Michael und Maike Recktenwald vor ihrem Hotel in Langeoog.
Michael und Maike Recktenwald betreiben ein Biohotel auf der Nordseeinsel Langeoog und sind vom steigenden Meeresspiegel direkt betroffen. (Foto: Peoples' Climate Case)

Dass die EU-Staaten ihre gemeinsamen Klimaziele für das Jahr 2030 nochmal überarbeiten müssen, ist ein bisschen wahrscheinlicher geworden. Denn eine Klage von zehn Familien, dass die EU-Klimapolitik nicht ausreiche, wurde vom Gericht der Europäischen Union angenommen. Heute wurde die Klage im EU-Amtsblatt veröffentlicht.

Im Mai hatten zehn Familien, die aus fünf EU-Ländern, Kenia und Fidschi kommen, sowie eine Jugendorganisation aus Schweden die EU verklagt. Der Vorwurf: Die Klimaziele der EU für das Jahr 2030 sind unzureichend und verletzen deshalb ihre Grundrechte.

Derzeit wollen die EU-Staaten die Emissionen bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Die Kläger fordern, dass das Ziel auf 50 bis 60 Prozent erhöht wird. Sie haben dafür, unterstützt von mehreren Umweltorganisationen, über 6.000 Seiten Gutachten zusammengetragen. 

"Die Klage wurde angenommen und wurde den Beklagten schon Anfang August zugestellt", freut sich Caterina Freytag, Referentin für Klimaschutzklagen bei der Entwicklungsorganisation Germanwatch. "Es wäre auch denkbar gewesen, dass das Gericht die Klage ablehnt", sagte sie gegenüber Klimareporter°.

"Die EU ist verpflichtet, keinen Schaden zu verursachen"

Zunächst müssen nun die Beklagten, das sind der Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament, innerhalb von zwei Monaten ihre Verteidigung einreichen. Dann kann es zu einer mündlichen Verhandlung kommen. Wann das sein könnte, ist noch nicht klar – Freytag tippt auf das kommende Frühjahr.

Die Familien argumentieren in ihrer Klageschrift, dass die EU rechtlich verpflichtet sei, keine Schäden zu verursachen und die Grundrechte ihrer Bürger zu schützen. Die EU tue beim Klimaschutz nicht das, was ihr möglich ist – und das sei nicht rechtens. Die Klägerinnen und Kläger schreiben, dass mehrere EU-Gesetze, darunter zum CO₂-Emissionshandel und zur Klima-Lastenteilung in Verkehr und Landwirtschaft, zu schwach und damit nichtig seien. Sie haben deshalb beantragt, dass die Gesetze nachgebessert werden sollen. Bis dahin sollen sie aber in Kraft bleiben.

"Dieser Fall beschäftigt sich mit unserer gemeinsamen Zukunft und wir sind froh, dass wir einen Schritt weitergekommen sind, angehört zur werden", sagt Armando Carvalho. Wie alle anderen Kläger ist er direkt vom Klimawandel betroffen. Der Portugiese hat im Jahr 2017 durch ein Feuer seinen Wald verloren: "Die Brände haben im vergangenen Jahr meinen Besitz zerstört. Dieses Jahr leiden wir wieder unter einer enormen Hitzewelle und Bränden in Europa."

Klage könnte zum Präzedenzfall werden

Unter den Klägern ist auch die deutsche Familie Recktenwald, die auf der Nordseeinsel Langeoog ein Hotel betreibt. "Im Nationalpark Wattenmeer leben wir mitten in der Natur und spüren den Klimawandel in unserem Alltag", sagte Maike Recktenwald. Sie befürchtet, dass die Folgen des Klimawandels sie direkt betreffen werden: "Über kurz oder lang droht zum Beispiel durch starke Niederschläge unser Trinkwassersystem zu kollabieren, weil ungefiltertes Regenwasser in die Reservoire gelangt."

Wenn die Kläger Erfolg haben, muss die EU ihre Klimaziele erhöhen. Die Klage ist ein Präzedenzfall, denn es ist die erste dieser Art auf europäischer Ebene. "Die Kläger fordern den Schutz ihrer Grundrechte ein", sagt Caterina Freytag. Mit einem Erfolg vor Gericht wäre dann klargestellt, dass der Klimawandel ein Menschenrechtsfall ist, so die Germanwatch-Expertin. "Mit der Argumentation könnte man dann auch andere Klagen führen."

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