Delegierte schauen nach vorn zum rot beleuchteten Podium mit der Aufschrift
Der Verdi-Bundeskongress zeigte eine Gewerkschaft, die sich nach vorn orientieren will, statt fossile Strukturen zu verteidigen – was in der Dienstleistungsbranche aber auch leichter fällt. (Foto: Kay Herschelmann/​ver.di)

Auf ihrem jüngsten Bundeskongress hat die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) vergangene Woche in Leipzig deutliche Beschlüsse zum Umwelt- und Klimaschutz verabschiedet. In dem am Ende beschlossenen Leitantrag "Nachhaltige Wirtschaft und aktiver Staat" spricht sich der Bundeskongress auch "ausdrücklich gegen die geplante Rodung des Hambacher Forstes sowie die generelle Zerstörung von Dörfern und Natur für den Braunkohletagebau aus".

Zunächst sollte diese Position nicht im Leitantrag stehen. Doch mehrere Delegierte drangen in der Aussprache darauf, dass der Passus aufgenommen wird. Eine Befürworterin argumentierte, man empöre sich täglich darüber, dass in Brasilien Regenwald abgeholzt wird, "und wir schaffen es hier nicht, ein kleines Stück Wald zu retten".

Ein Delegierter sprach sich gegen die Änderung am Leitantrag aus und erwiderte, es gebe so viele bedrohte Gebiete in Deutschland – der Hambacher Forst sei schließlich nur eines davon und sollte deshalb im Text nicht konkret genannt werden.

Der Hambacher Wald sei ein starkes Symbol und solle schon deshalb in den Leitantrag aufgenommen werden, weil er für viele andere zu schützende Gebiete stehe, widersprach ein Dritter.

Die Abstimmung über den Passus endete schließlich deutlich mit 763 Ja- und 63 Nein-Stimmen bei 16 Enthaltungen und einigen ungültigen Stimmen. Insgesamt waren beim Verdi-Kongress 932 Delegierte anwesend.

Durch den Klimawandel sei die Umweltfrage heute von existenzieller Bedeutung für die Menschheit, heißt es in dem schließlich ebenfalls mit großer Mehrheit beschlossenen Leitantrag. Nötig sei ein grundlegender ökologischer Wandel, der untrennbar mit einem ökonomischen Strukturwandel verbunden sei, ausgelöst durch die Energie-, Verkehrs- und Agrarwende.

Der ökologische Wandel müsse unter guten und sozialen Arbeitsbedingungen geschehen, heißt es weiter. Aufgabe der Gewerkschaft sei es, den Wandel tarif- und betriebspolitisch so zu gestalten, dass ökologische Transformation mit guter Arbeit und sozialer Sicherheit einhergeht. Die Umweltbewegung nennt Verdi ausdrücklich einen "wichtigen Bündnispartner".

Neuer Verdi-Chef setzt ÖPNV vor E-Autos

Bereits am Tag vor der Abstimmung über den Leitantrag hatte der neue Verdi-Chef Frank Werneke in einer Grundsatzrede neben dem Klimawandel die zunehmende soziale Ungleichheit als zentrale Herausforderung genannt. Es gelte, die drohende ökologische Katastrophe abzuwenden, ohne dass neue Ungerechtigkeit entsteht.

Werneke kritisierte auch das Klimapaket der Bundesregierung. Das Programm für das kommende Jahrzehnt sei enttäuschend, die Einführung der CO2-Abgabe geschehe "viel zu zögerlich". Auch die Finanzierung der Klimamaßnahmen sieht der neue Verdi-Chef kritisch, weil dabei einmal mehr die Bezieher hoher Einkommen sowie Vermögende geschont würden.

Maßnahmen wie den im Klimapaket beschlossenen Austausch von Heizungsanlagen oder den Ausbau des Schienennetzes nannte Werneke dagegen "sinnvolle Ansätze".

Er bekannte sich namens der Gewerkschaft zu den Pariser Klimazielen und zum Kohleausstieg bis 2038. Wenn der Ausstieg schon 2035 möglich sei, fände auch das die volle Unterstützung der Gewerkschaft.

Besonders interessant war Wernekes Blick auf die Verkehrswende. Er sei sich über die Bedeutung der Automobilindustrie in Deutschland im Klaren, sagte er in seiner Rede, jedoch steuerten die Autokonzerne "spät" auf Elektromobilität um. Zudem führten "Stromautos" allein noch nicht zur ökologischen Wende.

Deshalb habe er Zweifel, so Werneke, ob es sinnvoll sei, nach den Plänen der Bundesregierung das Land "mit Stromladesäulen vollzupflastern", während zugleich in Erhaltung und Ausbau öffentlicher Mobilität, also von Bussen und Bahnen, viel zu wenig Geld fließe.

Werneke: "Ein attraktiver öffentlicher Personennahverkehr braucht eine gute Taktung, gute Umsteigemöglichkeiten, hohe Umweltstandards, Barrierefreiheit und einen guten Service. Und zwar bezahlbar für alle."

Wie diese Aussagen bei der Schwestergewerkschaft IG Metall aufgenommen werden, die ihrerseits die Elektromobilität vorantreibt, aber auch mit Umweltverbänden über die Transformation diskutiert, bleibt abzuwarten. Kommende Woche will die Industriegewerkschaft auf ihrem Gewerkschaftstag in Nürnberg über den Wandel in der Autoindustrie debattieren.

Fridays for Future: Gegenseitige Sympathien

Verdi hatte einige Zeit gebraucht, um sich die Konversions- und Ausstiegsziele in der Energiewende zu eigen zu machen. Der neue Gewerkschaftschef Werneke will offenbar den Kurs beibehalten, den sein Vorgänger Frank Bsirske vor einigen Monaten eingeschlagen hat und der nicht nur die Untrennbarkeit von sozialem und ökologischem Wandel betont, sondern auch einen positiven Bezug auf das Aktionsbündnis Fridays for Future nimmt.

Bsirske hatte die Gewerkschaftsmitglieder dazu aufgerufen, sich in ihrer Freizeit am Klimastreik vom 20. September zu beteiligen. Der DGB hatte sich später diesem Aufruf angeschlossen.

In Leipzig wurde auch beschlossen, dass Verdi die Klimastreikwoche an den Hochschulen vom 2. bis 6. Dezember überall dort unterstützt, wo das möglich ist.

Vertreterinnen von Fridays for Future sprachen denn auch am letzten Tag des Bundeskongresses ein Grußwort. In einer kleinen Demo mit Transparenten, Sprechchören und etlichen Fahnen der Verdi-Jugend, die stark zu den Klimademos mobilisiert, zogen ein paar Dutzend Jugendliche durch den Saal zur Bühne.

Sie wisse, wie unbequem große Veränderungen sein könnten, sagte Freya Schlabes von Fridays for Future, aber man habe nun einmal "keine zweite Welt in Reserve".

Großer Applaus kam von den Delegierten, als die Leipziger Schülerin in Richtung der Bundesregierung sagte: "Wie können Sie sich hinstellen und etwas als Klimapolitik verkaufen, das rein gar nichts bewirkt?"

Anzeige