Ein Auto hat die Leitplanken frontal durchbrochen und prescht in hohem Bogen von der Straße runter.
"Weiter so" sprengt die Leitplanken – für die Groko-Parteien kein Grund zum Umsteuern. (Grafik: Thongchai Nakim/​Shutterstock)

Wer hat Angst vorm alten, weißen Mann? Niemand! Und wenn er aber kommt? Dann laufen wir davon! Der Schlachtruf des landesweit beliebten Lauf- und Fangspiels könnte bei der Bundestagswahl zum Credo der Wählerinnen und Wähler werden. Die haben erstmals seit vielen Jahren die Wahl zwischen zwei Politikstilen, die sich deutlich unterscheiden.

Mit Annalena Baerbock hat zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands eine junge, grüne Frau eine realistische Machtoption. Sie steht für eine Abkehr vom Status quo, weg vom Pfründe-Verwalten, hin zum Zukunft-Gestalten.

Die alten, weißen Männer Armin Laschet und Olaf Scholz hingegen laufen Gefahr, mit ihrer retrospektiven, vergangenheitsorientierten Politik die Gunst des Souveräns zu verlieren. Inhaltlich wird das besonders in der Umwelt- und Klimapolitik deutlich.

Das Bild des alten, weißen Mannes soll hier niemand kränken oder herabwürdigen, sondern einen Politikstil beschreiben, der in weiten Teilen einer vielschichtigen Bevölkerung zunehmend skeptisch betrachtet wird. Alte Seilschaften karteln in Hinterzimmern aus, wie es laufen soll im Land.

Davon haben Wählerinnen und Wähler genug. Gerade junge Menschen wollen sich nicht mehr in Schubladen stecken lassen, fordern Transparenz im Handeln und eine Politik, die konsequent die wichtigsten Zukunftsthemen anpackt.

Dabei geht es erstmals um etwas so Grundsätzliches, dass es weit über den Rand von liberalen oder konservativen Weltanschauungen hinausgeht. Es geht um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen.

Das ist keine Schwarzmalerei, wissenschaftlich betrachtet liegen die Fakten auf dem Tisch. Unser Lebensstil führt dazu, dass, wenn sich nichts ändert, weite Teile des Habitats Erde aufgrund von Klimawandel und Biodiversitäts-Kollaps schon in wenigen Jahrzehnten für Mensch und Tier unbewohnbar sein werden.

"Den Charakter der ökologischen Krisen nicht verstanden"

Es braucht eine Politik, die diese Bedrohung sieht, anerkennt und entsprechend handelt. Doch genau diese Politik ist weder von Armin Laschet noch von Olaf Scholz zu erwarten. Die Kanzlerkandidaten der amtierenden großen Koalition versuchen uns mit ihrer Weiter-so-es-wird-schon-werden-Politik einzulullen.

"Zwei Jahre nach Beginn der Klimastreiks verhandeln die CDU-Kandidaten die Klimakrise wie ein Thema, bei dem man aus strategischen Gründen mitsprechen möchte, aber keinerlei Anspruch hat, wirkmächtige Konzepte vorzuweisen", sagte die Klimaaktivistin Luisa Neubauer kürzlich der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. "Daraus spricht vor allem ein beängstigend großes Unverständnis über den Charakter der ökologischen Krisen. Konservative Klimaschutzansätze braucht es dringend."

Und genau hier scheitert die Politik der alten, weißen Männer und ihrer Parteien kläglich. Sie verstehen bis heute nicht, dass Klima- und Umweltschutz kein Bremsklotz für die Wirtschaft, sondern Voraussetzung für zukunftsfähiges Wirtschaften sind.

Die Notwendigkeit für eine Transformation, die tief in die wirtschaftlichen Strukturen eingreift, ruft bei ihnen eine Angst hervor, die Bergarbeitersohn Laschet mit dem viel zitierten Satz "Wir müssen Industrieland bleiben" auf den Punkt bringt. Dahinter steckt ein überkommenes Denken, das gefährlich ist. Es wird ein Bild gezeichnet, das die Wahrung des selbstzerstörerischen Status quo zur Maxime erhebt.

Porträtaufnahme von Jens Mühlhaus.
Foto: Tobias Hase

Jens Mühlhaus

Der studierte Bauingenieur ist Vorstand bei der Green City AG, einem alter­nativen Energie­dienst­leister mit Sitz in München. Er ist Mitglied im Heraus­geber­rat von Klimareporter°.

Doch für die Wähler:innen ist eine solche retrospektive Politik kein Angebot. Sie wollen eine Perspektive für ein Lebensmodell, das Wohlstand und Lebensqualität ermöglicht, ohne sich der Grundlage zu berauben.

Denn, so viel Ehrlichkeit muss sein, wenn die Schornsteine im Stammland von Kohle und Stahl unter Laschet oder Scholz nur etwas sauberer als zuvor weiterqualmen, hat ihre politische Idee die Kernaufgabe unserer Zeit nicht gelöst.

Da hilft es wenig, wenn die beiden Herren auf ihre Regierungserfahrung verweisen. Das Greenhorn Baerbock wisse ja noch gar nicht, wovon sie rede.

Nun ja, es muss für das Allgemeinwohl nicht immer von Vorteil sein, wenn jahrelange Verstrickungen zu politisch fragwürdigen Entscheidungen oder schlimmer noch, zur Täuschung des Souveräns führen. Der Glaube, nach Gutsherrenart regieren zu können und schlauer zu sein als das gemeine Volk, stößt vielen Menschen auf.

Ein Rahmen für das postfossile Zeitalter

Doch sie durchschauen das Spiel und wenden sich enttäuscht ab. Forsa-Chef Manfred Güllner sagte über Armin Laschet den entlarvenden Satz: "Seine hervorstechende Eigenschaft bei den Menschen ist, dass er seine Versprechen nicht hält."

Auch die Grünen müssen unter einer möglichen Kanzlerin Baerbock beweisen, dass sie mehr können als Identitätspolitik. Ihre Aufgabe wird es sein, eine Vision für das Land zu zeichnen, die nicht nur für die grüne Stammklientel erstrebenswert ist.

Der Blick ins grüne Wahlprogramm gibt hierzu Orientierung. Zum einen bekennen sich die Grünen unter der Überschrift "sozial-ökologische Transformation" offensiv zu einer lenkenden Rolle des Staats und wollen für das postfossile Zeitalter entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.

Ein zentraler Baustein ist ein 50 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm – jährlich. Verpasste Investitionen in der Gegenwart sind die Schulden der Zukunft, so sehen es die Grünen. Was fehlt, sind Verbote, wer hätte es gedacht.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrats in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Die SPD versucht sich mit den Schlagwörtern ökologisch, digital, sozial bei den Wähler:innen als moderne Ökopartei zu positionieren. Die fragen sich, warum es dafür die SPD braucht, und wählen lieber das Original. Denn Kanzlerkandidat Olaf Scholz strahlt das, was im Wahlprogramm steht, als Persönlichkeit nicht ansatzweise aus.

Die Union hingegen versucht sich an der Quadratur des Kreises und wirft den Grünen vor, sie sollten mit ihren Politikangeboten doch erst mal konkret werden. Blöd nur, dass man fünf Monate vor der Bundestagswahl noch nicht mal ein eigenes Wahlprogramm hat, ganz zu schweigen von einer konstruktiven konservativen Idee für unser Land.

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