Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will einen Krisenrabatt für Kraftstoffpreise einführen. Dieser könnte bei 30 oder 40 Cent pro Liter Benzin oder Diesel liegen. Was ist davon zu halten? 

Matthias Willenbacher: Kurz zusammengefasst: nichts. Wie immer, wenn man Entlastungen mit der Gießkanne oder hier mit dem Zapfhahn verteilt, profitieren vor allem die Großverdiener mit spritschluckenden Autos, wie zum Beispiel Linder mit seinem Porsche. Zudem kostet es sehr viel Geld – circa zwei Milliarden pro Monat.

Die Debatte ist nicht neu: Die Sozialverbände betonen immer wieder, dass es gezielte Maßnahmen für die Menschen braucht, die wirklich Unterstützung benötigen, wie zum Beispiel Geringverdiener, Spediteure und Fernpendler.

Einen sofortigen Boykott von russischen Energieimporten schließt die Bundesregierung aus, weil er nicht langfristig durchgehalten werden könne. Klimaaktivist:innen und Wissenschaftler:innen fordern einen Importstopp, damit der Krieg in der Ukraine nicht weiter indirekt finanziert wird. Dafür müsse man Einschränkungen beim Verbrauch hinnehmen. Auch die Hälfte der Deutschen spricht sich in Umfragen gegen Importe aus Russland aus. Ist das Zögern der Bundesregierung noch nachvollziehbar? 

Ja, ich finde schon, auch wenn es mir schwerfällt. Denn die Folgewirkungen sind erheblich. Bei steigenden Außentemperaturen und dem beginnenden Frühling kann man sich ein paar Tage ohne Heizung und ohne warmes Wasser wahrscheinlich vorstellen. Bei einer langen Kälteperiode im nächsten Winter sieht das schon anders aus.

Außerdem müssten bestimmte Industriezweige ihre Produktion wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum stoppen, was dann in anderen Branchen zu Nachschubproblemen führen würde. Ich denke, dass wir uns alle gar nicht wirklich vorstellen können, zu welchen dramatischen Verwerfungen das führen würde, wenn ganze Lieferketten zusammenbrechen. Nicht nur Autofahren, auch Essen und Heizen wäre für viele nicht mehr bezahlbar.

Deshalb muss die Devise lauten: Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien in allen Sektoren – und zwar jetzt! Die Technologien sind alle vorhanden. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt. Jetzt muss die Politik die Weichen stellen.

Wir brauchen die Privilegierung von Wind- und Solaranlagen, das heißt jeder darf bauen, wenn keine öffentlichen Belange entgegenstehen. Und die Gemeinden dürfen erst eingreifen, wenn sie ihre Pläne fertiggestellt haben – nicht umgekehrt.

So kommen wir im Sinne des Klimaschutzes und unserer Freiheit schnell zum Ziel, zwei Prozent der Flächen für Windkraft zu reservieren und ein Prozent für Solarparks.

Ein Tempolimit für Autos und ein, zwei Grad weniger zu Hause würden die Freiheit kaum einschränken und viel bringen – die Bundesregierung will aber keine Vorgaben machen. Nun rufen Umweltgruppen und Expert:innen die Deutschen auf, ihren Energieverbrauch von sich aus zu senken. Bringt das was?

Energiesparen bringt immer was und kostet nichts, außer vielleicht liebgewonnene Gewohnheiten. Mit Tempo 100 auf Autobahnen, Tempo 80 außerorts und Tempo 30 innerorts könnte man zum Beispiel jährlich 3,7 Milliarden Liter Benzin und Diesel einsparen.

Wie Studien zeigen, ändern aber die meisten Autofahrer trotz der hohen Spritpreise kaum ihre Gewohnheiten und viele rasen genauso wie vor den deutlichen Spritpreiserhöhungen. Von daher auch mein Appell an die Bundestagsabgeordneten: Dem Klima und den Menschen in der Ukraine zuliebe, bitte führen Sie ein Tempolimit ein!

Es gibt noch einige andere Maßnahmen, die schnell greifen und massiv Energie sparen. Mit dem Einsatz von Blockheizkraftwerken in Krankenhäusern, Schulen und großen Wohnblocks können wir Strom und Wärme gleichzeitig nutzen. Das spart dort etwa 40 bis 50 Prozent des Gasverbrauchs.

In allen Niedrigtemperaturbereichen können wir außerdem sofort auf Wärmepumpen umsteigen. So kann eine Kilowattstunde Strom bis zu fünf Kilowattstunden Wärme ersetzen. Und in alle Wärmespeicher können wir steuerbare Heizspiralen einbauen, damit wir nie mehr Wind- und Solaranlagen abschalten müssen.

Die ersten 100 Tage der Ampel-Regierung sind vorüber. Wie hat sich die Ampel energie- und klimapolitisch geschlagen?

Die Ansätze waren um Längen besser als das, was vorher in der Energie- und Klimapolitik gemacht wurde – gut, das war auch nicht so schwer, weil wir rund zwölf Jahre Verhinderungspolitik hinter uns haben.

Jetzt muss die Regierung es schaffen, nach dem Menetekel des russischen Angriffs den Schalter im Kopf vollständig auf den Ausbau der erneuerbaren Energien umzulegen. Der Referentenentwurf zur diesjährigen EEG-Novelle, der in weiten Teilen vor dem Krieg entstanden ist, atmet noch den Geist der Mengensteuerung und Begrenzung, verbunden mit der Sorge, bloß keine Überförderung zu riskieren. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Wir müssen hier durchstarten und nicht zögern. Bei den aktuellen Preisen von Strom, Gas und Benzin sind die erneuerbaren Energien immer günstiger. Strom aus neuen Wind- und Solaranlagen kostet jetzt etwa 60 bis 70 Prozent weniger als konventioneller Strom. Also worauf warten: Wenn wir günstige Energie haben wollen, dann müssen wir den Ausbau der Erneuerbaren massiv hochfahren!

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Ich habe es noch nie, wirklich noch nie erlebt, dass in allen deutschen Leitmedien so viel über Energiesparen und Energieeffizienz gesprochen, geschrieben und informiert wurde. Und dass die Bereitschaft der Menschen in Deutschland so groß war, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Gefühlt habe ich in den letzten drei Wochen tausend Anfragen bekommen, wer denn jetzt schnell eine Solaranlage auf das Hausdach bauen könnte.

Bitter ist nur, dass es dafür eines Krieges bedurfte.

Fragen: Sandra Kirchner

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