Knietief im Moorboden versinkend, sammelten und sortierten Anfang Dezember am Rande der Mecklenburgischen Schweiz bei Schnee und Minustemperaturen 15 fleißige Erntehelfer:innen Rohrkolben. Zunächst schnitt ein überdimensionierter Rasenmäher die Rohrkolben ab, dann sammelten die Erntehelfer:innen die Pflanzen ein.

Auf einem umfunktionierten Kanu zogen sie die Pflanzen vom Feld. Danach verschnürten die Helfer:innen die Rohrkolben zu kompakten Bündeln. Alles mit der Hand.

Die Universität Greifswald forscht auf der Fläche zum Anbau der Süßgräser auf einem wiedervernässten Niedermoor. Die Bewirtschaftung von nassen Mooren nennt sich Paludikultur.

Nach der Einrichtung der Fläche in einem ersten Projekt, mit ersten Probeernten und Erfahrungen zum Flächenmanagement, soll jetzt auf 8,5 Hektar im Detail untersucht werden, wie Paludikultur mit Rohrkolben funktionieren kann. Die Fläche, in ihrer Größe bisher einmalig, liegt in der Nähe des Kummerower Sees, ungefähr eine Autostunde südwestlich von Greifswald.

 

Das neue Projekt läuft seit 2022 und soll unter anderem herausfinden, wie lange auf Böden mit geringerem Nährstoffgehalt gute Rohrkolbenernten möglich sind, erzählt Projektkoordinatorin Josephine Neubert von der Uni Greifswald. Rohrkolben, lateinisch Typha, mögen eigentlich hohe Nährstoffgehalte. Auf der Fläche sind diese aber durch jahrelange Biobewirtschaftung vergleichsweise niedrig.

Zusätzlich entwickelte das Unternehmen Typha Technik gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik eine Dämmplatte mit dem Namen Typhaboard, um eine hochwertige Nutzung von Rohrkolben zu ermöglichen.

Innerhalb von einer Woche wurden 1,3 Tonnen Biomasse aus dem Feld geholt. Mit diesem Material soll ein sogenannter Green Container gebaut werden. Der Container aus Typha-Bauelementen wurde von Manfred Lux, Professor an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, entwickelt. Außerdem ist die Verbesserung und Weiterentwicklung der Dämmplatte geplant.

Win-win-win mit Rohrkolbenanbau

Rohrkolben lieben hohe Wasserstände – das Klima auch. Dadurch wird kein weiterer Torf im Moor zersetzt und abgebaut und somit auch kein CO2 mehr emittiert.

Denn Torf besteht aus viel organischem Material und damit aus viel Kohlenstoff. Kommt der Torf mit Luft in Berührung, wird das organische Material abgebaut und der Kohlenstoff in Form von CO2 freigesetzt. Nasse Moore setzen allerdings Methan frei. Methan ist ebenfalls ein Treibhausgas. Diese Emissionen sind aber im Vergleich zu den eingesparten CO2-Emissionen gering.

Rohrkolben mögen auch Nährstoffe. Auf ehemaligen Acker- oder Grünlandflächen sind diese oft im Überfluss vorhanden. In den Niederlanden wird deswegen daran geforscht, stark nährstoffbelastete Moorböden durch den Anbau von Rohrkolben zu "reinigen".

Wenn Rohrkolben wachsen, bilden sie in ihrem Innern viele luftgefüllte Kammern. Dadurch sind die Pflanzen gleichzeitig stabil und leicht. So eignen sie sich gut als Dämmmaterial. Für das von Typha Technik und Fraunhofer-Institut entwickelte Dämmelement werden die Rohrkolben längs aufgeschnitten und dann mit einem Bindemittel zu einer Platte verklebt. Es gibt auch die Möglichkeit, die Pflanzen zu häckseln und als Einblasdämmstoff zu nutzen.

Als Nutzpflanzen haben Rohrkolben viele Vorteile. Sie können eine nachhaltige und ressourcenschonende Alternative zu herkömmlichen Baustoffen sein. Durch die langfristige Nutzung in Gebäudestrukturen wird das CO2, das die Pflanzen aus der Luft aufgenommen haben, dauerhaft gebunden.

Die Rohrkolbenernte erfolgt bisher mit der Hand, Erntemaschinen sind noch in der Erprobung. (Bild: Leonie Vogelsang)

Und wenn das Haus doch abgerissen wird, kann man das Naturprodukt Rohrkolben in nachfolgenden Lebensschritten weiter verwerten – zum Beispiel erst als Verpackungsmaterial und später zur Energiegewinnung durch Verbrennung.

