaturanstieg 1,5 Grad nicht übersteigt.

Eine Anfang der Woche veröffentlichte Studie zeigt nun, dass diese Klima-Schwellen schon in wenigen Jahren überschritten werden könnten. Noah Diffenbaugh von der Stanford-Universität und Elizabeth Barnes von der Colorado-State-Universität in den USA haben ermittelt, dass die 1,5-Grad-Schwelle zwischen 2033 und 2035 geknackt wird.

Besonders besorgniserregend sind die Ergebnisse bezüglich der Zwei-Grad-Schwelle. Diese wird laut der Studie mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit bis 2050 überschritten und mit einer 70-prozentigen Wahrscheinlichkeit bis 2054.

Die beiden Wissenschaftler:innen nutzten künstliche Intelligenz (KI), um diese Vorhersagen zu treffen. Sie trainierten das Computersystem, eine große Anzahl von Klimamodell-Simulationen zu analysieren. In den Datenmengen konnte die KI Muster erkennen und damit Rückschlüsse auf zukünftige Temperaturentwicklung ziehen.

Pessimistischer als der Weltklimarat

Forscher:innen warnen seit einiger Zeit, dass die Erderwärmung bald 1,5 Grad erreichen könnte. Damit decken sich die Erkenntnisse der in den Proceedings of the National Academy of Sciences erschienenen Studie weitestgehend mit den jüngsten Berichten des Weltklimarats IPCC.

Wesentlich pessimistischer sind die Einschätzungen der KI jedoch bezüglich der Zwei-Grad-Schwelle. Während der sechste Sachstandsbericht des IPCC es für unwahrscheinlich hält, dass sich die Erde in einem Niedrig-Emissions-Szenario noch in diesem Jahrhundert um zwei Grad erwärmt, lässt die KI-Studie daran kaum Zweifel.

Selbst mit beträchtlichen Treibhausgas-Minderungen ist es laut der Studie wahrscheinlich, dass das Zwei-Grad-Ziel zwischen 2044 und 2065 fällt. Die Wissenschaftler:innen schreiben allerdings, dass es durchaus noch möglich sei, das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Nur eben unwahrscheinlich.

"Wir haben sehr klare Beweise für die Auswirkungen, die die heutige globale Erwärmung um ein Grad Celsius bereits auf verschiedene Ökosysteme hat", sagte Noah Diffenbaugh der britischen Zeitung The Guardian. Diese Klimafolgen nehmen mit jedem weiteren halben Grad drastisch zu.

KI ist Neuland für die Klimawissenschaft

Bei zwei Grad Erwärmung sterben doppelt so viele Wirbeltier- und Pflanzenarten aus und dreimal so viele Insektenarten. Die Ernteerträge einiger Nutzpflanzen, zum Beispiel von Mais, werden mehr als halbiert. 70 bis 90 Prozent der tropischen Korallenriffe sind schon bei 1,5 Grad verloren. Bei zwei Grad betrifft es mit einem 99-prozentigen Verlust praktisch alle Riffe.

Wetterextreme wie Dürren, Fluten und Stürme korrespondieren direkt mit der Erderwärmung und die Gefahr, Kipppunkte von besonders kritischen Subsystemen des globalen Klimasystems zu erreichen, erhöht sich drastisch.

Dennoch ist auch das 1,5-Grad-Ziel noch nicht vollends verloren. Wenn die Emissionen bis 2030 halbiert und bis Mitte des Jahrhunderts auf null gesenkt werden, gibt es durchaus noch Hoffnung, das Limit einzuhalten.

Es kommt auch dann zu einem kurzen "Overshoot", aber mit Negativemissionen könnte das Ziel trotzdem zu schaffen sein.

Die Autor:innen betonen, dass die Nutzung einer KI für Klima-Vorhersagen eine neue Methode ist. Daraus leiten sich auch mögliche Schwachstellen ab. Etwa, dass die Vorhersagen davon abhängig sind, mit welchen Daten und Simulationen die KI zuvor trainiert wurde.

Dennoch zeigt die vorliegende Studie, wie wertvoll die Nutzung künstlicher Intelligenz in der Klimawissenschaft sein kann, und legt den Grundstein für weitere Forschung.

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