Das Fockbeker Moor Ende Mai 2020, eine Baumgruppe ragt als Insel markant aus dem Morgennebel.
Auch das Fockbecker Moor bei Rendsburg ist durch Entwässerung und Torfabbau stark verändert worden. (Foto: Marco Bergner/​Wikimedia Commons)

Der zweite Teil des Beitrags beschrieb die Probleme, naturbasierte Lösungen – vor allem zum Waldschutz – in der internationalen Klimapolitik zu etablieren.

Wie steht es um naturbasierte Strategien in Deutschland? Hier ist zunächst an das in den 1990er Jahren diskutierte "Nationale Waldprogramm" zu erinnern. Dieses Programm war Ergebnis eines langwierigen Verständigungsprozesses darüber, wie Waldbewirtschaftung aussehen sollte, die forstlichen Ansprüchen Rechnung trägt und zugleich internationalen Vereinbarungen zur Nachhaltigkeit entspricht.

Zu einer aktiven Waldpolitik auf Bundesebene führte dies leider nicht. Der Waldbestand in Deutschland liegt heute mit 29 Prozent Anteil an der Landesfläche weit unter dem EU-Niveau von 38 Prozent. Die 16 Bundesländer haben völlig unterschiedliche Waldbestände. Gleichzeitig wird zu viel mit umweltbelastendem Stein und Zement gebaut – und nur wenig mit Holz.

In den Wäldern Deutschlands sind laut der jüngsten Kohlenstoffinventur rund 1,23 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert, was 4,5 Milliarden Tonnen CO2 entspricht – dabei ist die erhebliche Menge Bodenkohlenstoff noch nicht einberechnet. Hinzu kommen 34 Millionen Tonnen Kohlenstoff im sogenannten Totholz.

Die deutschen Wälder entlasten die Atmosphäre zurzeit jährlich um mehr als 62 Millionen Tonnen CO2. Bei nachhaltiger Bewirtschaftung kann Holz dem CO2-Speicher Wald klimaneutral entnommen und für Produkte verwendet werden, auch zum Bau von Hochhäusern.

Eine aussagefähige Größe ist hier die Holzquote, der Anteil von Holz an der Gesamtsubstanz von Hausbauten. Diese Quote lag in Deutschland bei der letzten Erhebung bei 14 Prozent, in den Niederlanden dagegen bei 33 und in den skandinavischen Ländern sogar bei mehr als 50 Prozent.

Schleswig-Holstein versäumt den Moorschutz

Auch um die Moore in Deutschland steht es nicht gut. Die jahrzehntelange, auf Ertragssteigerung ausgerichtete Entwässerung war ökonomisch wie ökologisch eine Sackgasse.

Doch die Arbeit an einer bundesdeutschen Moorstrategie endete im September vergangenen Jahres mit einem peinlichen Armutszeugnis: Die vorgesehene Kooperation von Umwelt- und Landwirtschaftsministerium scheiterte abrupt mit dem Ausstieg des letzteren.

Der Moorschutz rückte damit aber, wenn auch ungewollt, ins Blickfeld einer größeren Öffentlichkeit. Und mit der Vergabe des Deutschen Umweltpreises 2021 an den Moorspezialisten Hans Joosten, Professor an der Universität Greifswald, wurde ein wichtiges Signal gesendet: Moorschutz ist der beste Klimaschutz.

Nach wie vor ist der Moorschutz aber konzeptionell unterbelichtet und stößt in den Bundesländern auf viel Widerstand.

Ein Beispiel dafür ist Schleswig-Holstein, das waldärmste und zugleich eines der moorreichsten Bundesländer. Die Versuche der Kieler Landesregierung, den Wald großflächig zu vermehren, scheiterten in den letzten Jahrzehnten an internen Querelen und an der Agrarlobby. Heute sind gerade einmal elf Prozent Schleswig-Holsteins bewaldet.

Die Ausnahme bildet eine 2019 gestartete Initiative eines privaten Tankstellenunternehmers, Wald mit regionaltypischen Baumarten auf Spendenbasis pro Liter verkauften Kraftstoffs aufzubauen, den sogenannten Willerwald in Dithmarschen.

Was die Moore angeht, sind auch in diesem Bundesland aus ehemaligen CO2-Speichern über die Zeit große CO2-Emissionsquellen geworden. Auf die 160.000 Hektar Moore, der größte Teil davon trockengelegt, entfallen 14 bis 18 Prozent der laufenden Treibhausgasemissionen Schleswig-Holsteins.