Auch beim Transport können gleich doppelt Treibhausgasemissionen eingespart werden. Erstens ist Rohrkolben ein regionales Produkt, die Wege sind also kurz. Zweitens ist das Material leicht, und es muss weniger Energie aufgewendet werden als für den Transport von schweren Baustoffen wie Holz.

Ein weiterer Aspekt: Auf vielen ehemaligen Moorstandorten wird sich die aktuelle Nutzung, die auf der Trockenlegung beruht, irgendwann nicht mehr lohnen. Denn das Abpumpen des Wassers kostet Geld. Weil der Torfkörper nach dem Abpumpen zersetzt wird, sackt die Fläche immer weiter ab – noch mehr Wasser muss abgepumpt werden.

Für solche Flächen braucht es Alternativen. Zum Beispiel Bewirtschaftungsformen, die auch bei hohen Wasserständen möglich sind. Neben dem Anbau von Rohrkolben sind das zum Beispiel die Bewirtschaftung mit Wasserbüffeln oder das Anlegen von Nasswiesen und die Verwertung der dort wachsenden Seggen zum Heizen.

Uni Greifswald will Anbau weiter verbessern

Zwei weitere Forschungsschwerpunkte sind für die Uni interessant. Erstens wollen die Forscher:innen die Treibhausgasemissionen auf den Flächen weiter minimieren. Nach aktuellem Stand der Forschung liegt der Wassergehalt für einen möglichst niedrigen Ausstoß im Jahresdurchschnitt bei sieben Zentimetern unter Flur, also unter dem Boden. Rohrkolben lieben aber sehr hohe Wasserstände mit 20 bis 40 Zentimetern über Flur.

Die Universität versucht herauszufinden, ob es funktionieren kann, die Wasserstände abzusenken und trotzdem Rohrkolben auf der Fläche anzubauen – ohne dass andere Arten sie verdrängen. Zurzeit liegen die Wasserstände auf der Versuchsfläche im Mittel bei sieben bis zwölf Zentimetern über Flur.

Zweitens wird daran geforscht, wie sich die Kolbenbildung verhindern lässt. Zwar können auch die Kolben genutzt werden, als Ersatzprodukt für Daunen. Für die Dämmplatten braucht man aber Pflanzen ohne Kolben. Denn die Pflanzen mit Kolben sind holziger und haben weniger Blätter. Und vor allem die Blätter bilden die für die Dämmwirkung wichtigen Luftkammern.

Im nächsten Sommer soll deshalb ein Teil der Fläche gemäht werden – in der Hoffnung, dass dort bis zum Winter mehr Pflanzen ohne Kolben nachwachsen. Aber auch an einer Mitnutzung der Pflanzen mit Kolben wird parallel geforscht.

Ein Arbeiter in Gummistiefeln geht mit einer sehr großen Mähmaschine mit großen Spike-bestückten Hohlzylinder-Rädern aus über das winterliche, leicht unter Wasser stehende Feld und schneidet die Rohrkolben ab.
Mit einer Art Riesen-Rasenmäher werden die Rohrkolben geschnitten und danach per Hand vom Feld gesammelt. (Bild: Lea Traiser)

Es gibt aber auch ganz praktische Probleme. Die Ernte Anfang Dezember wurde zum großen Teil in Handarbeit ausgeführt. Für eine industrielle Verwendung zum Hausbau ist die händische Ernte zu zeitaufwendig und teuer und würde sich deswegen kaum lohnen.

Geknickte oder durchgebrochene Rohrkolben sortierten die Erntehelfer:innen per Hand aus, da diese von den Maschinen nicht gut aufgespalten werden können. Auch die Pflanzen mit Kolben wurden aussortiert, weil auch sie sich bisher ja nicht für die Dämmplatten eignen.

Bis jetzt gibt es noch keine Maschinen, um die manuelle Ernte zu ersetzen. Erntemaschinen, die für die Schilfmahd genutzt werden, sind bereits in der Erprobung. Die Rohrkolben verheddern sich aber häufig darin, denn während Schilf schmal und gerade wächst, sind die Rohrkolbenpflanzen breiter und die Blätter wachsen mehr zu den Seiten hin.

Für Projektkoordinatorin Josephine Neubert ist das der Knackpunkt, um Rohrkolben industriell nutzen zu können. Gebraucht würden Maschinen, die sowohl für die Schilfmahd als auch für die Rohrkolbenernte eingesetzt werden können. Neubert ist aber optimistisch, dass bald eine Lösung gefunden wird.

 

Der Beitrag wurde am 15. Januar korrigiert. Das Typhaboard wurde nicht von der Universität Greifswald, sondern von Werner Theuerkorn und seinem Unternehmen Typha Technik gemeinsam mit Martin Krus vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik entwickelt.