Leere Stühle auf einem Podium mit der Aufschrift
Als fast so leer wie die Stühle von Kanzlerin und Ministern vor der Pressekonferenz erweist sich das Klimakonzept. (Foto: Jörg Staude)

Bevor die Kanzlerin und die anderen Politiker von Union und SPD ihr neues Eckpunktepapier nach Kräften verteidigten, stellte Angela Merkel (CDU) ihr Klimakabinett erstmal auf eine Stufe mit Greta Thunberg. Die Klimaaktivistin hatte diese Woche die Abgeordneten des US-Kongresses aufgefordert, sich hinter die Erkenntnisse der Klimawissenschaft zu stellen: "I want you to unite behind the science", sagte Thunberg.

Das habe sie "als Naturwissenschaftlerin" beeindruckt, erklärte Merkel am heutigen Freitag, Thunberg zitierend. Auch mit dem, was das Klimakabinett beschlossen hat, sieht sich Merkel offenbar auf den Höhen der Wissenschaft. Wer die wissenschaftlichen Meinungen über die Erderwärmung ignoriere, handele nicht zukunftsträchtig, schob sie noch nach.

Auf Nachfrage konnte Merkel dann aber nicht einmal sagen, wie groß die insgesamt zu erwartenden Einsparungen aus den geplanten Klimamaßnahmen bis 2030 sind. Das sei schwer zu berechnen und man wolle ja auch jedes Jahr prüfen, wie weit man gekommen sei, redete sie sich heraus.

Gegen die Kritik, mit zehn Euro sei der Einstieg in den CO2-Preis für Verkehr und Gebäude aus wissenschaftlicher Sicht viel zu flach, verteidigte sich Merkel mit dem Hinweis, man setze eben auf die Langzeitwirkung.

Zugleich begründete die Kanzlerin – wie auch die anderen Spitzenkräfte ihrer Regierung – ein ums andere Mal, warum die Chancen nun größer sein sollen, dass Deutschland – im Unterschied zu 2020 – das Klimaziel für 2030 einhalten wird. Diese Hoffnung beruhe, insistierte Merkel, auf dem weiterexistierenden Klimakabinett sowie auf dem nunmehr installierten jährlichen Monitoring. Damit könne man, unterstützt durch einen "Rat von Experten", zeitnah "nachsteuern". Dieser Mechanismus sei eine Art "Garantie", so die Kanzlerin, dass die Ziele erreicht würden.

CO2-Steuer heißt jetzt "Festpreis"

Der größte klimapolitische Handlungsdruck, daran ließen die Statements keinen Zweifel, resultiert aber nicht aus der "Science" oder der Sympathie für die Fridays-for-Future-Proteste – die pflichtgemäß von allen Spitzenpolitikern gelobt wurden –, sondern aus dem Umstand, dass Deutschland ab 2021 Strafzahlungen in Milliardenhöhe drohen, sofern das von der EU vorgegebene nationale Klimabudget überzogen wird. Warum solle man ein bis zwei Milliarden an Strafen zahlen – die könne man besser in den Klimaschutz investieren, sagte Merkel.

Weil ein funktionierender Emissionshandel aber nun auf Jahre nicht in Sicht ist, es aber auch keine CO2-Steuer geben durfte, gilt ab heute die Sprachregelung, dass man sich bei der CO2-Bepreisung auf einen "Festpreis" geeinigt habe. Merkel nimmt für sich in Anspruch, dass der Einstieg in ein solches Preissignal für die Union sogar eine Art "Paradigmenwechsel" darstelle.

Der niedrige Einstiegspreis von zehn Euro für die Tonne ausgestoßenes CO2 wurde vor allem mit dem sozialen Zusammenhalt begründet. "Nicht jeder kann mal eben auf sein Auto verzichten, und Mieter können nicht über ihre Heizung entscheiden", kommentierte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) das Eckpunkte-Papier. "Darum bieten wir gezielte Entlastungen an und fördern zugleich den Umstieg auf klimafreundliche Alternativen."

So oder ähnlich wiederholte das am Freitag jeder aus der Regierungsspitze und ergänzte es gern mit dem Hinweis, ein CO2-Preis sei "kein Allheilmittel" (SPD-Interimschefin Malu Dreyer) oder "nicht der alleinige heilige Gral" (CSU-Chef Markus Söder) – was allerdings auch nie ein Wissenschaftler behauptet hat.

Finanzierung und Details bleiben im Ungefähren

Wie die Maßnahmen, auch die sozialen, aber finanziert werden sollen – da konnte auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht viel zur Aufklärung beitragen. Er stellte eine Summe von mehr als 54 Milliarden Euro in Aussicht, die bis 2023 in den Klimaschutz investiert werden soll.

Wo das Geld herkommt, durfte man sich mehr oder weniger zusammenreimen: Da wären die bisherigen Einnahmen aus dem Verkauf der EU-Emissionszertifikate an Kraftwerke und energieintensive Industrien, die in den Energie- und Klimafonds fließen. In den sollen offenbar auch die (niedrigen) Einnahmen aus dem CO2-Festpreis, aus einer veränderten Kfz-Steuer und einer ausgebauten Lkw-Maut fließen.

Die Einnahmen aus der erhöhten Ticketsteuer für Inlandsflüge sollen, so war Scholz zu verstehen, zum Absenken der Mehrwertsteuer bei Bahnfahrkarten dienen. Die Beiträge aus dem Bundeshaushalt in den Energie- und Klimafonds – derzeit jährlich zwei Milliarden Euro – sollen offenbar vorerst nicht steigen. Und zur Anschubfinanzierung – die Fördergelder sollen ja eher fließen als die Einnahmen aus CO2-Preisen – verwies der Finanzminister auf angeblich aus dem Bundeshaushalt nicht abgerufene Investitionsmittel von sechs Milliarden Euro.

Covering Climate Now

Klimareporter° beteiligt sich wie rund 250 andere Zeitungen und (Online-) Magazine weltweit an der Initiative "Covering Climate Now". Die teilnehmenden Medien verpflichten sich, vor allem in der Woche vor dem New Yorker UN-Klimagipfel am 23. September über die Klimakrise zu berichten. Wir freuen uns über die Bewegung in der Medienlandschaft. Klimaschutz braucht guten und kritischen Journalismus.

Und was wird aus dem Klimaschutzgesetz der Umweltministerin? Dieses soll als Rahmengesetz erhalten bleiben und die weitere Arbeit des Klimakabinetts und der beratenden Experten regeln, auch sollen Sektorziele für Verkehr, Landwirtschaft et cetera irgendwie verankert bleiben.

Auf die konkreten Gesetze zum Eckpunkte-Papier darf das Land jedoch noch eine Weile warten. Im November, sagte der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, werde es erste Lesungen im Bundestag geben.

Noch offener ist die Frage, ob die SPD mit diesem Klima-Paket in der Koalition bleiben kann. Während Finanzminister Scholz am Freitag offen dafür warb, hielten sich Mützenich und Dreyer zurück und verwiesen auf den SPD-Parteitag im November.

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