Unverstandene Forschung

Was tun? Der Landesnaturschutzverband forderte die Regierung in Kiel mit deutlichen Worten dazu auf, die CO2-Emissionen der Moore in kürzester Zeit auf null zu bringen und die positiven Funktionen der Moore zu reaktivieren. Der Handel mit Torf müsse sofort untersagt werden. Die Wiedervernässung von Moorböden zähle zu den effizientesten Maßnahmen im naturbasierten Klimaschutz.

Das ist alles gut gemeint, kommt aber verdammt spät, wenn man berücksichtigt, dass Schleswig-Holstein inzwischen weit mehr als 100 Prozent seines benötigten Stroms auf erneuerbare Weise erzeugt und damit die Spitzenstellung unter den Bundesländern innehat. Auch hier hätte von Anfang an eine Doppelstrategie befolgt werden können: Technikinnovation, wie Windkraft und Photovoltaik, und Renaturierung, wie Waldmehrung und Moorerhaltung.

Ein letztes Beispiel: Seit Längerem ist bekannt, dass Seegras sehr wichtig ist für die Biodiversität an den Meeresküsten. Das Kieler Geomar-Institut hat untersucht, in welchem Maße Seegraswiesen dazu beitragen können, CO2 langfristig im Meer zu speichern und so die Erderwärmung zu reduzieren. Das überraschende Ergebnis: Ein Hektar Seegraswiese speichert 30- bis 50-mal so viel CO2 wie ein Hektar Wald.

Hätte man in Schleswig-Holstein, in Deutschland, in Europa dieses spektakuläre Forschungsergebnis erkannt und in seinem hohen Wirkungsgrad verstanden, wäre wohl längst schon ein "Aufforstungsprogramm im Meer" gestartet worden.

Ein derartiges Programm weltweit in die Praxis umzusetzen, könnte in Zukunft sehr wichtig werden – zusammen mit der großen Palette anderer naturbasierter Programme.

Natürlicher Klimaschutz im Koalitionsvertrag

Die bald 100 Tage regierende Ampel-Koalition hat in ihrem langen Koalitionsvertrag einiges in Richtung einer naturbasierten Klimapolitik formuliert. Er enthält ein Kapitel über "Klima, Energie, Transformation" und ein Unterkapitel über "natürlichen Klimaschutz" sowie weitere Kurzpassagen zum Meeres-, Wasser- und Bodenschutz.

Bei der Bewertung der Vorschläge ist zu berücksichtigen, was ein Koalitionsvertrag eigentlich ist. Ein Koalitionsvertrag sei "keine Bibel", sagte einst Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Er ist aber auch kein Gesellschaftsvertrag, sondern eine Absichtserklärung, anhand derer Bürger, Milieus und Organisationen entdecken können, ob ihre besonderen Anliegen berücksichtigt sind oder nicht. Aus welcher dieser Absichten wie und auf welchem Wege eine erfolgreiche Politik wird, ergibt sich erst im Verlauf der Regierungsperiode.

Zudem ist zu beachten, dass umfangreiche Absichtserklärungen auch Dinge beinhalten können, von denen die Autoren sehr wohl wissen, dass sie mit der Realität kollidieren. Das Unangenehme an der Realität wiederum ist, dass sie sich nicht nach einem Koalitionsvertrag politischer Parteien richtet.

Porträtaufnahme von Udo Simonis.
Foto: privat

Udo Ernst Simonis

ist Professor emeritus für Umwelt­politik am Wissen­schafts­zentrum Berlin (WZB). Der Volk­swirt war Mitglied des Wissen­schaft­lichen Beirats der Bundes­regierung für Globale Umwelt­veränderungen (WBGU). Von 1991 bis 2016 war er Chef­redakteur und Mit­heraus­geber des Jahr­buchs Ökologie.

Was sind die für unser Thema relevanten Passagen des Koalitionsvertrages – was ist konkret beabsichtigt?

Das lange Kapitel zum Klima ist randvoll mit technischen Projekten und Maßnahmen, es ist aber nicht sonderlich innovativ, eher ein oft schon gehörter Kanon zur Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft: Ausbau der Photovoltaik auf 200.000 Megawatt bis 2030, Windkraft auf zwei Prozent der Landfläche, eine Zukunft für Bioenergie, stärkere Nutzung des Geothermie-Potenzials, schneller Hochlauf des (grünen) Wasserstoffs.

Das kurze Unterkapitel zum natürlichen Klimaschutz nähert sich dem Thema Renaturierung mit einer starken Absichtserklärung: "Wir entwickeln ein Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz und stärken mit Renaturierungsmaßnahmen die Resilienz unserer Ökosysteme, insbesondere Moore, Wälder, Auen, Grünland sowie marine und Küstenökosysteme, gegen die Klimakrise."

