Aufnahme einer Raffinerie
Nicht nur für Ölraffinerien gibt es künftig raffinierte Optionen zur rechnerischen Quotenerfüllung. (Foto: Mikael Moiner/​Flickr)

Auf dem Papier wird es für die deutschen Hersteller, die Kraftstoffe für Autos, Lkw, Zweiräder, Trecker oder Flugzeuge herstellen, ernst. Bis 2030 haben sie Zeit, um dafür zu sorgen, dass in Deutschland erneuerbare Energien einen Anteil von 28 Prozent am gesamten Energieverbrauch im Verkehr haben.

Entsprechende gesetzliche Regelungen beschloss die Regierung in dieser Woche. Sie setzt damit auch die zweite Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) der EU um. Diese verpflichtet die EU-Länder, 2030 mindestens auf einen Anteil von 14 Prozent Erneuerbaren im Verkehr zu kommen.

Dass Deutschland sich vornimmt, mit 28 Prozent das Doppelte zu erreichen, erklärte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) mit den Klimaproblemen im Verkehr. Dort seien im Vergleich zu 1990 die CO2-Emissionen bisher eben nicht gesunken. "Da muss einfach mehr passieren, um eine deutlichere CO2-Senkung hinzubekommen."

Auf welche Weise die Kraftstoff-Hersteller ihr Scherflein dazu beitragen, schreibt ihnen der Gesetzgeber wie bisher nicht direkt vor. Die Ansage lautet weiterhin: Wir als Regierung verlangen von denen, die hierzulande Kraftstoffe verkaufen, dass sie solches Zeugs anbieten, dass damit bis 2030 der CO2-Ausstoß um 22 Prozent sinkt – nein, nicht gegenüber 2020, sondern das Basisjahr ist 2015.

In jenem Jahr startete die sogenannte Treibhausgasminderungs-(THG-)Quote mit einer Vorgabe von 3,5 Prozent CO2-Senkung. 2020 wurden sechs Prozent erreicht – und bis 2030 kommen jetzt 16 Prozentpunkte hinzu.

Neben dem Heraufsetzen der Quote nimmt die Bundesregierung eine zweite entscheidende Änderung vor. Sie ersetzt im Gesetz den bisherigen engen Begriff "Biokraftstoffe" durch sogenannte "Erfüllungsoptionen".

Und der Möglichkeiten, die Minderungsziele mithilfe mehr oder weniger CO2-armer Antriebsmittel zu erfüllen, sind viele.

Palmöl-Abwasser als "fortschrittlicher" Biosprit

Angenommen, ein Hersteller gibt seinem Kraftstoff noch mit Palmöl einen Hauch von Bio-Anstrich. In fünf Jahren, 2026, soll damit Schluss sein.

Svenja Schulze verteidigte bei der Präsentation der Gesetzentwürfe den gegenüber anderen EU-Ländern langsamen Ausstieg aus dem Palmöl damit, dass dieses noch einen "sehr hohen Anteil" von 20 Prozent an den Biokraftstoffen habe. Herunterfahren lasse er sich nicht schneller, weil bessere Alternativen erst hochgefahren werden müssten.

Was sind denn so die Alternativen? Der Hersteller könnte auf die übliche Anbaubiomasse zurückgreifen, also auf Mais, Raps, Rüben oder Getreide. Aber Achtung: Um die leidige Tank-oder-Teller-Debatte nicht anzuheizen, soll die obere Grenze für Kraftstoff aus Anbaubiomasse von 6,5 auf 4,4 Prozent sinken, gemessen am gesamten Energieverbrauch des Verkehrs.

Wer sich Tank-oder-Teller nicht aussetzen will, kann auf Reststoffe wie Altspeiseöle oder tierische Fette setzen. Hinter Letzterem verbergen sich übrigens auch die Überreste von Tieren, die zur Seuchenbekämpfung getötet wurden. Auch für Reststoffe gilt aber eine Obergrenze von 1,9 Prozent am Gesamtenergieverbrauch des Verkehrs.

Das wäre es schon besser, der Hersteller würde zu den sogenannten "fortschrittlichen" Biokraftstoffen wechseln, aufgeführt in Anhang IX, Teil A der RED-II-Richtlinie. Das wären unter anderem: Mist oder ​Gülle, Algen aus Kulturen, Biomüll, Stroh, Klärschlamm, Bagasse aus der Zuckerherstellung – oder Abwässer aus Palmölmühlen, auch Palm Oil Mill Effluent (Pome) genannt.

Diese Abwässer, die bei der Palmölproduktion entstehen, hat die EU tatsächlich als "fortschrittlichen Biokraftstoff" eingestuft – und das Bundesumweltministerium hat das übernommen.

Damit nicht genug: Werden bestimmte Mindestanteile ihres Einsatzes überschritten, können die "Fortschrittlichen", also auch "Pome", doppelt auf die THG-Quote angerechnet werden. So eine doppelte Anrechnung verbillige am Ende solche Biokraftstoffe und fördere deren Einsatz, heißt es. Die Palmölproduzenten wird's erfreuen.

