Seit Ende Dezember steht das Klimapaket der Bundesregierung fest – was es aber wirklich an CO2-Einsparungen bringt, dazu konnte die große Koalition lange nichts sagen. Nun liegen zwei regierungsoffizielle Gutachten vor – vom Öko-Institut für das Umwelt- und von Prognos für das Wirtschaftsministerium. Die Gutachter kommen zu ziemlich ähnlichen Ergebnissen.
Wird das Klimapaket wie beschlossen umgesetzt, sinken die inländischen CO2-Emissionen um 51 (Öko-Institut) beziehungsweise 52 Prozent (Prognos). Das verbindliche Klimaziel für 2030 liegt bei minus 55 Prozent.
Für das Bundesumweltministerium ergibt sich daraus für 2030 eine Klimalücke von rund 71 Millionen Tonnen. Das Wirtschaftsministerium macht eine solche Angabe nicht – nach den vorliegenden Unterlagen beträgt die Lücke bei Prognos sogar nur 36 Millionen Tonnen, die Hälfte des Werts vom Öko-Institut.
Da beide Gutachten noch nicht vollständig veröffentlicht wurden, sind die Gründe dafür schwer zu beurteilen. Eine ursprünglich für heute von den beiden Ministerien geplante gemeinsame Vorstellung der Gutachten kam aus Termingründen nicht zustande. So oder so ist nun aber regierungsamtlich festgestellt, dass die bisherigen Klimabeschlüsse der großen Koalition nicht ausreichen, um das Klimaziel für 2030 zu erfüllen.
Hauptverantwortlich dafür sind, wenig überraschend, der Verkehrs- und der Gebäudesektor. Die für 2030 errechnete Klimalücke geht laut dem Öko-Instituts-Gutachten fast zur Hälfte auf das Konto des Verkehrs (33 Millionen Tonnen), gefolgt vom Gebäudesektor (17 Millionen Tonnen). Den Rest an fehlenden Einsparungen teilen sich Energiebranche, Industrie, Agrarbereich und Landnutzungsänderungen.
Einig sind sich die Gutachterteams darin, dass das Klimapaket eine CO2-Reduktion um etwa zehn Prozentpunkte bringt. Ohne die Maßnahmen würde Deutschland 2030 also bei einer Einsparung von nur rund 41 Prozent landen.
Zweifelhafte Grundannahme
Sehr problematisch an den Gutachten ist allerdings, dass sie wesentliche Annahmen des Klimapakets übernehmen, die schon jetzt von nahezu allen Experten als unseriös und überholt angesehen werden.
Beispielsweise geht das Gutachten des Öko-Instituts noch immer davon aus, dass der Stromverbrauch in Deutschland bis 2030 um zwei bis drei Prozent sinkt, obwohl dann – wie das Gutachten selbst annimmt – rund sechs Millionen Elektrofahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein werden und auch Ökostrom zur Herstellung von Wasserstoff genutzt wird.
Studie warnt vor Ökostrom-Lücke
Wenn der Ausbau der Windenergie an Land weiter so stockt, droht die Bundesregierung ihr Ziel von 65 Prozent erneuerbaren Energien im Strommix des Jahres 2030 deutlich zu verfehlen, warnt eine Studie des Thinktanks Agora Energiewende. Ohne zusätzliche Maßnahmen erreicht Deutschland bis dahin lediglich einen Anteil von 55 Prozent.
Um diese Ökostromlücke zu schließen, muss der Offshore-Windausbau in Nord- und Ostsee von jährlich 20.000 Megawatt auf mindestens 25.000 Megawatt angehoben werden und entweder der Solarzubau auf 10.000 Megawatt mehr als verdoppelt werden oder der Ausbau der Windkraft an Land wieder auf sein langjähriges Niveau von 4.000 Megawatt im Jahr ansteigen. Falls dies misslingt, wäre Deutschland laut der Studie auf mehr Strom-Importe angewiesen und die jährlichen CO2-Emissionen im Stromsektor würden um fünf bis 20 Millionen Tonnen steigen.
Hintergrund dieser Annahme eines bis 2030 stagnierenden oder gar sinkenden Stromverbrauchs ist wiederum, dass nur so die erneuerbaren Energien beim derzeitigen Ausbautempo den angestrebten Anteil von 65 Prozent am Strommarkt erreichen können. Bei Prognos wird das 65-Prozent-Ziel mit 63 Prozent knapp verfehlt, beim Öko-Institut wird das Ziel – wegen des sogar sinkenden Stromverbrauchs – dagegen erreicht.
Dass die Bundesregierung den Stromverbrauch kleinrechnen lässt, um mit einem gebremsten Ausbau der Erneuerbaren auszukommen, wird schon lange aus vielen Richtungen scharf kritisiert. Bisher wehrt sich aber vor allem die Union gegen ein Umdenken, weil sie dann ihre restriktive Windkraftpolitik revidieren müsste.
Zudem sind die Gesetze, mit denen das Klimapaket Realität werden soll, vielfach noch gar nicht beschlossen. Hier müsse die Bundesregierung zügiger arbeiten, forderte am Donnerstag Michael Wübbels, Geschäftsführer des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU). Wenn die Windenergie nicht aus der Krise komme, der Kohleausstieg nicht rechtssicher und die Wärmewende nicht vorangebracht werde, blieben die Berechnungen der Gutachter "nur ein Wunschszenario", so Wübbels.
Ministerien sehen kein Problem
Im Umwelt- wie im Wirtschaftsministerium werden die Gutachten dagegen als Beleg genommen, dass die Klimaziele ohne weitere große Reformen erreichbar sind. Das Klimapaket bringe "deutlich mehr, als viele glauben", sagte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Nur im Verkehrsbereich sei "noch viel zu tun".
Nach heutigen Prognosen werde das Klimaziel für 2030 zu 95 Prozent erreicht, erklärte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Damit liege Deutschland international in der Spitzengruppe.
Die Klimaexpertin der Umweltstiftung WWF Viviane Raddatz forderte hingegen, möglichst schnell das Klimakabinett einzuberufen, um auf einen verlässlichen Minderungspfad zu kommen, der möglichst im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen steht.
Dafür, dass – wie in verschiedenen Medien spekuliert wird – das Klimakabinett noch im April zusammentritt, gab es heute keine Bestätigung.
Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Klima-Streit um Altpapier