Das ist ein guter Aufschlag, dem weitere folgen: "Wir werden eine Moorschutzstrategie verabschieden und zügig umsetzen. Wir werden ... Perspektiven für die Regionen entwickeln und alternative Bewirtschaftungsformen stärken, unter anderem Paludikulturen."

Und es geht noch weiter voran: "Die natürliche Speicherfähigkeit der Meere werden wir durch ein gezieltes Aufbauprogramm verbessern" – auch Seegraswiesen werden genannt.

Auch das liest man gern, was am Ende aber fehlt, ist die Antwort auf die Frage, welche politischen Ressorts für diese anspruchsvollen Aufgaben zuständig sein sollen: das Klima-, das Umwelt-, das Landwirtschaftsministerium oder vielleicht ein Klimakabinett?

Wald in privatem Besitz

Die Absichtserklärungen zum Thema Wald im Koalitionsvertrag sind kurz und inhaltlich höchst bescheiden: "Durch einen gezielten Waldumbau müssen artenreiche und klimaresiliente Wälder mit überwiegend standortheimischen Baumarten geschaffen werden."

Ferner sollen die Intervalle und die Form der Bundeswaldinventur überprüft werden. Und dann folgt eine der wenigen Stopp-Forderungen des Dokuments: "Wir stoppen den Einschlag in alten, naturnahen Buchenwäldern in öffentlichem Besitz."

Hier wird etwas angerissen, was nicht ausgesprochen wird: Natürlicher Klimaschutz könnte in Deutschland in vielen Fällen an der Eigentumsfrage scheitern. Der meiste Wald befindet sich nämlich in privatem oder kommunalem Besitz.

Was aber im Koalitionsvertrag völlig fehlt, ist das Thema, das für die Welt als Ganzes präsentiert wurde und in mehreren Ländern und Großregionen auch bereits funktioniert hat: zusätzliche Bewaldung. Auch in Deutschland sollte dies möglich sein – nicht nur in Afrika, in Mexiko und anderswo.

Die Bundesregierung müsste dazu allerdings die markante Erhöhung der allzu niedrigen Waldbestandsquote zum staatlichen Ziel erklären und willige Bundesländer und Kommunen massiv beim entsprechenden "Ergrünen der Natur" unterstützen.

Immerhin: In Teilen des Koalitionsvertrages der neuen Regierung tauchen einige interessante naturbasierte Politikelemente auf, die nun in ein überzeugendes Konzept einer konsistenten klimapolitischen Doppelstrategie eingebaut werden müssen.

Ans Ermöglichen denken, nicht ans Verhindern

Ein Fazit: Die Zahl der derzeit in Wissenschaft, Politik und Medien heftig diskutierten technikbasierten Lösungen der Klimapolitik ist äußerst begrenzt. Im Wesentlichen geht es um Windkraft, Photovoltaik und (grünen) Wasserstoff.

Die Zahl der naturbasierten Lösungen ist dagegen viel größer, über sie wird jedoch weit weniger oder noch gar nicht diskutiert. Das muss sich ändern, wenn die Klimaziele des Paris-Abkommens und die Ziele der deutschen Klimapolitik erreicht werden sollen.

Die naturbasierten Lösungen sollten stärker in den Fokus der internationalen, der nationalen und der regionalen Klimapolitik gelangen. Grundsätzlich muss der Schutz der Natur und die dadurch ermöglichte CO2-Absorption die produktionstechnische CO2-Emissionsminderung ergänzen.

Es gilt, die vielfältigen ökologischen Kräfte der Natur besser zu erkennen, zu respektieren und auf kluge Art und Weise zu reaktivieren. Die Informationsbasis verbessern, neue integrative Konzepte entwickeln, Machtblockaden überwinden, Interessen kommender Generationen ernst nehmen – das sind die allgemeinen Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung der erforderlichen Doppelstrategie der zukünftigen Klimapolitik.

Die besonderen Schlussfolgerungen sind institutioneller Art. Es bedarf durchgreifender Innovationen: auf der nationalen und regionalen Ebene eine Änderung der Zuständigkeiten sowie der Aufbau einer wirklich integrierten Klimapolitik, auf der internationalen Ebene die explizite Einbindung der Klima-Doppelstrategie in die weitere Umsetzung des Paris-Abkommens – und möglichst auch noch die Vereinbarung einer globalen UN-Konvention zum Naturschutz.

Alle drei Teile dieses Beitrags finden Sie hier.

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