"Grüne" Energieprodukte zählen doppelt und dreifach

Die bisherigen "Erfüllungsoptionen" stehen vor allem denen offen, die sich schon seit Jahr und Tag mit Biokraftstoffen befassen. Was aber machen Raffinerien, die fossiles Benzin oder Diesel herstellen? Auch die müssen grüner werden, wenn die 22-prozentige CO2-Minderung erreicht werden soll.

Ganz einfach: Für sie öffnet die Bundesregierung den schon klassischen Ausweg, grünen Wasserstoff oder andere Power-to-X-Produkte einzusetzen. Den Wasserstoff zum Beispiel kann eine solche Raffinerie in der eigenen Produktion nutzen, aber auch als Kraftstoff an Dritte liefern, zum Beispiel für Brennstoffzellenautos.

Und, wie schön: Der Energiegehalt des Wasserstoffs wird dann bei der THG-Quote doppelt angerechnet. Ein erster Gesetzestrick, der eine Lücke reißt zwischen der angepeilten 22-Prozent-Reduktion und der tatsächlich zu erwartenden Einsparung. Das Ministerium rechtfertigt die Verdopplung damit, dass der Einsatz von Wasserstoff so gegenüber den Fossilen preiswerter und damit wahrscheinlicher werde.

Noch größer wird die rein rechnerische Einsparung, wenn die Raffinerien die "Erfüllungsoption" Strom für E-Fahrzeuge nutzen. Man fragt sich natürlich, wie eine Ölraffinerie plötzlich zu grünem E-Ladestrom kommt. Baut sie ein Windrad? Nein.

Für den Gesetzgeber reicht es, wenn das Kraftstoffunternehmen zum Beispiel den eigenen Fuhrpark elektrifiziert oder den Firmen, die E-Ladenetze betreiben, Ökozertifikate abkauft. Und wie schön, der so "produzierte" E-Ladestrom wird sogar dreifach auf die THG-Quote angerechnet.

Ministerin Schulze verteidigte das mit dem Hinweis, die Mineralölwirtschaft würde so "indirekt" den Aufbau einer Ladeinfrastruktur unterstützen. Für sie ist die Verdreifachung ein "ganz, ganz wichtiger Hebel".

Rechentricks zählen nicht bei Klimaverpflichtungen

Wie sich die mehrfachen Mehrfachanrechnungen auf den realen Anteil der erneuerbaren Energien im Verkehrsenergiemix auswirken, da wollte sich das Ministerium in einer Powerpoint-Präsentation nicht so festlegen. Das hänge von der Marktentwicklung ab.

Ein wahrscheinliches Szenario sei, sagten Experten des Hauses, dass 2030 der Erneuerbaren-Anteil nicht bei den angestrebten 28 Prozent, sondern bei 22 oder 20 Prozent liegt. Das überwache man mit einem Monitoring.

Gegenüber den ersten Gesetzentwürfen hat das Umweltministerium die THG-Quoten deutlich nach oben gesetzt. War noch vor Wochen für 2025 eine Quote von 6,5 Prozent vorgesehen, so sind es jetzt acht Prozent. 2027 sollen es zehn Prozent sein, und dann ist ein steiler Anstieg über 14,5 Prozent 2029 zu den 22 Prozent 2030 vorgesehen.

Dass die THG-Quote erst wenig steigt und dann praktisch "explodiert", spiegelt nach Einschätzung von Branchenexperten die Erwartung der Regierung wider, dass die E-Mobilität in den späten 2020er Jahren stark wachsen wird – und so viel von der Quote absorbiert, dass für "klassische" Biokraftstoffe nicht viel übrig bleibt.

Deswegen müsse die Quote bereits in der ersten Hälfte der 2020er Jahr deutlich steigen, verlangt Elmar Baumann, Chef des Biospritverbandes VDB. Die Mehrfachanrechnungen hält er für irreführend. Sie gaukelten Klimaschutz vor, "wo keiner ist". Die Rechentricks zählten weder für nationale noch internationale Klimaziele.

"Weichgespülte Industrieinteressen"

Für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) steckt hinter den Gesetzentwürfen ein "von Industrieinteressen weichgespülter Vorschlag". Agrokraftstoffe aus Soja, Raps, Zuckerrohr und Co sollten auf unbestimmte Zeit gefördert werden, obwohl ihr Anbau den weltweiten Flächenfraß anheize und damit Entwaldung, Klimakrise und Artensterben befeuerten. Auch komme der Ausstieg aus dem Palmöl 2026 viel zu spät.

Zudem werden aus Sicht der DUH neue Fehlanreize gesetzt. Die starke Förderung der "fortschrittlichen" Biokraftstoffe", für die auch Forst-Biomasse wie Zweige, Rinde und Baumspitzen verwendet würden, sei eine "hochgefährliche Entwicklung", die die Kohlenstoffsenke Wald weiter schwächen werde.

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